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Das alte Bergen am Ausgang der wilhelminischen Epoche

Annoncen aus der Stralsundischen Zeitung im 19. Jahrhundert

 Dr. Achim Leube v. 17. November 2022

1823 hatte der Ort Bergen 2186 Einwohner, war Kreisstadt und hatte eine eigene „Postwärterei“ (so Alexander August Mützell, Neues topographisch-statistisch-geographisches Wörterbuch 1823, S. 91). Nach anderen Geographen ist der Ort „Bergen“ 38mal zwischen Kanada und Bayern vertreten. Bergen/Rügen lag 1906 an 22. Stelle und besaß 4 005 Einwohnern (so Penzler, Johannes: „Jahres-Lexikon auf das Jahr 1905“, 1906, 229).

Blick vom Galgenberg auf die Stadt Bergen, auf die Ring- und Dammstraße, Ansichtskarte 1956

1888 wurden im Bergener Kirchspiel 38 Paare getraut, davon 28 in der Stadt und es wurden 115 Kinder in der Stadt geboren (Stralsundische Zeitung Nr. 2 v. 3. 1. 1889). Es verstarben in Bergen 112 Einwohner, und es wurden 113 Kinder eingesegnet. Im Februar 1889 verlobte sich Clara Amtsberg, Tochter des früheren Apothekers F. Amtsberg, mit dem Stralsunder Kunstgärtner Otto Arndt (Stralsundische Zeitung Nr. 31 v. 6. 2. 1889). Am 5. 1. 1889 verstarb in Bergen Emilie Stosch, geb. Domstreich (Stralsundische Zeitung Nr. 6 v. 8. 1. 1889). Am 30. 1. 1889 verstarb der frühere Seilermeister Georg Weinholz (geb. 1829), wie sein Nachfolger Th. Käferlein mitteilte (Stralsundische Zeitung Nr. 27 v. 1. 2. 1889).

Der Lehrerverein zu Richtenberg hatte am 14. 1. 1889 ein Fräulein Brandenburg aus Bergen auf Rügen zur Abhaltung einer Probelektion berufen (Stralsundische Zeitung Nr. 13 v. 16. 1. 1889). Sie bestand alles und würde Ostern in der Stadtschule „auch den Handarbeits-Unterricht an der Stadtschule, der bisher von einer besonderen Handarbeitslehrerin ertheilt (sic) wurde, übernehmen“. 

Anfang Februar 1889 tagte der Vorschuß-Verein zu Bergen a. R., eingetragene Genossenschaft (Stralsundische Zeitung Nr. 22 v. 26. 1. 1889). Ihr Vorstand bestand aus A. Gootz, F. Heberlein und J. Lange.

1889 suchte die Witwe des Th. Lantow einen Schmiedegesellen (Stralsundische Zeitung Nr. 23 v. 27. 1. 1889). Ende Januar 1889 wurde der Konkurs des Bergener Bürgers Lietzke abgeschlossen (Stralsundische Zeitung Nr. 27 v. 1. 2. 1889). Verfügbar blieben 431,46 Mark bei allein 3 400,18 Mark „nicht bevorrechtigter Forderungen“.

“Kaisers Geburtstag“ – das war jeweils der 27. Januar – begann morgens um 7.00 mit einer Choralmusik vom Kirchturm herab durch die hiesige Stadtkapelle (Stralsundische Zeitung Nr. 26 v. 31. 1. 1889). Um 9.00 begann ein Festgottesdienst mit Musik und Fahnen des Kriegervereins. Danach versammelten sich die Krieger zu einem Frühschoppen und abends zu Konzert und Ball mit den Damen. Im „Hotel Ratskeller“ trafen sich 70 Personen zu einem Festessen, vor denen der Landrat Dr. von Koerber sprach. Man schickte ein Grußtelegramm an den Kaiser. Auch die beiden Turnvereine feierten in ihren Vereinslokalen.

Bergen1953, Kirchturm, vorn links das Benedixsche Haus, Foto Kurt Leube

Die Bevölkerung, Wirtschaft, Verwaltung ab 1733

1733 beginnt die Darstellung Bergens in der lexikalischen Welt. So heißt es: „Bergen, eine kleine, aber wohlgebaute Stadt nebst einem Schlosse und Lutherischem Jungfrauen-Closter in Vor-Pommern, auf der Insel Rügen, an einem kleinen See, der Stadt Stralsund gegenüber. Es ist ein offener Ort, welcher anno 1190 zur Stadt gemacht und mit Sachsen besetzt wurde. Diese Stadt hat mit der Insel Rügen einerley Zustand gehabt, und liegt unterm 34. Grad 13. Minute Long (wich) und 54. Grad 36. Minute Latit. Die Gegend hierum heist Bergenland, oder das Land zum Bergen“ (Grosses Universal Lexikon aller Wissenschaften und Künste, Band 3, Halle und Leipzig, S. 1255). Man bezieht sich auf Tromsdorff Accur., Geogr., Zeiler, Topogr. Pomer., Dicel, Geogr. Diction.

Stadtplan von Bergen im Jahre 2004

Das „Neue Konversations-Lexikon, ein Wörterbuch des allgemeinen Wissens“ des Jahres 1871 schilderte Bergen als einen Ort „zwischen wohl angebauten Hügeln“, dessen Einwohner „Ackerbau, Viehzucht, Branntweinbrennereien“ betreiben (Hrsg. Von Hermann A. Meyer, Hildburghausen, Band 3, S. 220). Übrigens erwähnte dieses Lexikon neben dem gesondert dargestellten niederländischen Bergen op Zoom noch weitere vier Orte namens Bergen. Ein gutes Jahrzehnt später hatte das gleiche Lexikon Bergen wesentlich kürzer dargestellt und gab nur noch 3662 Einwohner an (Meyers Konversations-Lexikon, 4. Aufl., Band 2, Leipzig, S. 733).

In der Zeit der Weimarer Republik des Jahres 1932 wurde Bergen ausführlicher als in der späteren DDR-Zeit als „Verkehrsknotenpunkt“, Hauptort und Mittelpunkt der Insel Rügen dargestellt (Der Große Herder. Nachschlagwerk für Wissen und Leben, Band 2, 1932, Freiburg im Breisgau, S. 363). Bergen gehörte als Kreisstadt der „Ortsklasse B“ an und zeichnete sich u. a. durch Maschinen-, Möbel- und Korbwarenfabriken aus. Neben der Kreisverwaltung gab es das Amtsgericht, ein Reformrealgymnasium, zwei Zeitungen – und eine Jugendherberge.

In der DDR-Zeit hatte sich das Bild der Stadt Bergen stark verändert. Auffallend ist die hohe Einwohnerzahl und mit dem 1961 erwähnten Kleiderwerk und einer Holz- und Nahrungsmittel-Industrie eine deutliche Verschiebung der wirtschaftlichen Schwerpunkte. Es liegt 40 m hoch und gehörte nun zum Land Mecklenburg (Meyers Neues Lexikon in acht Bänden, Band 1, 1961, Leipzig, S. 731). Zehn Jahre später war die Darstellung Bergens im Lexikon nur gering variiert (Meyers Neues Lexikon in 18 Bänden, Band 2, 1972, Leipzig, S. 213). Nun wurde nur noch vom Kleiderwerk und der Nahrungsmittelindustrie berichtet, während die Einwohnerzahl weiter angestiegen war. Allerdings wurde der summa summarum 91 m hohe Rugard-Turm abgebildet.

Der Arndt-Turm auf dem Rugard 1937

Die gleiche Schilderung Bergens erfolgte 1985 (B I Universal/Lexikon, Band 1, Leipzig, S. 228). Lediglich die beachtliche Bevölkerungszunahme mit etwa 14 000 Einwohnern war neu. Die Abbildung des Rugard-Turmes erfolgte nicht mehr.

In der Bundesrepublik Deutschland liegt die Stadt Bergen in der Reihenfolge aller „Bergen-Orte“ nur an achter und damit an letzter Stelle (Brockhaus Enzyklopädie in 24 Bänden, 19. Auflage, Band 3, Mannheim, S. 119). Man erwähnte die Marien-Kirche, die „als einzige in Norddeutschland über die vollständige Innenausmalung (Anfang 13. Jahrhundert) verfügt“. Die Wirtschaft stützte sich auf eine Bekleidungs-, Holz- und Nahrungsmittelindustrie“. Das handliche „Lexikon der Büchergilde Gutenberg in 20 Bänden“ des Jahres 1971 (Band 2, München, S. 579) nennt abweichend zur DDR-Angabe 11 300 Einwohner und bezeichnet Bergen etwas irreführend „als landwirtschaftlichen Mittelpunkt mit Fachschule, Möbelfabrik, Fischverarbeitung“. Hervorzuheben ist aber, dass im Unterschied zu den bisherigen Lexika hier ein denkmalgeschütztes Haus – das Benedixsche Haus – abgebildet ist.

Das sog. Benedix’sche Haus am Markt und an der Post, 1984, Foto A. Leube

Einwohner und Verwaltung

Auskünfte über das allgemeine Leben der Stadt und seiner Umgebung waren am Ausgang des 19. Jahrhunderts „Kirchennachrichten“, die der Presse zur Verfügung gestellt wurden. So wurden 1898 177 Paare in Bergen getraut und 127 Säuglinge im Stadtgebiet geboren. Im gleichen Jahr verstarben 111 Einwohner (Stralsundische Zeitung Nr. 3 v. 4. 1. 1899).

Einer der Bürgermeister jener Zeit war Joachim Friedrich Kagelmacher, der im Alter von 73 Jahren – er wurde  also 1769 geboren – am 24. März 1842 verstarb (Stralsundische Zeitung Nr. 37 v. 29. 3. 1842).  Seine Tochter Christiana hatte den Gastwirt J. C. Breitsprecher geheiratet. Sie hatte eine öffentliche „Proclama“ an alle diejenigen gerichtet, die finanzielle Ansprüche an ihren verstorbenen Vater erheben wollten (Stralsundische Zeitung Nr. 154 v. 27. 12. 1842). Ihr Vater hatte ein Wohnhaus mit Stallgebäuden, Haus-, Hof- und Gartenplatz „am alten Kirchhof neben dem Marktpfuhl“ besessen. Die Tochter hatte es bereits wieder veräußert.

Bergener Rathaus im Jahre 1984, Foto A. Leube

Sein Nachfolger wurde W. von Blessingh, der in die Familie Last hinein geheiratet hatte (Stralsundische Zeitung Nr. 136 v. 15. 11. 1842). Seine Stieftochter Wilhelmina Last verlobte sich im November 1842 mit dem Gutsbesitzer August Tiburtius, Dumsevitz (Stralsundische Zeitung Nr. 136 v. 15. 11. 1842). W. von Blessingh teilte im November 1842 mit, dass „die Direction der München-Aachener Feuer-Versicherungs-Gesellschaft der Stadt Bergen zur Verbesserung ihrer Feuer-Lösch-Anstalten die Summe von 125 Thaler Preußisch Courant verehrte, welche nützlich verwandt wird. Diese Wohlthat wird Privatpersonen und Versicherungs-Anstalten zur Nachahmung dankend bekannt gemacht“ (Stralsundische Zeitung Nr. 137 v. 17. 11. 1842).  Im Februar schrieb er die Stelle eines städtischen Polizei-Officianten aus (Stralsundische Zeitung Nr. 20 v. 16. 2. 1843).  Im Sommer 1846 war der Nachtwächter und Stadtsoldat verstorben, so dass von Blessingh dieses Amt, „welches etwa 36 Thaler einträgt“, ausschrieb (Stralsundische Zeitung Nr. 85 v. 16. 7. 1846).

Offenbar unter dem Druck der Ereignisse teilte am 30. April 1848 W. von Blessingh mit, dass er „aus eigenem Antriebe … meine städtischen Aemter heute niedergelegt und die volle Freiheit des Staatsbürgers wiedergewonnen habe“ (Stralsundische Zeitung Nr. 65 v. 30. 4. 1848). Er verblieb in Bergen als „Oberappellations-Gerichts-Advokat und Notarius”.

1846 war ein Dr. W. Wagner, offenbar zweiter Bürgermeister, der im April 1846 eine „neue Abdammung des hiesigen Marktplatzes“ per Entreprenade verkündete (Stralsundische Zeitung Nr. 49 v. 23. 4. 1846). Es ging um eine Fläche von 200 bis 300 Quadratruten. Anfang Juli 1846 war diese Arbeit erledigt, so dass von Blessingh den Markthändlern mitteilte, dass „das Aufbrechen von Steinen und das Einschlagen von Pfählen“ auf dem Marktplatz untersagt ist (Stralsundische Zeitung Nr. 85 v. 16. 7. 1846).

Blick auf den Markt, 1976, Foto Kurt Leube

Zu den Pflasterungen hatte sich im Oktober 1846 auch ein „Steindämmer und Steinschläger“ niedergelassen. Dieser C. Scheel wollte nun seine Arbeiten „den geehrten Bewohnern Rügens“ „zur Zufriedenheit ausführen und vollbringen“.

Bergen in den 1950er Jahren Marktbrunnen an der Stelle des ehemaligen Kriegerdenkmals, Foto Kurt Leube

Unter dem Bürgermeister Dr. Wagner stellte sich auch mit L. Tetzloff ein Tierarzt I. Klasse ein (Stralsundische Zeitung Nr. 72 v. 16. 6. 1846). Dieser Tierarzt verlobte sich mit einer Henriette Maria Benedix am 14. September 1846 (Stralsundische Zeitung Nr. 111 v. 15. 9. 1846). Ein Jahr später war der Schwiegervater und zugleich Schuhmacher-Altermann Bernhard Benedix verstorben. Sein Haus befand sich mit zwei Stallgebäuden und den entsprechenden Zäunen und Plätzen in der Gingster Straße Nr. 7 (Stralsundische Zeitung Nr. 95 v. 10. 8. 1847). Am 13. 4. 1848 verstarb auch dessen Ehefrau (Stralsundische Zeitung Nr. 89 v. 30. Mai 1848).

Bergen war um die Jahrhundertwende, um 1800, auch ein gern bewohnter Sitz adliger Familien und pensionierter Militärs. So war Ende 1796 oder zu Beginn 1797 der „Capitain“ Meuckow in Bergen verstorben (Stralsundische Zeitung Nr. 19 v. 11. 2. 1797). Seine „minorennen Erben“ boten Wohnhaus „mit Hintergebäuden, Ställen, Scheunen, Garten und sonstigem Zubehör“ am Markt zum Kauf an. 1819 teilte Frau von Usedom, geborene von der Lancken, mit, dass „aus meinem Hause Nr. 16 Raddaßerstraße, 4 Eßlöffel, à Stück 6 Loth entwandt worden; selbige sind mit dem Usedomschen Wappen und mit dem Namen des Goldschmidt C. C. Papcke, versehen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 85 v. 17. 7. 1819).

Königstraße und Ecke Marktplatz1985, Foto A. Leube

Am Markt 4 lebte die verwitwete Frau Henriette von Gagern, geborene von Platen, die ihr Wohnhaus mit Stallgebäude, Befriedigungen, Haus-, Hof- und Gartenplatz dem Schuhmacher Honath und dessen Frau Friederika Henriette, geb. Wenschow, „zu Eigentum überließ“ (Stralsundische Zeitung Nr. 145 v. 3. 12. 1846). Sie erhielten auch „das gesammte Mobiliar an Gold, Silber, Betten, Leinzeug, herrschaftliche Mobilien, Haus- und Küchengeräth, Kleidungsstücke“.

Im Januar 1848 teilte Axeline von Hove mit, dass ihre Tante Demoiselle Barbara Marie Spalding mit 91 Jahren verstorben sei (Stralsundische Zeitung Nr. 7 v. 18. 1. 1848).  

Mitte Oktober 1847 nahm der Schuhmachermeister den Adolph Berger auf, der ein Posamentier-, Tapisserie- und Kurzwaren-Geschäft am Markt aufmachen wollte (Stralsundische Zeitung Nr. 123 v. 14. 10. 1847).

In Bergen verstarb – leider ohne Ortsangabe – im April 1846 die „Frau Majorin“ von Colmar (Stralsundische Zeitung Nr. 49 v. 23. 4. 1846). Vom Nachlass wurden „herrschaftliche Mobilien, Haus- und Küchengeräth“ öffentlich auktioniert. In der Vieschstraße Litt. C Nr. 18 und 19 verkaufte das Fräulein Julie von der Osten zwei Häuser an die Pastorin Schulz, Patzig, und an die Ehefrau des Maurers Kamradt, geb. Willmann (Stralsundische Zeitung Nr. 109 v. 10. 9. 1846).  

Am 7. Januar 1847 verstarb in Bergen die verwitwete 87jährige Frau von Harder (geb. 1760), geborene von Smiterlöw (Stralsundische Zeitung Nr. 4 v. 9. 1. 1847). Sie wohnte in der Kalandstraße „Die Kinder und Erben“ boten das Haus zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 44 v. 13. 4. 1847). Es war ein Haus mit einer „Freistelle“! (Stralsundische Zeitung Nr. 76 v. 26. 6. 1847).

Gleichfalls 1847 verstarb in Bergen die verwitwete Frau Rittmeister von Platen-Ventz, geb. von der Lancken, im Alter von 78 Jahren (Stralsundische Zeitung Nr. 73 v. 19. 6. 1847). Ihr folgte wenige Tage später die verwitwete Frau von Gagern, geb. von Platen, im 86. Lebensjahr in Bergen (Stralsundische Zeitung Nr. 76 v. 26. 6. 1847).

In diesem Jahr scheint auch der „vormalige Königliche Amts-Justitiarius Carl Balthasar Schneider verstorben zu sein (Stralsundische Zeitung Nr. 80 v. 8. 7. 1847). Am 9. Juli 1847 verstarb „nach langem Leiden“ der Bergener Schulrektor Carl Friedrich Droysen (geb. 1789) im 34. Jahr seiner Amtsführung (Stralsundische Zeitung Nr. 83 v. 13. 7. 1847). Es kondolierten die Kinder und die Schwester.

Zu Ostern 1848 schrieb das Bergener „Scholarchat“ die Besetzung aus: „Geprüfte Schul-Amts-Kandidaten, welche auf diese Stelle reflectiren, wollen baldigst, unter Beifügung ihrer Zeugnisse, sich bei der unterzeichneten Behörde, welcher die Präsentation bei der Landes-Regierung zusteht, melden“ (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 30. 3. 1848).

Der Verkauf von Wohnhäusern im Stadtgebiet unterlag dem Bürgermeister und dem Rat der Stadt Bergen, die die Immobilien im Rathaus dann öffentlich versteigerten und ein „höchst annehmliches (Ge)Both“ erwarteten. Das kam oft nicht und so musste die Auktion mehrfach  durchgeführt werden. Dazu wurden alle Gläubiger durch eine Annonce, die den Titel „Publicandum et Proclama“ trug, zum Erscheinen aufgefordert. Der Begriff der „Proclama“ (lat., „Ausrufen“ oder „Bekanntmachung“) ist ein Begriff des alten Kaiserlichen Reichs-Kammer-Gerichtes. Darin wurde zu einer Auktion oder Subhastation aufgerufen. Die Subhastation (lat. sub hasta) ist eine öffentliche und gerichtliche Versteigerung eines streitbaren Erbes.

GoldenerBrink, 2014, Foto A.Leube

In der Stralsunder Straße befand sich noch im Dezember 1842 das „Armenhaus“ mit acht Wohnungen (Stralsundische Zeitung Nr. 148 v. 13. 12. 1842). Dazu gehörten Befriedungen, Haus-, Hof- und Gartenplätze, die im Dezember 1842 zum Kauf angeboten wurden.

Nach dem Verkauf annoncierte der neue Besitzer erneut in der Zeitung und suchte in einer  öffentlichen „Proclama“ seine Sicherheit. Nun sollte jeder, der noch rechtliche Forderungen besaß, die innerhalb eines bestimmten Zeitraumes anmelden.

Die Stralsunder und Rügenschen Zeitungen waren bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts in erster Linie als  „Anzeigenblätter“ für derartige Aktionen zu verstehen.

1828 gab es den Ratsdiener Schreiber, der in der Vieschstraße (hin und wieder in Annoncen verschrieben als „Fischerstraße“) ein Haus hatte und in dem sich im April 1828 der „Königliche Hofgerichts-Advokat“ W. v. Blessingh zeitweise niederließ. Im gleichen Jahr erwarb der Kreissekretär Rechlien das in Bergen gelegene Haus des verstorbenen Hauptmann von Kahlden von Normann mit Nebengebäuden, Waschhaus, Gärten und Zäunen (Stralsundische Zeitung Nr. 53 v. 1. 5. 1828). 1842 wiederum unterzeichnete für die „Stadtgerichtskanzlei“ ein H. Barckow (z. B. Stralsundische Zeitung Nr. 139 v. 22. 11. 1842).

Im Februar 1848 kündigte der Kreissekretär Friedrich Hanse seine Verlobung mit Auguste Fank an (Stralsundische Zeitung Nr. 24 v. 26. 2. 1848).

Rathaus des ehem. Landkreises Rügen,, Foto A. Leube 2010

Bergen war natürlich der Sitz der Kreisverwaltung und des Landgerichtes. 1797 und 1844 wirkten am Gericht der „Herr Landgerichts-Secretair von Santen“ wie auch die Herren Oom und Odebrecht (Stralsundische Zeitung Nr. 23 v. 23. 2. 1797; Nr. 116 v. 26. 9. 1844; Nr. 118 v. 1. 10. 1844). A. Odebrecht war „Königlicher Kreisrichter“ und heiratete im Oktober 1844 Bertha Rechlin  (Stralsundische Zeitung Nr. 128 v. 24. 10. 1842). In Bergen gab es aber auch private Notare und Advokaten. 1844 verhandelte der Advokat Bööck die Verpachtung des bei Bergen gelegenen Gehöftes Schabernack, das „zum Absatz aller ländlichen Producte bequem gelegen“ ist (Stralsundische Zeitung Nr. 151 v. 17. 12. 1844).

In der Stralsunder Straße hatte auch die Witwe Bremer ihr Wohnhaus mit 4 beheizbaren Zimmern, Kammern, Küche und Speisekammer sowie Kuh- und Pferdeställe (Stralsundische Zeitung Nr. 12 v. 28. 1. 1847), darunter ein Gelass für 14 Pferde. Sie wollte alles zum 12. 2.  1847 verkauen.

Medizin und Mediziner in Bergen

Am 19. 2. 1843 verstarb nach längerem Leiden der Königliche Kreisphysikus Dr. med. und Dr. chirurgiae Christian Gustav Hecker (geb. 1793). Die Schwester Franziska Hecker schrieb im Nachruf: „Für die herrlichen, dem Lebenden verliehenen Gaben, die er 26 Jahre hindurch der leidenden Menschheit mit so vieler Uneigennützigkeit und unermüdlichen Thätigkeit widmete, gebühret dem Geber die Ehre“ (Stralsundische Zeitung Nr. 23 v. 23. 2. 1843).

Im September 1843 teilte der „Königliche Kreiswundarzt“ Bombelon mit, dass er „jetzt Königstraße im Hause des Herrn Conducteur Böck“ wohnt (Stralsundische Zeitung Nr. 116 v. 28. 9. 1843). Am 1. Januar 1848 ließ sich Dr. Urban „als praktischer Arzt, Operateur und Geburtshelfer“ in Bergen nieder (Stralsundische Zeitung Nr. 2 v. 6. 1. 1848).

Noch am 30.12. 1899 wurde der Kreisphysikus Dr. Settegast, „der seit einer ganzen Reihe von Jahren hierselbst amtiert“, zum Sanitätsrat ernannt (Stralsundische Zeitung Nr. 1 v. 1. 1. 1899). Zur gleichen Zeit wirkte in Bergen der Arzt Dr. Biel, der zugleich Vorsitzender des Kriegervereins war (Stralsundische Zeitung Nr. 3 v. 4. 1. 1899).

Die Kirche in Bergen

Auch in jener Zeit war die Kirche das Maß aller Dinge und gehörte natürlich zum Alltagsleben. Allein im Jahre 1897 nahmen 951 Gemeindemitglieder am kirchlichen Leben aktiv teil (Stralsundische Zeitung Nr. 3 v. 4. 1. 1899). 1898 wurden 99 Jugendliche konfirmiert und 46 Paare kirchlich getraut.

Das Kircheninnere der Bergener Marienkirche, 2005, Foto A. Leube

Ein A. Melkers zeigte „ergebenst“ die Geburt einer Tochter durch seine Frau Therese, geb. Dammas, an (Stralsundische Zeitung Nr. 118 v. 3. 10. 1843)

Das Küsterhaus neben der Kirche im Januar 1985, Foto A. Leube

1843 bot J. Wothcke von der „Bodtstelle bei Bergen“ seinen 1842 erbauten Spitzkahn und sein Wohnhaus, „worin seit Jahren die Schankwirthschaft betrieben worden, nebst 7 Pommersche Morgen tragbaren Ackers, als mein Eigenthum, aus freier Hand zum Verkauf dar“ (Stralsundische Zeitung Nr. 9 v. 21. 1. 1843).

Das Haus des Superintendenten, Billrothstraße 1, 2005, Foto A. Leube

Ende Oktober 1843 verkaufte „der Commissariats-Reiter und Pferdehändler“ Georg Rinck seine zwei Pomm. Morgen zwischen der Schweineweide und der Stralsunder Landstraße (Stralsundische Zeitung Nr. 133 v. 7. 11. 1843).

Gleichzeitig bot G. C. Sengbusch sein Wohnhaus mit 4 heizbaren Zimmern, 2 Kammern, 2 Küchen nebst Stallungen in der Raddass-Straße Lit. B Nr. 15 zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 10 v. 24. 1. 1843).

Im Februar 1843 war auch der Ackerbürger Johann Manfraß, Calandstraße Litt. S Nr. 3, in Konkurs geraten (Stralsundische Zeitung Nr. 25 v. 28. 2. 1843). Er bot ein Haus mit Anbau und Garten etc. sowie 7 Morgen Pomm. Maßes nebst Saaten und Ackerarbeiten an.  

Die „Kaufmanns-Compagnie“

Eine der wirtschaftlichen Vereinigungen, die es im 19. Jahrhundert gab, war die  „Kaufmanns-Compagnie“, der im Jahre 1844 die Kaufleute G. F. Bützow und W. A. Block vorstanden (Stralsundische Zeitung Nr. 146 v. 5. 12. 1844). Sie veranlassten offenbar, „daß an Sonn- und Festtagen, während des Gottesdienstes, unsere sämmtlichen Läden geschlossen sind, da während dieser Zeit kein Verkauf Statt finden darf. Bergen, den 3. December 1844“

Kaufmann Johann Carl Theodor Gau

Im Januar 1843 bot ein J. C. Gau „mein neu in der Fischstraße erbautes Wohnhaus, worin sich 6 heizbare Stuben, mehrere Kammern und ein großer Kellerraum befinden, wünsche ich aus freier Hand zu verkaufen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 11 v. 26. 1. 1843). Das Haus wurde vom Bäckermeister J. C. Woller erworben, der „sowohl weißes als grobes Brod in verschiedenen Gattungen“ anbot (Stralsundische Zeitung Nr. 26 v. 2. 3. 1843). Er hatte noch mehrere Monate später das Haus nicht verkauft (Stralsundische Zeitung Nr. 65 v. 1. 6. 1843). Am 17. 8. 1843 teilte J. C. Gau mit, dass seine Tochter Louise im Alter von 13 Jahren am Nervenfieber verstorben sei (Stralsundische Zeitung Nr. 100 v. 22. 8. 1843).

Am 13. 9. 1843 bot Gau „wegen überflüssigen Raumes“ seine zwei „meistens neu erbauten Häuser“ meistbietend zum Verkauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 112 v. 19. 9. 1843). Gau bot außerdem noch eine Wohnung zur Miete an. Im Oktober 1844 wurden aus der „Concursmasse“ die „Mobiliargegenstände“ wie Haus- und Küchengerät, Betten und Leinzeug verkauft  (Stralsundische Zeitung Nr. 123 v. 12. 10. 1844).

Noch im Dezember 1844 waren seine Wohnhäuser Vieschstraße Nr. 7, 9 und 26 nicht verkauft (Stralsundische Zeitung Nr. 151 v. 17. 12. 1844)

Kaufmann W. A. Block

W. A. Block bot an: „Rothen und weißen Bischoff, von grünen Pommeranzen angefertigt, à Flasche 15 sgr., alten Roth- und Weißwein, à Flasche 11 sgr., Madeira 15 sgr., Punsch-Extract, à Ot. 17 sgr., und feine Rum’s“ (Stralsundische Zeitung Nr. 93 v. 4. 8. 1846). (sgr. – Silbergroschen)

Eine größere Annonce gab Block, Dammstraße Nr. 23, „zum bevorstehenden Berger Markt“ Ende Oktober 1846, in dem er sein umfangreiches Lebensmittelangebot ankündigte  (Stralsundische Zeitung Nr. 128 v. 24. 10. 1846). Außerdem wies er auf seine „neu etablirte Putz-Handlung“ hin, die er „direct aus Leipzig erhielt“.

Nadler

Am Markt in Bergen verstarb 1796 in ihrem Haus die Witwe des verschuldeten Nadlers Günther (Stralsundische Zeitung Nr. 1 v. 3. 1. 1797). Sie war die Tochter des verstorbenen Nadlers Rudolph. Ihre Kinder und deren Vormünder boten das Haus zum Verkauf an.

Riemermeister u. dgl.

Der verstorbene Sattler und Riemermeister Johann Friedrich Spiegel wohnte in der Königstraße Nr. 29 (Stralsundische Zeitung Nr. 155 v. 28. 12. 1844). Er besaß Wohnhaus, Stallgebäude, Einfriedungen, Haus-, Hof- und Gartenplatz mit 3 ½ Morgen Pomm. Maßes und eine Wiese.

1847 wurde im Hause des Sattlers Spiegel der Nachlass seiner Witwe Amalie Müller, geb. Taxtero, angeboten (Stralsundische Zeitung Nr. 36 v. 25. 3. 1847).

1848 bot der Handschuhmacher und gepr. Bandagist G. Festerling alle Sorten Bruchbänder, Schnürstrümpfe, Rückenmaschinen und alle sonstigen Bandagen an (Stralsundische Zeitung Nr. 31 v. 14. 3. 1848).

 Tischler, Zimmermann und Zimmermeister

Auch das Wohnhaus des verstorbenen Kreis- und Brand-Kassen-Zimmermeisters Johann Heinrich Peters in der Königstraße Litt E Nr. 50 mit angebautem Stall und entsprechenden Plätzen war „zum öffentlichen Verkauf“ angesetzt (Stralsundische Zeitung Nr. 13 v. 31. 1. 1843; Stralsundische Zeitung Nr. 109 v. 12. 9. 1843).

Blick in die Königstraße, 1985, Foto A. Leube

Im Februar 1843 wurde das Wohnhaus des Tischlermeisters Johann Friedrich Wilhelm Heim, Königstraße Litt. E. Nr. 20, mit einer Scheune und den entsprechenden Haus-, Hof- und Gartenplätzen zum 9. März 1843 zwangsversteigert (Stralsundische Zeitung Nr. 20 v. 16. 2. 1843).

Der Zimmermeister Voigt bot im April 1843 „mein in der Dammstraße neu erbautes Haus, worin sich das Post-Büreau befindet, … aus freier Hand zu verkaufen“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 48 v. 22. 4. 1843).

Häuser in der Dammstraße, 1985, Foto A. Leube

Im Juni 1848 empfahl der Tischlermeister J. Rhode sein neues „Sarg-Magazin“ (Stralsundische Zeitung Nr. 101 v. 15. Juni 1848).

1848 gab es den Postmeister Eifler mit Frau und zwei Töchtern (Stralsundische Zeitung Nr. 32 v. 16. 3. 1848). Seine Frau war die Tochter des Kaufmanns W. Kufahl.

Alte Tür Dammstraße 6, 1979, Foto A. Leube

Der Tischlermeister Carl Rufinus Gramß erwarb in der Wasserstraße Litt. J. Nr. 9 das Grundstück des Schuhmachermeisters Carl Friedrich Walz mit Wohnhaus und Anbau (Stralsundische Zeitung Nr. 55 v. 9. 5. 1843). Noch 1898 verkaufte der Hausbesitzer Karl Graf von seinem Grundstück Wasserstraße Nr. 3 die ungefähre Hälfte in Größe eines preußischen Morgens an den Besitzer des Nachbargrundstücks Gärtnereibesitzer Johann Schäfer für 1 200 Mark (Stralsundische Zeitung Nr. 6 v. 7. 1. 1899).

In der Weidenstraße Lit.  F Nr. 12 hatte der Tischlermeister Olof Walther seine Werkstatt (Stralsundische Zeitung Nr. 112 v. 17. 9. 1844). Seine Frau Catharina Anna Dorothea, geborene Schröder, hatte sich von ihm scheiden lassen. Ihr Nachlass umfasste Wohnhaus nebst Koven, Befriedungen, Haus-, Hof- und Gartenplatz und wurde durch den Bürgermeister von Blessingh zum Kauf angeboten.

Der Tischlermeister C. Kloock (oder auch Klock) bot zum bevorstehenden „Berger Markt“ „eine Auswahl elegant und dauerhaft gearbeiteter Mobilien“ an: das waren Schreib-Sekretäre, Kommoden, Sofas, Sofa-Bettgestelle, Spiel- und andere Tische, Stühle, Koffer mit Messingbeschlägen usw. (Stralsundische Zeitung Nr. 129 v. 26. 10. 1844).

Der Tischlermeister Georg Adolph Weidenbaum hatte 1844 von der Witwe Philippine, geb. Huldberg, des Kaufmanns Wilcken das Wohnhaus in der Königstraße Litt. E. Nr. 7 mit Stallgebäuden, Einfriedungen, Haus-, Hof- und Gartenplatz erworben (Stralsundische Zeitung Nr. 135 v. 9. 11. 1844). Parallel dazu bot er sein bisheriges Wohnhaus Königstraße Litt. E. Nr. 18 mit „mehreren heizbaren Zimmern, Stallgebäude, Hofraum und Gartenplatz mit Befriedung“ zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 136 v. 9. 12. 1844).

                                                                    Schlosser

Der Schlossermeister Carl Gustav Krüger verkaufte sein Grundstück „hinter dem Markt“ (Nr. 178) an den Scherenschleifer Richter (Stralsundische Zeitung Nr. 104 v. 29. 8. 1829).

Die Marktstraße im Jahre 1956, Ansichtskarte

1844 ließ sich der Schlossermeister Carl Anders in Bergen, Königsstraße, nieder. Er wollte alle Arbeiten „mit der größten Pünktlichkeit zur Zufriedenheit ausführen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 76 v. 25. 6. 1844).

Schuster, Schuhmacher

1819 verkaufte „der Bürger und Goldschmied Georg Nicolai“, Kalandstraße „sub No. 222“, 1½ (Pommerschen) Morgen „nebst der daran stoßenden kleinen Wiese“ an den Schustermeister Gootz, Bergen (Stralsundische Zeitung Nr. 94 v. 7. 8. 1819).

1819 verkaufte der „hiesige Bürger und Schustermeister Johann Christian Zentner“ sein in der Königstraße sub No. 121 gelegenes Wohnhaus mit einem dabei gehörenden Morgen Acker „an die Ehefrau des Schlächters Krüger“ (Stralsundische Zeitung Nr. 97 v. 14. 8. 1819).

1843 verstarb der Schuhmacher Altermann Johann Bernhard Benedix und hinterließ eine Scheune in der Gingster Straße Litt. R Nr. 7 sowie zwei Ackerstücke am Parchtitzer Weg und am Nonnensee mit einem Wiesenstück  (Stralsundische Zeitung Nr. 97 v. 15. 8. 1843).

Mitte des Jahres 1844 erwarb C. W. Grahl Haus, Hof- und Gartenplatz des Schuhmachermeisters und Fuhrmanns J. T. Stielow (Stralsundische Zeitung Nr. 70 v. 11. 6. 1844). Dazu gehörte ein Ackerstück, das als „sogenannter Bedienten-Morgen“ bezeichnet wurde.

Mitte April 1846 erwarb der Schuhmachermeister Johann Gottlieb Koos das Grundstück des Gastwirts Johann Carl Müller in der Gingster Straße Nr. 10 (Stralsundische Zeitung Nr. 51 v. 28. 4. 1846).

Im Dezember 1846 erwarb der Schuhmachermeister Friedrich Christian Fock das eingezäunte Wohnhaus mit angebauten Ställen, Haus-, Hof- und Gartenplatz von der Witwe Goldberg, geborene Jasper, in der Neuenstraße  Nr. 3 (Stralsundische Zeitung Nr. 1 v. 2. 1. 1847).

Ein Schuhmachermeister Andreas Goldberg verkaufte ein Ackerstück und dazu Heideland am Zittvitzer Weg, das neben dem Acker des „Ackersmanns“ Johann Joachim Niemann und des Stellmachers Möller lag (Stralsundische Zeitung Nr. 19 v. 13. 2. 1847).   Wenige Monate später verkaufte er sein gesamtes neu erbautes Haus in der Wasserstraße mit 4 heizbaren Wohnstuben, 4 Kammern, 4 Küchen und bedeutendem Bodenraum sowie Gartenplatz (Stralsundische Zeitung Nr. 56 v. 11. 5. 1847).

Der Tagelöhner Friedrich Halliger kaufte vom Schuhmachermeister Johann Georg Stahlbrode dessen Wohnhaus mit Gartenhaus und Stallgebäuden sowie den Plätzen und Zäunen in der Königstraße 32 (Stralsundische Zeitung Nr. 3 v. 7. 1. 1847).

„Behufs zu gewährender Vermögens-Uebersicht“ und zum „Abtrage von Kaufgeldern intendirte Anleihe“ stellte sich der Schuhmachermeister Carl Bernhard Karsten, Radasser Straße Nr. 15, mit Wohnhaus, Stallgebäude, Auffahrt, Zäunen, Haus-, Hof- und Gartenplatz (Stralsundische Zeitung Nr. 27 v. 4. 3. 1848).

                                                                Putzgeschäft

Ein „gut sortirtes Putzgeschäft mit sehr billigen Preisen; als Hüte, Hauben, Negligè-Hauben, gestickte Mullhauben für Damen und Kinder, ferner Damenkragen aller Façons, Chemisetts, Klappkragen, Manchetten, so wie auch Tülls, Blumen und Bänder“ bot S. bzw. C. Müller in der Gingster Straße an (Stralsundische Zeitung Nr. 87 v. 21. 7. 1846).

Auch 1847 bot er Putz- und Modewaren an (Stralsundische Zeitung Nr. 34 v. 20. 3. 1847).

Stuhlmacher

Der Stuhlmacher F. P. Fock verkaufte Ende April 1846 sein Wohnhaus mit Garten an der Stralsunder Landstraße (Stralsundische Zeitung Nr. 51 v. 28. 4. 1846).

Zum Weihnachtsfest 1842 offerierte ein G. Schulz „aus Bergen“, dass er „mit dem Frachtfuhrwerk zwischen Bergen und Stralsund“ den Verkehr aufnehmen wolle, versprach „reelle Behandlung“ und bat „um recht viele Aufträge“ (Stralsundische Zeitung Nr. 151 v. 20. 12. 1842). Zu dieser Zeit gab es bereits mit Valentin Müller einen Unternehmer, der Frachtfuhren zwischen Altefähr und Bergen durchführte (Stralsundische Zeitung Nr. 8 v. 19. 1. 1843).

Gastwirt und Gastwirtschaften

Wenig bekannt ist über einen Gastwirt Stark am Markt (Stralsundische Zeitung Nr. 126 v. 20. 10. 1829).

Gaststätte zum Stern am Markt, 1984, Foto A. Leube

Am 6. 1. 1899 verstarb der Gastwirt Robert Gronert (geb. 1845), dessen Frau Anna die Todesanzeige aufgab (Stralsundische Zeitung Nr. 7 v. 8. 1. 1899).

Ratskeller mit Apotheke, 2011, Foto A. Leube

Gastwirt Titus Fahrnholz

Am 8. 12. 1844 verstarb die Gastwirtin und Witwe Maria Dorothea Fahrnholz, geb. Eichstädt (Stralsundische Zeitung Nr. 149 v. 12. 12. 1844). Sie wohnte in der Gingster Straße Litt. R. Nr. 11. Im Februar 1845 wurde das Wohnhaus mit Stallgebäuden usw. angeboten, „worin bisher mit gutem Erfolge Gast- und Schenkwirthschaft betrieben ist“ (Stralsundische Zeitung Nr. 17 v. 8. 2. 1845). Zum Besitz gehörte die Scheune außerhalb der Stadt an der Schweineweide und zwei Pommersche Morgen am Kriechmoor-Weg.

                                                                 Gastwirt Behm                     

Der Gastwirt Behm suchte 1846 für ein Gut einen Stellmacher (Stralsundische Zeitung Nr. 55 v. 7. 5. 1846).

Gastwirt Schütze

Der Gastwirt Schütze bot 1848 „ächt Portugiesische Weine“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 30. 3. 1848).

Glasermeister

Im Januar 1828 verstarb der 52jährige Glasermeister und Altermann Johann Andreas Schmidt (1776-1828), der mit einer verwitweten Schmidt, geborenen Krönert, verheiratet war  (Stralsundische Zeitung Nr. 13 v. 29. 1. 1828). Die Witwe gab bekannt, dass ihr Sohn Carl Schmidt die Profession für Bergen und Putbus weiterführen wird.  Parallel dazu gab der Glasermeister Johann Friedrich Schmidt, sen. in der Dammstraße Nr. 257, „wegen Altersschwäche“ sein Geschäft auf und übergab seinem jüngsten Sohne Johann Gottfried Augustin Schmidt, gleichfalls Glasermeister, das Geschäft (Stralsundische Zeitung Nr. 13 v. 29. 1. 1828).

Müller und Müllermeister

In seiner 1994 publizierten Darstellung „Rund um die Stadt den Wind genutzt. Die Mühlen und das Müllerhandwerk in Bergen“ (Ostsee-Zeitung v. 12.11. 1994. 17) beginnt der Bergner Stadthistoriker Karl Zerning  zwar mit dem Jahr 1630, geht aber erst mit dem Jahre 1700 ins Detail. In diesem Jahr schlossen sich die Müller der Insel Rügen zum „Rugianischen Mülleramt zu Bergen“ zusammen.

1771 gab es in Bergen vier Windmühlen, von denen zwei der Stadt und zwei der schwedischen Krone gehörten. 1788 hatte sich diese Zahl auf fünf Müller und zwei Roßmüller erhöht. Es gab damals private und fiskalische oder Amtsmühlen. Der älteste bekannt gewordene Bergener Müller war ein Hinrich Stoll (vor 1756). Außerdem gab es 1756 Johann Joachim Hagen als Müller der Stadtmühle, 1763 Jochen Svertfeger auf der „Obermühle“, 1778 Joachim Christopher Hiddike auf dem Rugard. 1788 wurden die Müller Büxel, Hagemann, Dehmlow, Hagen und Kröger genannt. Karl Zerning macht dann einen zeitlichen Sprung und erwähnt in seinem Beitrag erst wieder für das Jahr 1853 die Existenz der Müller Röhl, Colberg und Grahn.

Diese bemerkenswerte Fleißarbeit lässt sich in bescheidener Weise durch Berichte der „Stralsundischen Zeitung“ ersetzen. Diese Presseberichte sind natürlich recht einseitig und nur als Anzeigen zu bewerten. So hießen die ersten Zeitungen auch „Anzeigenblätter“.

Wir beginnen mit dem Jahr 1819 und enden 1848:

1819 wird ein Müller Anders erwähnt, der „eine am Zirkowschen Wege in der sogenannten Koldevitzer Koppel, zwischen den Wiesen des Schustermeisters Adam Benedix, des Ackersmanns Heinrich Müller und der Wittwe Frey belegene Wiese“ erwarb (Stralsundische Zeitung Nr. 67 v. 5. 6. 1819).

1829 gab es einen Müller Meyer in Bergen. An dessen Ehefrau verkaufte der Töpferaltermann Gustav Adolph Schulz 5 Morgen Ackerland (Stralsundische Zeitung Nr. 66 v. 2. 6. 1829). Die Äcker lagen am Prisvitzer Weg und am Reischvitzer Bruch. Warum die Ehefrau des Müllers – das Wort „Witwe“ wird nicht genannt – Land kaufte in dieser sehr patriarchalischen Zeit und nicht der Müller selbst, bleibt ein Geheimnis.

In diesem Jahr 1829 ging der Roßmüller Johann Friedrich Hoffstädt in Konkurs und meldete Insolvenz an (Stralsundische Zeitung Nr. 97 v. 13. 8. 1829). Zur verkaufenden „Concursmasse“ gehörte sein Haus Joachimsberg, Grundstücks-Nr. 175 „nebst der darin befindlichen Roßmühle“. Bereits 1819 bot Johann Küther ein Haus auf dem Joachimsberg (man schrieb fälschlich: Johannisberg) Grundstücks-Nr. 173 zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 78 v. 1. 7. 1819).

Für das Jahr 1829 wird ferner ein Müller Christian Schulz erwähnt. Er informierte, dass er mit dem „Hausierhändler“ Johann Heinrich Beetz das Grundstück des Schneidermeisters Wöller erworben habe  (Stralsundische Zeitung Nr. 128 v. 24. 10. 1829). Das beachtlich große Grundstück bestand aus zwei Häusern und lag in der Dammstraße Grundstücks-Nr. 274 Litt. F. und Nr. 266. Dazu gehörten zwei Morgen „am Steinsod“ und 1½ Morgen an der Gademowschen Grenze.

Anfang April 1843 bot der Müllermeister Johann Heinrich Carl Dehmlow „sein hieselbst (sic) am rothen (sic) See belegenes Wohnhaus nebst dabei befindlichen Stallgebäuden und Scheune, so wie eine holländische Windmühle, alles in gutem Zustand, aus freier Hand zu verkaufen (an); bemerkt wird noch, daß bei diesem Wesen 3½ Morgen Acker Pomm. Maaß befindlich sind“ (Stralsundische Zeitung Nr. 43 v. 11. 4. 1843; Stralsundische Zeitung Nr. 116 v. 28. 9. 1843). Noch am 6. 7. 1844 wurde erneut der Verkauf der „Concursmasse“ des Müllermeisters Dehmlow angekündigt (Stralsundische Zeitung Nr. 84 v. 13. 7. 1844). Offenbar hatte in dieser krisenhaften Zeit in Bergen niemand Geld zum Kauf einer Mühle.

Ende Mai 1843 bot auch der Müller Julius Seegert sein Mühlen-Gehöft am „unteren Ende“ der Stralsunder Straße mit ca. 3½ Pommerschen Morgen Acker zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 65 v. 1. 6. 1843).

In der Königstr. No. 24 wohnte 1846 der Müller-Altermann Röhl, den Karl Zerning bereits nannte. Er war zu dieser Zeit verstorben und so bot seine Witwe Friederica Louisa, geborene Wiese, das Grundstück mit Haus, Befriedungen (darunter verstand man: Zäune, Mauerwerk), Haus-, Hof- und Gartenplatz zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 93 v. 4. 8. 1846).

Im März 1848 wurden Mühle und Grundstücke des verstorbenen Müllermeisters Heinrich Meyer in der Rugard-Heide zum Kauf angeboten   (Stralsundische Zeitung Nr. 35 v. 23. 3. 1848). Es waren Wohnhaus, Koven (meist im damaligen Verständnis: ein Schweinestall), Scheune, Zäune, Bockmühle mit Inventar und 12½ Pommersche Morgen Ackerland (Stralsundische Zeitung Nr. 41 v. 31. 3. 1848).

Die sicher sehr fragmentarische Übersicht der in Bergen in den 100 Jahren von 1756 bis 1853 lebenden und wirkenden Müller belegt mit gebotener Vorsicht, dass nur zwei bis drei Familien eine Mühle im jahrzehntelangen Besitz besaßen. Die Familie Hagen wird zwischen 1756 und 1788 erwähnt, die Familie Dehmlow zwischen 1788 und 1843 und die Familie Röhl zwischen 1846 und 1853. Offenbar war die Müllerei – zumindest in Bergen – doch kein so lukratives Geschäft. Mühlen brannten oft ab und konnten nicht wieder von der gleichen Familie aufgebaut werden, wie auch der oft frühzeitige Tod des Müllers zu Änderungen zwang. Außerdem waren viele Mühlen Pachtmühlen.

Uhrmacher

1844 gab es bereits den Uhrmacher Giesow am Markt in Bergen (Stralsundische Zeitung Nr. 129 v. 26. 10. 1844). 1847 bot er zum Ostermarkt eine Mietswohnung an (Stralsundische Zeitung Nr. 27 v. 4. 3. 1847).

Uhrenreparatur in der Kirchstraße, 1985, Foto A. Leube

Kaufleute, Handwerker, Konkurse und Neubau

Die Firma A. F. Nahmmacher

Ein Geschäft mit offenbar breitem Angebot hatte 1828 A. F. Nahmmacher in Bergen inne: „Bestellungen auf gute Schaafhorten, zum Frühjahr zu liefern, können gemacht werden“ (Stralsundische Zeitung Nr. 19 v. 12. 2. 1828).  Im März 1828 suchte er zum Kauf Kirschbaum-Planken und im April bot er halbweißes Fensterglas an (Stralsundische Zeitung Nr. 28 v. 4. 3. 1828; Stralsundische Zeitung Nr. 47 v. 17. 4. 1828). 1829 bot er „Einmach-Bouteillen und alle Sortern kleine und größere Häfen zu haben bei mir“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 93 v. 4. 8. 1829). In Rostock gab es zu dieser Zeit einen Kaufmann Wilhelm Nahmmacher (Stralsundische Zeitung Nr. 98 v. 15. 8. 1829). Im April 1843 offerierte A. Nahmmacher „alle Sorten eiserner Grapen und emaillierten eisernen Kochgeschirrs, als: Töpfe, Tiegel, Pfannen, auch Kuchen- und Waffeleisen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 4. 4. 1843). Im Mai 1843 erweiterte er sein Angebot mit „schweren greisen Wollsacklein“ (Stralsundische Zeitung Nr. 55 v. 9. 5. 1843). Im September 1844 vermittelte er den Verkauf von mehreren 1000 Mauersteinen (Stralsundische Zeitung Nr. 116 v. 26. 9. 1844). Zum Weihnachtsfest empfahl er sein „kleines Sortiment Spielsachen für die Kinder“ (Stralsundische Zeitung Nr. 151 v. 17. 12. 1844).

Am 12. 10. 1843 bot A. Nahmmacher „eine complette Häckselmaschine mit 4 Messern“ zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 122 v. 12. 10. 1843).

Im Oktober 1844 war A. Nahmmacher bereits Senator (Stralsundische Zeitung Nr. 129 v. 26. 10. 1844).

Die Firma Verhein

Alte Traditionen besaß die Firma J. C. Verhein & cp. in Bergen  (z. B. Stralsundische Zeitung Nr. 34 v. 18. 3. 1828). Sie warb für ihre neuen Waren, die sie von der Frankfurter Messe erhielt. Damit hatte sie ihr „Tuch- wie Manufactur=Waarenlager wieder vollständig assortirt“. Im Oktober 1829 bot J. C. Verhein „Tuche und Pikeschenzeug“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 120 v. 6. 10. 1829; Stralsundische Zeitung Nr. 49 v. 26. 4. 1842). Die Firma J. C. Verhein & Cp. bot unverdrossen ihre in Hamburg erworbenen „neuesten und geschmackvollsten Kleider-Callico’s, Baréges, Indiennes und von den so sehr beliebten glaçirten Ginghams“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 73 v. 18. 6. 1829).

1843 bot J. C. Verhein & Cp. „den Empfang der von uns auf der Leipziger Messe persönlich eingekauften Waaren (sic)“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 58 v. 16. 5. 1843).

Die Firma C. H. Last

Im Januar 1797 bot die Firma Last weißes „Englisches Steinguth, als: Terrins, Schüsseln, Teller usw., auch blau und weißen und ganz weißen Thee- und Caffee-Servicen, wie auch Mahagoni-Planken“ zum Kauf an und „versicherte die billigsten Preise“ (Stralsundische Zeitung Nr. 8 v. 19. 1. 1797).

Hausierhändler Johann Carl Reinsch

Im April 1843 ging der Hausierhändler Reinsch in „förmlichen Concurs“ (Stralsundische Zeitung Nr. 49 v. 25. 4. 1843). Reinsch wohnte in der Caland-Straße Litt. S Nr. 12 und besaß Haus, Stallgebäude, Zäune, Haus-, Hof- und Garten-Platz. 

Tischlereien

Im Februar 1828 verstarb die Ehefrau des Tischlermeisters Johann Friederich Reymann – eine geborene Köhnen (1781-1828) und wenige Tage später die Schwiegermutter Eva Maria Köhnen, geb. Ankerström (75 Jahre früher-1828;  (Stralsundische Zeitung Nr. 24 v. 23. 2. 1828).

Ende November war der Tischlermeister J. O. Walther in der Königstraße Nr. 128 bereit, sein Haus „aus freier Hand“ zu rheinverkaufen (Stralsundische Zeitung Nr. 142 v. 16. 11. 1829). Sein Grundstück ermöglichte auch eine Ackerwirtschaft mit Ställen. Am Haus war ein großer Garten und ein guter Morgen Acker. 

1843 war Johann Friedrich Reymann Tischleraltermann in Bergen, dem am 28. 4. 1843 die Ehefrau Maria Carolina Sophia, geb. Grabow (1815-1843) am Nervenfieber verstarb (Stralsundische Zeitung Nr. 52 v. 2. 5. 1843).

Gärtner, Gärtnerei

1843 gab es mit  Carl Bernhard Ehrenreich Schmidt in Bergen einen „Kunst- und Handelsgärtner“ in der Gingster Straße 21 (Stralsundische Zeitung Nr. 54 v. 6. 5. 1843). Er wollte im Mai 1843 zwei Lehrlinge anstellen, wenn sie „mit den nöthigen Schulkenntnissen versehen sind“. Dieser Schmidt bot sich am 14. 9. 1843 zur „Verschönerung von Gartenanlagen“ an, wie er auch seine hochstämmigen Rosen, sein gut sortiertes Lager von Hyacinthen-Zwiebeln und Gehölzen anbot (Stralsundische Zeitung Nr. 111 v. 16. 9. 1843).

Im August 1844 war er bereits verschuldet und so kam es zu einem „Discussions-Verfahren“, um den Konkurs abzuwenden. Noch im November 1844 war das Verfahren nicht abgeschlossen und man vertagte sich auf den 7. Dezember 1844 (Stralsundische Zeitung Nr. 140 v. 21. 11. 1844).

Am 3. 8. 1846 ging er in einen „förmlichen Concurs“ (Stralsundische Zeitung Nr. 97 v. 13. 8. 1846). Sein Grundstück in der Gingster Straße Litt. R Nr. 21 umfasste „ein Wohnhaus, ein Stallgebäude, einen Schweinekoven, ein Gewächshaus, einen Bienenschauer und 2 Morgen Acker Pommerschen Maaßes nebst Befriedungen, Pflanzungen, Hölzungen, Haus-, Hof- und Gartenplatz“.  

Erst im Juli 1847 „zeigte sich Kauflust“ (Stralsundische Zeitung Nr. 110 v. 14. 9. 1847). So bot Dr. Ziehm im Auftrage des Magistrats am 23. 9. Kaufliebhaber in der Ratsstube auf.   

Goldschmied

1819 verkaufte „der Bürger und Goldschmied Georg Nicolai“, Kalandstraße „sub No. 222“, 1½ (Pommerschen) Morgen „nebst der daran stoßenden kleinen Wiese“ an den Schustermeister Gootz, Bergen (Stralsundische Zeitung Nr. 94 v. 7. 8. 1819). Der Acker lag auf der „Schweineweide“ zwischen den Ackerstücken „der Demoiselle Spalding“. Der Kauf bzw. Verkauf erfolgte wegen Schulden des Goldschmieds.

Kupferschmiede

Vermutlich bereits 1828 verstarb der Kupferschmied Nils Linström, dessen Ehefrau Anna Catharina, geb. Böttcher, Anfang April 1829 in der „Rathsstube“ eine Vermögens-Inventur durchführte und um Forderungen und Ansprüche ihr unbekannter Art ersuchte (Stralsundische Zeitung Nr. 52 v. 30. 4. 1829).

Am 5. 11. 1843 verstarb der Kupferschmiedemeister David Bernhard Böckenhagen im Alter von 64 Jahren (Stralsundische Zeitung Nr. 134 v. 9. 11. 1843). Im Juli 1844 teilte der Sohn G. Böckenhagen, Kupferschmidt, mit, dass er die Arbeit des Vaters fortsetzen wollte: „da gute Ausführung aller in dies Fach einschlagenden Arbeiten, verbunden mit der promptesten Bedienung, die stete Richtschnur meiner Handlungen sein wird“ (Stralsundische Zeitung Nr. 86 v. 18. 7. 1844).

Schmiede

Im Januar 1797 bot der Schmied Christian Olrich Pommeresch seine Schmiede in der Dammstraße zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 9 v. 21. 1. 1797). Sie bestand „aus einem Wohnhaus, Scheune, Pferdestall und vier Kovens, 4 Morgen Acker mit 3 Scheffel Roggen-Aussaat“. Wir erfahren auch, dass der Acker am „Reischvitzer Bruch“ lag und bereits im Februar 1797 an Christian Woitke(n) verkauft wurde (Stralsundische Zeitung Nr. 18 v. 11. 2. 1797).

Anfang August 1846 bot der Schmiedemeister E. Melahn sein Schmiedewesen in der Stralsunder Straße Nr. 5 zum Verkauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 95 v. 8. 8. 1846; Nr. 44 v. 13. 4. 1847). Es bestand aus Haus, Schmiede, Scheune „nebst Garten und dabei befindlichem Wurthe, mit einer lebenden Befriedung umgeben“.

Nagelschmied

Der Nagelschmied G. Braun verkaufte im November 1844 „wegen Wohnungsveränderung“ sein „sämmtliches Handwerksgeräth“ (Stralsundische Zeitung Nr. 135 v. 9. 11. 1844). Das waren ein neuer Blasebalg, 2 Ambosse, Nageleisen und Zangen.  Wenige Wochen später musste er folgende Annonce aufgeben: „Am Dienstag, den 12ten d. M., ist mir meine Frau, Caroline geb. Dehmlow, auf mir unbegreifliche Weise verschwunden. Dieselbe ist 34 Jahre alt, großer Statur, zu Bergen auf Rügen geboren, und ist ihr gewöhnlicher Aufenthalt bei mir in meiner Wohnung zu Bergen gewesen.
Mit derselben sind mir zugleich sämmtliche Wirthschafts-Effecten abhänden (sic) gekommen. Da mir nun an der Wiedererlangung meiner Frau viel gelegen ist, so ersuche ich alle wohllöblichen Ortsbehörden ergebenst, dieselbe im Betretungsfalle anzuhalten und auf meine Kosten zu mir zurück befördern zu wollen. Bergen, den 21. November 1844. Braun, Nagelschmidt“ (Stralsundische Zeitung Nr. 141 v. 23. 11. 1844).   

Schlächter, Schlächtermeister

Der Schlächtermeister Carl Friedrich Seime, der in der Raddasser Straße Litt. B Nr. 9 wohnte, ging im April in Konkurs (Stralsundische Zeitung Nr. 49 v. 25. 4. 1843). Auktioniert wurden sein Haus mit Stallgebäude, Zäunen, Haus-, Hof- und Gartenplatz. Ein endgültiger Termin wurde auf den 17. März und dann auf den 24. 4. 1845 festgelegt (Stralsundische Zeitung Nr. 25 v. 27. 2. 1845; Nr. 43 v. 10. 4. 1845).

Der Nachlass des verstorbenen Schlächtermeisters Friedrich August Ludwig Ehrich wurde im Dezember 1843 versteigert (Stralsundische Zeitung Nr. 150 v. 16. 12. 1843).

Auch das Haus und Grundstück des Gastwirts und Schlächteraltermanns Compart wurde in den Jahren 1845 und 1846 mit Wohnhaus, nebst Schlachthaus, Wirtschaftsgebäude, Gaststall, Zäunen und Freiplätzen zum Kauf angeboten (Stralsundische Zeitung Nr. 32 v. 15. 2. 1845; Nr. 33 v. 17. 3. 1846). Es stand am Markt Litt. A Nr. 21. Zur Konkursmasse gehörten noch ein Schlachthaus, ein Gaststall und ein Morgen Ackerland pommerschen Maßes (Stralsundische Zeitung Nr. 37 v. 26. 3. 1846).

Kaufmann Moriz Helm

Im Juni 1819 verhandelte die Bergener „Raths Canzley“ die Konkursmasse des Kaufmanns Moriz Helm in der Dammstraße sub 251 (Stralsundische Zeitung Nr. 72 v. 17. 6. 1819). Zur Auktion gelangten „Mobiliarsachen, als Waaren verschiedener Art, Haus- und Küchengeräth, Betten und Leinzeug, Kleidungsstücke usw.“. Man verkaufte nur in Silbergeld.

Dammstraße Ecke Ringstraße,1979, Foto A. Leube

Zum Verkauf am 9. September 1819 standen besonders das Wohnhaus in der Dammstraße und eine benachbarte „Baustelle nebst dem zum Band eines neuen Hauses größtentheils zubereiteten Bauholze“ sowie eine „aus etwa 700 Bänden bestehende Lesebibliothek“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 97 v. 14. 8. 1819).

Kaufmann J. C. Dunker

Er bot Hausrat, Grabkreuze, Kochherde, „complette Schrotmühlen, worauf ein Mann in einer Stunde einen Scheffel mahlend“, landwirtschaftliche Geräte usw. an (Stralsundische Zeitung Nr. 119 v. 5. 10. 1847).

Kaufmann J. H. Rothbarth

Im Februar 1822 bot ein Kaufmann Rothbarth Gartensämereien „von der besten Güte“ und „niedrige Pahlerbsen“ an und „machte solches mit Bitte um geneigten Zuspruch hie(r)durch bekannt“ (Stralsundische Zeitung Nr. 22 v. 19. 2. 1822).  

Kaufmann und Gastwirt Ludwig Schubbe

Bereits in Konkurs gegangen war der Kaufmann Gustav Ludwig Schubbe, der mit Philippina Hoffstädt verheiratet war (Stralsundische Zeitung Nr. 56 v. 9. 5. 1829). Zu Juni 1829 war die „gütliche Regulirung der überschuldeten Verlassenschaft ihres verstorbenen Mannes“ in der „Rathsstube“ vorgesehen. Der Gastwirt Gottlieb Schütze erwarb den Hof. Dazu gehörten Wohnhaus, Stallgebäude, Auffahrt, Plätze, Zäune und eine „an der Schweineweide“ erbaute Scheune sowie 2 Pomm. Morgen Ackerland am Kriechmoor-Weg und eine Pacht über 8 Pomm. Morgen (Stralsundische Zeitung Nr. 145 v. 3. 12. 1846).

Kaufmann Heinrich Breitsprecher

H. Breitsprecher hatte „ein sehr lebhaftes Destillations- und Materialgeschäft“ in Bergen, das die Witwe (geborene Hasper) 1843 verkaufen wollte (Stralsundische Zeitung Nr. 57 v. 13. 5. 1843).

Im November 1842 bot Heinrich Breitsprecher „in Bergen“ an: „Arrac de Goa, mehrere Sorten feiner und ordinairer Rums, feinste Liqueure, feine doppelte und einfache Branntweine empfehle ich in guter Qualität zu billigen Preisen. Wiederverkäufer erhalten einen guten Rabatt“, wie er zugleich „Ananas-Punschessenz und Punschessenz ohne Ananas“ anbot (Stralsundische Zeitung Nr. 134 v. 10. 11. 1842). Das war eine der Grundlagen zu Punsch und zu „Bischof“. Der Stralsunder Kaufmann C. Liß bot zu dieser Zeit auch „eingemachte Ananas“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 134 v. 10. 11. 1842).  Breitsprecher annoncierte noch im November 1842: „Für mein Materialgeschäft suche ich zu Neujahr einen Lehrling. Hierauf Reflectirende wollen persönlich mit mir Rücksprache nehmen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 136 v. 15. 11. 1842).

1829 war A. H. Breitsprecher der zuständige „Camerarius“ (Stralsundische Zeitung Nr. 73 v. 18. 6. 1829)

Kaufmann J. C. Duncker

1847 etablierte sich J. C. Duncker mit einem Kurzwaren-Geschäft, das er mit einem Holzgeschäft verband (Stralsundische Zeitung Nr. 52 v. 1. 5. 1847).

Kaufmann G. Baumann

Er kündigte am 3. 5. 1847 an, in Bergen eine „Material- und Kurzwaren-Handlung“ zu eröffnen: „Auch habe ich ein Mützengeschäft etablirt und werden Bestellungen, nach den neuesten Façons sauber gearbeitet, für Herren wie für Kinder bei mir auf das Pünklichste und Billigste ausgeführt“ (Stralsundische Zeitung Nr. 55 v. 8. 5. 1847).

Kaufmann Julius Linde

Am 18. Mai 1848 eröffnete Julius Linde in der Königstraße eine „Material- und Kurzwaaren-Handlung“ (Stralsundische Zeitung Nr. 83 v. 23. Mai 1848). Er versprach die „billigsten Preise“ und erhoffte „fleißigen Besuch“.

Kaufmann C. Marquardt

Im Mai 1847 eröffnete C. Marquardt eine „Material-, Schnitt- und Kurz-Waaren-Handlung“ in der Raddasser Str. (Stralsundische Zeitung Nr. 61 v. 22. 5. 1847). Im März 1848 teilte er mit: „Der Ausverkauf wird fortgesetzt“ (Stralsundische Zeitung Nr. 41 v. 31. 3. 1848).

Kaufmann Conrad Friedrich Müller

Zur gleichen Zeit ging der Kaufmann Conrad Friedrich Müller in Konkurs und der „Senatus“ ersuchte nun alle „Particular-Klagen“ vorzubringen (Stralsundische Zeitung Nr. 52 v. 30. 4. 1829). Müller hatte in Bergen ein am Markt Nr. 188 gelegenes Haus mit Braugerechtigkeit, dazu gehörende Gebäude und einen dahinter gelegenen „großen Garten“ (Stralsundische Zeitung Nr. 85 v. 16. 7. 1829). Dazu vier Morgen Acker am Prisvitzer Weg sowie „an der Prisvitzer und Burnitzer Scheide“. Das alles sollte am 27. 7. 1829 versteigert werden.  Die Witwe G. L. Schubbe, geb. Hoffstädt, setzte die Handlung fort und erhoffte weiteres „Zutrauen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 86 v. 18. 7. 1829; Nr. 94 v. 6. 8. 1829; Nr. 95 v. 8. 8. 1829).

Auch dieses Verfahren zog sich über Jahre hin. Erst am 21. Januar 1846 wurde ein „proponierter Vergleich“ erzielt. Nun galt es, noch die „Administrations-Rechnung“ zu begleichen und dem „Distributionsplan“ zuzustimmen – das war für den 15. Juli 1846 vorgesehen (Stralsundische Zeitung Nr. 81 v. 7. 7. 1846).   

Kaufmann E. Müller

Dieser Kaufmann E. Müller bot 1846 „neueste und moderne Sommerhüte“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 51 v. 28. 4. 1846).

                                                           Kaufmann C. Pisch

C. Pisch bot im April 1845 und im März 1846 neuen weißen und roten Kleesamen, neuen Rigaer Kron-Sähleinsamen „in vorzüglicher Güte“ zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 44 v. 12. 4. 1845; Nr. 32 v. 14. 3. 1846).). 1848 bot C. Pisch Rüdersdorfer Steinkalk über den Hafen von Lauterbach an (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 30. 3. 1848).

Kaufmann Philipp Kagelmacher 

Als gewisses ausgleichendes Gegengewicht darf man die Geschäftseröffnung des wohl noch sehr jungen Philipp Kagelmacher sehen (Stralsundische Zeitung Nr. 69 v. 9. 6. 1829). Was wollte er verkaufen? „Ich beschränke mein Geschäft vorläufig bloß in Material- und kurzen Waaren; verspreche übrigens einem Jeden, der mich mit seinem Besuch beehrt, in jeder Hinsicht die billigsten Preise, prompte und reelle Bedienung“.  Wenige Wochen später teilte er seine Verlobung mit Friederika Luplow in Bergen mit (Stralsundische Zeitung Nr. 87 v. 21. 7. 1829).

Kaufmann Wilhelm Heidtmann

Im November 1842 war auch der Materialwarenhändler Gustav Adolph Wilhelm Heidtmann bzw. Heydtmann in Konkurs geraten (Stralsundische Zeitung Nr. 136 v. 15. 11. 1842; Stralsundische Zeitung Nr. 146 v. 8. 12. 1842).

Seine Witwe Louise Heidtmann, geb. Wilde bot daher zum 21. November 1842 an: „Taback, Gewürze usw., ferner an Ellenwaaren: Tuch, Pikeschenzeug, Thibets, Merinos, Ginghams, Kattune, Tücher, Bänder und noch mehrere andere Artikel, auch ein großes mit Glasthüren versehener Waarenschrank, sowie einiges Haus- und Wirthschaftsgerät“ (Stralsundische Zeitung Nr. 136 v. 15. 11. 1842).

Kaufmann Johann Herrmann Zander

Zander hatte für die 1843 gegründete Feuerversicherungs-Anstalt „Borussia“ zu Königsberg die Agentur auf Rügen übernommen (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 2. 4. 1846). Im September 1846 empfahl er sich als Agent dieser Versicherung, die „sich durch coulante Abmachung bei den sie betreffenden Schäden nicht allein das Vertrauen des Publikums zu erhalten, sondern immer mehr zu erwerben“ (Stralsundische Zeitung Nr. 116 v. 26. 9. 1846).

Zander bot gleichzeitig ein „aromatisches Kräuter-Haaröl zur Beförderung und Verschönerung des Haarwuchses“ an – er war die einzige Niederlassung auf Rügen (Stralsundische Zeitung Nr. 119 v. 3. 10. 1846).  1846 verkaufte er u. a. Zigarren und Kleesamen (Stralsundische Zeitung Nr. 43 v. 9. 4. 1846; Nr. 48 v. 21. 4. 1846).

Dieser Zander bot am 4. Februar 1848 sein „am Markt belegenes Haus nebst Nebengebäude usw., worin seit mehreren Jahren ein Materialgeschäft, verbunden mit einer Destillation, mit gutem Erfolge betrieben“ wurde (Stralsundische Zeitung Nr. 16 v. 8. 2. 1848). Der Verkauf ergab sich „wegen Geschäftsveränderung“. Am 20. 3. 1848 nahm er allerdings den Verkauf des Hauses zurück (Stralsundische Zeitung Nr. 34 v. 21. 3. 1848).

Kaufmann J. F. Rink

Rink suchte 1846 „einen jungen Mann, der Lust hat die Waaren-Handlung (sic) zu erlernen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 2. 4. 1846).  Am 4. Mai 1846 wurde er Vater eines gesunden Sohnes (Stralsundische Zeitung Nr. 54 v. 5. 5. 1846).

Kaufmann Wilhelm Gründer

Er übernahm die Verwaltung des Konkurs-Verfahrens gegen Carl Möller, Maschinenfabrik (Stralsundische Zeitung Nr. 3 v. 5. 1. 1899).

Maschinenfabrikant

Am 30. 12. 1898 wurde über das Vermögen des Maschinenfabrikanten Carl Möller der Konkurs eröffnet (Stralsundische Zeitung Nr. 2 v. 3. 1. 1899). Verwalter des vorhandenen Vermögens wurde der Kaufmann Wilhelm Grüder, der sich verschiedentlich zu diesen Verfahren einsetzte.

Malermeister

Im April 1846 ließ sich in Bergen C. Lehnhardt, Maler“ nieder: „Stuben und Schilder, so wie alle sonstigen Malerarbeiten fertigt aufs Sauberste und Geschmackvollste an und bittet ergebenst um recht viele Bestellungen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 44 v. 11. 4. 1846).

Ende April 1847 ließ sich Fr. Paulsdorff in Bergen als „Zimmer-Maler“ nieder und empfahl „sich hiermit ergebenst“ (Stralsundische Zeitung Nr. 47 v. 20. 4. 1847).

Weber

1842 verstarb in der Raddasser Straße, Lit. B. Nr. 31, der Webermeister Thomas Carl Christian Heidenreich (Stralsundische Zeitung Nr. 148 v. 13. 12. 1842). Er hinterließ ein Wohnhaus nebst Koven, Garten und 2 Pommer. Morgen Acker. 1846 bot der Webermeister J. C. Uerkvitz „Sackdrell und fertige Kornsäcke“ zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 33 v. 17. 3. 1846).

Schneider

Ende November 1829 „etablierte sich als Kleidermacher“ der Schneidermeister J. T. Baumann (Stralsundische Zeitung Nr. 146 v. 5. 12. 1829). Er wohnte im Haus der Frau Altermann Junge am Markt.

Am 25. Juni 1844 verstarb der Schneidermeister Jacob Julius Stahnke (Stahncke), nachdem ein Jahr zuvor „unser theurer und hoffnungsvoller Sohn und Bruder Wilhelm … in den Wellen (den Tod( fand)“ (Stralsundische Zeitung Nr. 78 v. 29. 6. 1844). Seine Frau war Maria geb. Büttner. Sein Haus in der Gingster Str. 24 mit Stallgebäuden, Koven, Plätzen und Zäunen wurde zum 19. 4. 1847 zum Kauf angeboten (Stralsundische Zeitung Nr. 38 v. 30. 3. 1847).

Mitte August 1846 ließ sich in Bergen der „Herrenkleidermacher“ C. A. Ponnier nieder (Stralsundische Zeitung Nr. 100 v. 20. 8. 1846). Er versprach „sowohl moderne als saubere Arbeit und solide Preise. Meine Wohnung ist am Markt beim Tischlermeister Herrn Klock“.

Ihm folgte im Oktober 1846 F. Heidenreich, Raddassstraße (Stralsundische Zeitung Nr. 121 v. 8. 10. 1846). Auch er etablierte sich als Herren-Kleidermacher und wollte alle Aufträge „prompt und reell ausführen“.  Am 29. Dezember 1846 wandte er sich noch einmal an die Öffentlichkeit und teilte mit, dass „nach Beseitigung der Hindernisse der Ausübung meines Gewerbes als Kleidermacher hieselbst (sic) bisher entgegenstanden“ er auf „recht zahlreiche Aufträge“ hofft, die er „prompt und reell ausführen“ wird (Stralsundische Zeitung Nr. 156 v. 31. 12. 1846).

Ein dritter Kleidermacher meldete sich am 13. Oktober 1846 mit H. Lorenz aus Danzig (Stralsundische Zeitung Nr. 127 v. 20. 10. 1846). Er war „stets modern“ und wollte alles „billig und prompt zur Ausführung bringen“.

Schließlich kam 1847 ein vierter Kleidermacher mit A. E. Brückner in der „Fischstraße“ hinzu (Stralsundische Zeitung Nr. 123 v. 14. 10. 1847).

Als Tuchmacher ging Herr Werdermann in Konkurs (Stralsundische Zeitung Nr. 39 v. 28. 3. 1848). Er wohnte in der Radasser Straße Nr. 12 mit Wohnhaus, Zäunen, Hof-, Haus- und Gartenplatz (Stralsundische Zeitung Nr. 41 v. 31. 3. 1848; Nr. 92 v. 3. 6. 1848).

Maurer, Maurermeister

1843 war der Maurermeister Johann Christian Moltmann verstorben (Stralsundische Zeitung Nr. 68 v. 8. 6. 1843). Er wohnte in der Wasserstraße Litt. J. Nr. 18 und besaß ein Wohnhaus mit Stallgebäude, Schweinekoven, Zäunen, Haus-, Hof- und Gartenplatz.

Der Tagelöhner Johann Ritter erwarb vom Maurergesellen Johann Passow dessen Wohnhaus mit Stallgebäude usw. in der Königstr. 52 sowie „einen in der Bergener Feldmark am sogenannten Gattmund belegenen Morgen Bedienten-Acker Pomm. Maaßes“ (Stralsundische Zeitung Nr. 61 v. 22. 5. 1847).

Der Tagelöhner Niclas Klühß verkaufte sein Wohnhaus mit Koven, Zäunen, Haus-, Hof- und Gartenplatz sowie Mobiliargegenständen in der Radasser Straße sub Litt. B No. 30 an den Tagelöhner Joachim Christoph Möller zu Koldevitz  (Stralsundische Zeitung Nr. 52 v. 13. 4. 1848).

Die Firma Carl Bley

Zu den Altgeschäften gehörte Carl Bley in Bergen, der im April 1842 zu seiner Tuch- und Modewaren-Handlung nun auch eine Material-Handlung eröffnete mit „guter Ware und billigen Preisen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 41 v. 7. 4. 1842).  Nur wenige Monate später wurde „über das Vermögen des Kaufmanns Carl Bley … der förmliche Concurs eröffnet“ (Stralsundische Zeitung Nr. 143 v. 1. 12. 1842). Das scheint abgewendet worden zu sein, denn im Mai 1843 empfahl er „für Herren … die neuesten Rock- und Beinkleider, wie auch Westen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 58 v. 16. 5. 1843). Dazu war ihm „von ersten Strickgarn-Fabriken die Haupt-Niederlage auf weiß englisch 3 und 4 draht, so wie auf coul. Strickgarn übertragen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 58 v. 16. 5. 1843). Auch Börsenseide und „chenirte Tapisserie-Wolle“ bot er an (Stralsundische Zeitung Nr. 114 v. 21. 9. 1844).

Am 22. Mai 1846 hieß es jedoch, dass der Bäckermeister Joachim Martin Meukow das Haus des Carl Bley in der Gingster Straße Nr. 3 mit einem Anbau, mit Ställen, Auffahrt, Haus-, Hof- und Gartenplatz erworben hatte (Stralsundische Zeitung Nr. 65 v. 30. 5. 1846)

1848 verkaufte Carl Bley in Bergen Gemüsesamen, darunter Levkoyen „bei bester Qualität als sehr presiwürdig“ (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 30. 3. 1848).

Die Firma Krohß

M. W. F. Krohß bot sich mit seinen „persönlich billigen Einkäufen in der letzten Frankfurter Margareten-Messe“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 86 v. 18. 7. 1829). Er bot „Cattunen in hübschen Mustern, Ginghams, couleurte und schwarze Merinos, Sersinets in verschiedenen Farben, schwarzseidene Zeugen und Tücher in mehreren Preisen, seidene, halbseidene Flor- und Merino-Tücher mit Fransen ….“ an: „Mein Tuchlager ist ebenfalls in allen Farben und zu allen Preisen ergänzt“.

1842 war es bereits ein Nachfolger, der mit C. G. Krohß zeichnete und gleichfalls ein „Tuch- und Manufactur-Waarenlager“ führte sowie italienische und Glanzstroh-Hüte für Damen und Kinder, „Sommerzeug zu Röcken und Beinkleidern“  anbot (Stralsundische Zeitung Nr. 50 v. 28. 4. 1842). C. G. Krohß und Frau teilten am 11. Mai 1843 mit, dass „während unserer Abwesenheit nach Leipzig am 3. Mai unser kleiner lieber Adolph, nach kurzem Krankenlager, im noch nicht vollendeten 5ten Lebensjahr, am Nervenfieber“ verstorben war (Stralsundische Zeitung Nr. 58 v. 16. 5. 1843).

Ende Mai 1843 empfahl C. G. Krohß neben „gewöhnlichen Tuchen auch Buckskins und Küptertuche, so wie Sommerzeuge zu Röcken und Beinkleidern zu den billigsten Preisen“ bzw. „neueste Westen in Cachemir, Piqué und Seide“ (Stralsundische Zeitung Nr. 63 v. 27. 5. 1843). Daneben gab es bei ihm „Wollsackleinen zur Wollschur in billigsten Preisen“. Im Oktober 1844 bot C. G. Krohß seine „auf der Leipziger Messe persönlich eingekauften Waaren“ an  (Stralsundische Zeitung Nr. 123 v. 12. 10. 1844). Das waren „neueste Winterbeinkleider in schönster Auswahl, so wie feine Niederländer und geringere Tuche, Castorin und Calmuck“, aber auch „neue halbwollene Zeuge und baumwollene Bengal’s“ gab es (Stralsundische Zeitung Nr. 126 v. 19. 10. 1844). „Castorin“ oder besser „Kastorin“ ist ein Plüsch aus gezwirntem Baumwollgarn und „Calmuck“ oder „Kalmuck“ war ein wollenes, sehr langhaariges, lockeres und dichtes Gewebe (Meyer’s Neues Konversations-Lexikon, 2. Aufl., 1871, Band 9, S. 785 und 947). Daraus stellte man „Winterkleider“ für Männer her.  „Bengal“ ist ein Baumwoll- bzw. ein Seidengewebe, das aus Bengalen kam (Meyer’s Neues Konversations-Lexikon, 2. Aufl., 1871, Band 3, S. 163).

Ende März 1846 bot C. G. Krohß „ein gutes Sortiment Klee-, Thimotee- und Memeler Lein-Saamen (sic) zu billigsten Preisen“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 36 v. 24. 3. 1846).

1852 offerierte C. G. Krohß „in Bergen“ einen „Ausverkauf“ seiner zurückgesetzten wollenen, baumwollenen und halbwollenen Waren (Stralsundische Zeitung Nr. 17 v. 21. 1. 1852).

1852 bot ein C. Pisch in Bergen „Bienenkörbe, schön und dauerhaft gearbeitet“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 34 v. 10.  2. 1852).

Kaufmann Fahrnholz

Der Kaufmann J. Fahrnholz bot im Oktober 1829 „eine Ladung 7 und 6elliger Wahl- und ordinaire Bretter“ an, die ihm „Capt. Holm“ gebracht habe (Stralsundische Zeitung Nr. 126 v. 20. 10. 1829). Am 7. Mai 1843 existierte J. Fahrnholz in der Raddasser Straße immer noch und bot „frischgebrannten Rüdersdorfer Steinkalk in großen Tonnen, frischen Schwedischen Steinkalk in kleinen Tonnen, – Schwedisches Stangen- und Bandeisen, Schwedische und Preußische Eisenbleche, mehrere Gattungen Stahl, Englische Steinkohlen usw. … zu billigsten Preisen“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 56 v. 11. 5. 1843). Mit gleichem Datum verkaufte er „starke, mittel und schwächere Peenhölzer, worunter sich auch besonders gute Mühlenruthen und starke Balken-Hölzer befinden“ (Stralsundische Zeitung Nr. 56 v. 11. 5. 1843). Am 26. 8. 1843 verkaufte die „verwittwete Frau Camerarius Fahrnholz, geborene Gootz, an den Schmiedemeister Upahl einige Ackerstücke an der Schweineweide, 2 Pomm. Morgen” (Stralsundische Zeitung Nr. 109 v. 12. 9. 1843).

                                                           Kaufmann A. Bussian

Der Kaufmann A. Bussian bot 1846 „modernste Sommermützen für Herren und Knaben“ an (Stralsundische Zeitung Nr. 68 v. 6. 6. 1846)

Putzmacher

Die Putzmacherin Ferdinande Oom empfahl sich „mit den modernsten Putzsachen zum bevorstehenden Winterfest“ (Stralsundische Zeitung Nr. 126 v. 20. 10. 1846; Nr. 57 v. 12. 5. 1847). Am 1. April 1848 empfahl sie sich „mit den neuesten Sommermoden“ (Stralsundische Zeitung Nr. 42 v. 1. 4. 1848). Im Mai 1848 teilte sie mit, dass sie „meine Putzhandlung nach der Königsstraße in das Haus der Kürschner-Wittwe Bussian verlegt habe“ (Stralsundische Zeitung Nr. 81 v. 20. 5. 1848).

Wenig später teilte die Putzmacherin Maria Fahrenholz mit, dass sie sich seit dem 1. Oktober bei dem Sattlermeister Mehl in der Raddasser Straße niedergelassen habe  (Stralsundische Zeitung Nr. 128 v. 24. 10. 1846)

Sattler, Gürtler und Tapezierer

Am 27. März 1842 ließ sich in Bergen der Sattler und Tapezierer Friedrich Mehl nieder: „Seine Wohnung ist am alten Markt dicht neben der Alten Apotheke“ und er versprach „sämmtliche Artikel dauerhaft und nach dem neuesten Geschmack anzufertigen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 38 v. 31. 3. 1842).  Mitte Juli 1844 war er aus der Wohnung seiner Mutter, Markt Nr. 13, ausgezogen und hatte sich in der Vieschstr. Litt C Nr. 9 – nun als Sattler und Lackierer – niedergelassen: “Es wird stets mein Bestreben sein, jede Bestellung gut und auf das Schnellste auszuführen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 85 v. 16. 7. 1844).

Der Gürtler und Mechanikus J. Jasper gab im März 1847 sein Geschäft auf und verkaufte alle Gürtlerwaren, altes Kupfer, Messing, Zink und Blei „zu billigen Preisen“ so wie „eine doppelt wirkende Feuerspritze“ (Stralsundische Zeitung Nr. 33 v. 18. 3. 1847).

Die Familie Mehl – in diesem Falle unter der Leitung des Ökonomen Johann Mehl – verkaufte 1846 den Besitz des verstorbenen Vaters und Ackerbürgers Carl Mehl (Stralsundische Zeitung Nr. 45 v. 14. 4. 1846). Das Wohnhaus mit Stallgebäuden, einer Scheune, Haus-, Hof- und Gartenplätzen sowie 18 ½ Pommersche Morgen Acker und: „Mobiliar an Vieh-, Feld und Wirthschaftsgeräth, Haus- und Küchengeräth, Betten und Leinzeug“.

Der Sattlermeister Julius Bley erwarb in der Viesch-Straße Litt. C. Nr. 20 das Haus der Witwe Ahrens, geb. von Buchholz, Gademow, mit Nebengebäude usw. „und einem in der Nähe des Rugard belegenen Garten“ (Stralsundische Zeitung Nr. 125 v. 19. 10. 1843).

Im Oktober 1843 war der Sattlermeister Johann Casper Gaebel, Enge Straße Litt. H Nr. 1, verstorben (Stralsundische Zeitung Nr. 126 v. 21. 10. 1843). Auf Antrag der Erben sollten Wohnhaus, Nebengebäude, Haus-, Hof- und Gartenplatz verkauft werden (Stralsundische Zeitung Nr. 133 v. 7. 11. 1843).

In der Wohnung des Sattlermeisters F. C. Schultz erfolgte ein „gewaltsamer Einbruch“ und der Verlust „außer einer Summe Geldes 6 silberne Theelöffel … so wie ein goldener Plattring …, ein Paar silberne Ohranhänger und ein silberner Fingerhut“ (Stralsundische Zeitung Nr. 87 v. 20. 7. 1844). Er setzte für Hinweise eine Belohnung von 5 Reichstalern aus.

Im April 1845 ließ sich der Sattler und Tapezierer C. Spiegel, Königstraße, in Bergen nieder (Stralsundische Zeitung Nr. 47 v. 19. 4. 1845). Er versprach „prompte, gute und billige Bedienung“. Zwei Jahre später bot er zwei Wohnungen in seinem Hause in der Königstraße zur Miete an (Stralsundische Zeitung Nr. 4 v. 9. 1. 1847).

Seilermeister

Mitte Oktober 1846 gab es den Seilermeister Weinholz am Markt (Stralsundische Zeitung Nr. 127 v. 22. 10. 1846).

Kaufmann Gustav Philipp Schultze

Am 9. und 11. April 1842 fand die Auktion der „Konkurs-Masse“ des Kaufmanns Gustav Philipp Schulze statt (Stralsundische Zeitung Nr. 41 v. 7. 4. 1842). Unter seinen Waren-Vorräten befanden sich „eine große Partie feiner und ordinairer Rauch- und Schnupftabacke, Gewürz- und Färbe-Waaren, feines und ordinaires Schießpulver, Porzellan, leinerne, baumwollene und kurze Waaren, Glaswaaren, Näh- und Stickseide, ein großes Sortiment Stickperlen, eine kleine kupferne Destillir-Blase mit Zubehör und mehrere leere Gefäße“. Das Auktionsdatum wurde später verlängert und auf den 28. 4. 1842 verlegt. Schulze hatte sein Geschäft in der Dammstraße Litt. M. No.12. Dazu gehörte ein „Wohnhaus nebst Anbau, Speicher, Stallgebäude, Koven, Befriedigungen, Haus, Hof- und Gartenplatz“ (Stralsundische Zeitung Nr. 46 v. 19. 4. 1842).  Noch im August 1844 und im März 1846 und sogar Anfang Dezember 1846 war die Liquidation nicht abgeschlossen (Stralsundische Zeitung Nr. 100 v. 20. 8. 1844; Nr. 37 v. 26. 3. 1846; Nr. 145 v. 3. 12. 1846).

Kaufmann Ludwig Röhl

Erneut bot im November 1842 der Kaufmann L. Röhl sein „am Markt belegenes Haus“ aus „meiner jetzigen Wohnung“ zum Verkauf an. Dazu vermerkte er, „daß in dem zum Verkauf gestellten Hause seit mehreren Jahren Material- und (eine) kurze Waaren-Handlung (sic) betrieben worden ist“ (Stralsundische Zeitung Nr. 135 v. 12. 11. 1842). Röhl betrieb sein Papierwaren-Geschäft weiter, da er gleichzeitig „so eben erhaltene sehr preiswürdige Concept-, Kanzlei- und Post Papiere, Aktendeckel, farbige Papiere usw.“ zum Kauf anbot.  Im Dezember 1842 hatte er sein Angebot erweitert und bot „ausländische lose Tabacksblätter wohlfeil“ und zahlreiche Branntweinsorten an (Stralsundische Zeitung Nr. 150 v. 17. 12. 1842; Nr. 151 v. 20. 12. 1842).  Anfang März 1843 bot er sein ursprüngliches Wohnhaus am Markt Nr. 32 erneut zum Kauf an: „Die Bedingungen habe ich sehr annehmlich gestellt … Sollte es dennoch nicht verkauft werden, so steht solches zu Ostern wieder zu vermiethen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 27 v. 4. 3. 1843).    

Im April 1843 bot L. Röhl Saat-Hafer sowie „doppelte und einfache Branntweine, Rums, Punsch- und Bischof-Essenz“ zum Kauf an, wie auch „neuen Rigaer Kron-Säeleinsaamen und einmalig hier gebaueten Rigaer Leinsaamen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 44 v. 13. 4. 1843; Nr. 46 v. 18. 4. 1843).

Am 2. 11. 1843 verstarb der Kaufmann Ludwig Röhl „in einem Alter von 27 Jahren, nachdem vor einigen Wochen das Band der Ehe seine und seiner Gattin schönsten Wünsche krönte“ (Stralsundische Zeitung Nr. 133 v. 7. 11. 1843).
Die Witwe führte das Geschäft noch weiter.

Am 1. 1. 1845 teilte Wilhelm Hoeft mit: „Mit dem heutigen Tage übernahm ich das hier unter der Firma L. Röhl Wittwe, geführte Geschäft mit sämmtlichen Activis und Passivis“ (Stralsundische Zeitung Nr. 3 v. 7. 1. 1845). Er wollte „stets reelle gute Waare führen und die möglichst niedrigsten Preise stellen“.  

                                                      Kaufen und Verkaufen

1819 teilte Johann Küther mit: „Mein in Bergen auf dem Johannisberge belegenes Haus No. 173 bin ich Willens aus freyer Hand zu verkaufen. Kaufliebhaber können es täglich in Augenschein nehmen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 78 v. 1. 7. 1819).

Zu gleicher Zeit bot J. F. Buschmann sein in der Dammstraße No. 262 mit Zubehör „aus freyer Hand“ zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 78 v. 1. 7. 1819).

1819 verkaufte der „Bürger und Tagelöhner“ Christian Helm sein „unten in der Dammstraße sub No. 264 belegenes (Wohn)Haus nebst Worthe“ an den Gärtner Kretzner zu Ralow (Stralsundische Zeitung Nr. 67 v. 5. 6. 1819).

Zum Verkaufen gehört auch, dass im September 1829 durch den Landrat Engeström „der vormalige Schloßplatz Rugard bei Bergen meistbietend“ verkauft wurde (Stralsundische Zeitung Nr. 117 v. 29. 9. 1829; Nr. 121 v. 8. 10. 1829).

Johann Friedrich Stadelmann war im Oktober 1843 verstorben und wohnte in der Dammstraße Litt. M Nr. 7, wo sein Nachlaß wegen eines Konkurses verkauft werden sollte (Stralsundische Zeitung Nr. 126 v. 21. 10. 1843)

Im April 1843 bot M. Gootz, Bergen, zwei fette Schweine à 200 kg Gewicht zum Kauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 41 v. 6. 4. 1843)

Ackerbürger

Der Bürger und Ackersmann Johann Jochen Artmann wollte einige seiner Immobilien verkaufen (Stralsundische Zeitung Nr. 67 v. 5. 6. 1819). Das waren folgende Flurstücke:

  1. „eine am Zirkowschen Wege in der sogenannten Koldevitzer Koppel, zwischen den Wiesen des Schustermeisters Adam Benedix, des Ackersmanns Heinrich Müller und der Wittwe Frey belegene Wiese, welche der Müller Anders hieselbst käuflich erstanden;
  2. zwey am Zirkowschen Wege auf dem sogenannten Lehmberge zwischen dem Acker des Extrahenten und des Bäckermeisters Christian Holtfreter belegene dem letztern käuflich überlassene Morgen Acker“.  
Bergen, Ortsteil Gadmund, 1985, Foto A. Leube

Auch der „Ackersmann“ Casper Friedrich Rohde, Stralsunder Landstraße Nr. 274, ging im April 1829 in Konkurs (Stralsundische Zeitung Nr. 55 v. 7. 5. 1829). Er bot sein Haus, Scheune und „Koven“ sowie seine acht Morgen Acker  am „Gademowschen Weg, am Stralsundischen Weg, am alten Mühlenberg und am Kriechmoorschen Weg“ zum Kauf an. Am 29. Juni 1829 bot man an: „Die zu verauctionirenden Gegenstände bestehen in Wagen, Feldinventarienstücken, Betten, Leinzeug, Kleidungsstücken und einigen Kaufmannswaaren“ (Stralsundische Zeitung Nr. 73 v. 18. 6. 1829). Allerdings stellte der Auktionator Breitsprecher fest: „Ohne baare Bezahlung in Preußisch Courant wird nichts verabfolgt“.

1819 erwarb der „hiesige Ackersmann Töpfer“ einige (Pommersche) Morgen Acker „in hiesiger Feldmark bey der Hühnerwiese und dem Gademowschen Weg“ von David Seegert, Gademow (Stralsundische Zeitung Nr. 94 v. 7. 8. 1819).

Bahnhofstraße, ehemalige Gingster Straße, 2010, Foto A. Leube

Das Grundstück des Ackerbürgers Christoph Lange, Gingster Straße Nr. 21, wurde vom „vormaligen Ackerbürger“ Daniel Heinrich Danckwardt in Garz erworben (Stralsundische Zeitung Nr. 31 v. 13. 3. 1847). Dazu gehörten ein Wohnhaus, 2 Stallgebäude, 1 Schweinekoven mit allen Plätzen und Zäunen sowie eine am Ladenberg erbaute Scheune und 9 Morgen Acker pommersche Maße.

Kultur

Bereits vor 1819 hatte der Kaufmann Moriz Helm eine Leihbibliothek in Bergen aufgebaut – und war daran gescheitert. Er ging in Konkurs und der Kurator der „Helmschen Concursmasse“ J. G. Last forderte zur Rückgabe der entliehenen Bücher auf (Stralsundische Zeitung Nr. 68 v. 8. 6. 1819). Kaufmann Helm hatte offenbar auch eine Pfandleihe aufgebaut und sich wohl damit übernommen, da die Pfänder nicht eingelöst wurden (vgl. auch Stralsundische Zeitung Nr. 72 v. 17. 6. 1819).

Die Stadt Bergen hatte 1842 auch eine Leihbibliothek unter L. Hülling in der Dammstraße (Stralsundische Zeitung Nr. 135 v. 12. 11. 1842). Sie ging aus der des Vorgängers Bosin oder Bosien hervor. Allerdings schien man mit der Rückgabe der Bücher sehr zögerlich zu verfahren, wie es wohl auch keine Registratur des Eigentümers gab. So setzte Hülling für die Rückgabe der Bücher noch „ein angemessenes Honorar“ aus, wie er aber auch drohte, „mein zuertheiltes (sic) Eigentumsrecht in Kraft treten zu lassen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 135 v. 12. 11. 1842).

In der ersten Jahreshälfte 1846 war Hülling verstorben, so dass seine Witwe „die aus circa 2000 Bänden bestehende, die besten alten und neuen belletristischen Werke enthaltende, L. Hüllingsche Leihbibliothek“ in der Wohnung in der Dammstraße zum Verkauf anbot (Stralsundische Zeitung Nr. 90 v. 28. 7. 1846).

Ende Oktober 1846 teilte F. W. Müller, Putbus, mit, dass „ich die frühere Hüllingsche Leihbibliothek von circa 200 Bänden käuflich an mich gebracht habe, und indem ich der geehrten Lesewelt die möglichst beste Auswahl des Neueren versprechen darf, bitte ich um recht zahlreichen Besuch“ (Stralsundische Zeitung Nr. 133 v. 5. 11. 1846). Später korrigierte er den Bestand auf 2000 Bände (Stralsundische Zeitung Nr. 136 v. 12. 11. 1846).

Offenbar wurde nun in Bergen eine Leihbücherei durch den Buchbinder F. Harff, Bergen, geschaffen, da er zum 1. Oktober 1846 „meine neu eingerichtete Leihbibliothek“ „dem lesenden Publikum hiesiger Stadt und Umgebung zur fleißigen Benutzung“ empfahl (Stralsundische Zeitung Nr. 117 v. 29. 9. 1846).

Daneben gab es die Leihbibliothek des E. Keuschel in Bergen (Stralsundische Zeitung Nr. 144 v. 1. 12. 1846).

Im Januar 1847 wurden im „Deutschen Haus“ des Gastwirts Last mehrere Panoramabilder ausgestellt, die ein C. Topstaedt aus Stralsund produzierte (Stralsundische Zeitung Nr. 1 v. 2. 1. 1847). Dazu gehörte ein Rundbild „Die Völkerschlacht bei Leipzig“. Der Eintritt mit 5 Silbergroschen pro Person war allerdings auch beachtlich.

1848 lud C. F. Last zu einem „Tanz-Casino“ – „das letzte für diesen Winter“ – freundlichst ein (Stralsundische Zeitung Nr. 21 v. 19. 2. 1848).

Mitte Mai 1848 suchte der Schauspieler Fr. Klotz mit seinem Ensemble Bergen auf und gab einen „Cyclus dramatischer Vorstellungen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 78 v. 16. Mai 1848). Er brachte Stücke von Charlotte Birch-Pfeiffer, von Benedix, eine komische Oper „Die Regimentstochter“ von Donizetti, „Ein Weib aus dem Volk“ von Mendelssohn, „Die Karlsschüler“ von Laube usw.  Zur gleichen Zeit hielt sich der Violoncellist Magnus Klietz in Bergen beim Gastwirt Breitsprecher auf und lud zum Konzert am 20. Mai 1848  für 10 Silbergroschen pro Billet ein (Stralsundische Zeitung Nr. 79 v. 18. 5. 1848).

Gesangvereine

Der in Bergen ansässige „Ehmkesche Männer-Gesangverein“ trat auch zu Tanzvergnügen auf. Allerdings im Januar 1899 auf „dem ersten Wintervergnügen der Schützengilde“ erschien der Verein „ohne die üblichen Gesangsvorträge“: „Der Besuch war nur ein sehr schwacher. Das Concert war ein recht gutes. Trotz der geringen Betheiligung war die Gesellschaft recht heiter und vergnügte sich bis Morgens 5 Uhr, wozu auch die gute Verpflegung das ihre that (Stralsundische Zeitung Nr. 9 v. 11. 1. 1899).

Kaufmann Johann Gotthardt Hülling

Anfang September 1843 ging der Kaufmann Johann Gotthardt Hülling in Konkurs (Stralsundische Zeitung Nr. 109 v. 12. 9. 1843). Er hatte sein Wohnhaus in der Dammstraße Litt. M Nr. 10 mit Stallungen, Schweinekoven, Haus-, Hof- und Gartenplatz.  Offenbar wurde seine „Lesebibliothek von circa 1400 Bänden“ durch J. Breitsprecher, Ratskeller in Bergen, verkauft (Stralsundische Zeitung Nr. 111 v. 16. 9. 1843).

Die Konkursmasse „des Buchbinders und Leihbibliothekars“ Wilhelm Bosien wurde am 26. 11. 1842 im Hause des Schlächtermeisters Stadelmann verauktioniert (z. B. Stralsundische Zeitung Nr. 139 v. 22. 11. 1842). Das waren als Buchbinder-Gerätschaften ein Ladentisch, ein Werktisch, zwei Heftladen, verschiedene Pressen, Press- und Schneidebretter, ein Schneidezeug mit Zubehör, eine Partei Lettern mit Kasten, ein Schrank mit Fileten und Stempeln sowie weitere Geräte. Dazu gehörten diverse Schreib- und Zeicheneräte, „gepresste und Goldpapiere in sehr schönen Dessins, einige Papparbeiten, Visitenkarten, Goldborten, so wie einige Stücken an rothem und schwarzem Corduan und Pergament, eine Partie theils schon mit einem Einbande versehener, theils gehefteter Schul- und Gesangbücher, so wie endlich ein Schrank mit Glasthüren und sonstiges Hausgeräth“ (z. B. Stralsundische Zeitung Nr. 139 v. 22. 11. 1842). Noch im Juni 1844 war das Konkursverfahren nicht abgeschlossen (Stralsundische Zeitung Nr. 71 v. 13. 6. 1844).

J. C. Breisprecher hatte den „Ratskeller“ auch 1848 gepachtet und lud zum 12. 3. zum 4. und letzten Tanzcasino ein (Stralsundische Zeitung Nr. 28 v. 7. 3. 1848).

1819 war der „Königsschuss“ am 1. Juli und war mit einigem Gewinnschießen verbunden (Stralsundische Zeitung Nr. 76 v. 26. 6. 1819). Die Gewinne bestanden aus „silbernen Löffeln von verschiedener Größe“. Der Schuss kostete allerdings vier Schillinge.

Für den 4. und 5. 7. 1844 luden die Alterleute der Schützen-Kompagnie Dihm und Frehse zum Scheibenschuss ein (Stralsundische Zeitung Nr. 78 v. 29. 6. 1844). Es gab ein Gewinnschießen und einen Ball.

Der Superintendent Dr. Klöpper zeigte die Geburt eines gesunden Knaben an (Stralsundische Zeitung Nr. 82 v. 9. 7. 1844).

Der Kaufmann Johann Carl Theodor Gau

Die Holzhandlung des J. C. Gau bot im April 1842 „Rundhölzer und Peenbretter aus dem Schiff an“ (Stralsundische Zeitung Nr. 42 v. 9. 4. 1842). Er wohnte in der Vieschstraße Litt. E Nr. 7, Nr. 9 und Nr. 26 (Stralsundische Zeitung Nr. 104 v. 29. 8. 1844). Er hatte hier Wohnhäuser, Stallungen, Haus-, Hof- und Gartenplätze. Nun wurde diese „Concursmasse“ versteigert.    

Offenbar beteiligte sich auch die Pastorenschaft daran. So teilte der Sagarder Pastor von Scheven mit, dass er „das von mir aus dem Concurse des Kaufmanns Müller käuflich erstandene, in Bergen am Markt belegene Haus … aus freier Hand zu verkaufen wünscht“ (Stralsundische Zeitung Nr. 122 v. 10. 10. 1829).

Der Töpferaltermann Gustav Adolph Schulz verkaufte 5 Morgen Acker an die Ehefrau des Müllers Meyer (Stralsundische Zeitung Nr. 66 v. 2. 6. 1829). Die Äcker lagen am Prisvitzer Weg und am Reischvitzer Bruch.

Weitere Flurnamen ergab das Erbe des Carl Christoph Rinck, das sein Bruder, der Pferdehändler Georg Rinck, antrat (Stralsundische Zeitung Nr. 66 v. 2. 6. 1829). Der verstorbene Rinck wohnte in der Stralsunder Landstraße Nr. 281. Er hinterließ „die hinter diesem Hause belegene Worthe, einen Morgen Acker an der Schweineweide und einen Morgen an der Stralsunder Landstraße“.   

Ein weiterer J. F. Rinck bot 1847 „reinen Zucker-Syrub“ in Bergen an (Stralsundische Zeitung Nr. 61 v. 22. 5. 1847).

Im Juni 1829 verkaufte der Schustermeister Joachim Balthasar Agard sein Haus in der Königstraße Nr. 123 „nebst dem dabei befindlichen Lohkumm und Kalkbehältniß“ an den Schustermeister Redesky (Stralsundische Zeitung Nr. 76 v. 25. 6. 1829).

Der „Ackermann“ Casper Friedrich Rohde ging in Konkurs und bot sein Haus in der Stralsunder Landstraße mit Zubehör sowie seine acht Morgen Ackerland am Gademowschen, bzw. am Stralsundischen Wege, ferner beim „alten Mühlenberg“, an der Stadtweide und am Kriepmoorschen Weg (Stralsundische Zeitung Nr. 104 v. 29. 8. 1829).

Gleichfalls ging der „Ackerbürger“ Friedrich Heinrich Dumm am Roten See in Konkurs (Stralsundische Zeitung Nr. 143 v. 1. 12. 1842). Er besaß ein kleines Gehöft mit 19 ½ Pomm. Morgen Acker und eine kleine Wiese. „Zur Befriedung seiner Gläubiger“ musste er auch den größten Teil des Viehs, alle Feld- und Wirtschaftsgeräte noch dazu verkaufen. Am 26. 9. 1843 erfolgte ein erneuter Liquidationstermin für den Restbestand wie 2 ½ Pomm. Morgen (Stralsundische Zeitung Nr. 113 v. 21. 9. 1843). Vermutlich 1844 verstarb der Ackerbürger Johann Manfraß, über dessen Nachlass ein Konkursverfahren eröffnet wurde (Stralsundische Zeitung Nr. 21 v. 18. 2. 1845).

Der Reifer Wolff Dessauer zu Hiddenseer Fähre erwarb vom Ackerbürger Johann Kloock das Haus am „unteren Ende der Gingster Straße“ mit Befriedungen, Haus-, Hof- und Gartenplatz (Stralsundische Zeitung Nr. 106 v. 3. 9. 1844), dazu das Pachtrecht an vier Morgen des in der Berger Feldmark gelegenen Ackers, einem Wiesenstück und vier Kartoffeln-Kaveln u. ä.

Der Ackerbürger Joachim Krüger erwarb 1846 das Gehöft der Witwe Schnur (Ackerbürger), geb. Lepel, in der alten Stralsunder Str. 7 mit 2 Stallgebäuden, Plätzen etc. „einer Wohrte und 7 Morgen Acker Pomm. Maaß in hiesiger Feldmark in der Nähe des St. Jürgen –Ackers nebst Saaten, Ackerarbeiten und Vorräten” (Stralsundische Zeitung Nr. 63 v. 27. 5. 1847). Krüger kaufte außerdem den Gasthof des Carl Friedrich Gustav Frieberg am Markt Nr. 31. 

Im November 1843 sollten sich die Gläubiger mit dem Kaufmann Albert Glitzky einigen (Stralsundische Zeitung Nr. 129 v. 28. 10. 1843). Aber erst am 1. Juli 1846 teilte Glitzky mit, dass er nun sein Haus mit eingerichtetem Laden und großem Keller verkaufen wolle (Stralsundische Zeitung Nr. 79 v. 2. 7. 1846).   

Im November 1843 ging der Kaufmann Thurow Bernhard Schiever in Konkurs (Stralsundische Zeitung Nr. 149 v. 14. 12. 1843).

Gegen den Verkauf des Grundstücks des Schneidermeisters Wöller an den Einwohner Jacob Heinrich Wessel erhoben der „Hausierhändler“ Johann Heinrich Beetz und der Müller Christian Schulz eine „öffentliche Proclama“, da Wessel und Beetz es wiederum dem Müller Schulz verkauft hatten (Stralsundische Zeitung Nr. 128 v. 24. 10. 1829). Das Grundstück bestand aus zwei Häusern und lag in der Dammstraße Nr. 274 Litt. F. und Nr. 266. Dazu gehörten zwei Morgen „am Steinsod“ und 1 ½ Morgen an der Gademowschen Grenze.

Jacob Heinrich Wessel verstarb noch im November oder Dezember 1829. Nun wurde sein Haus in der Gingster Straße Nr. 207 mit 3 ½ Morgen Acker, am Steinsod und im Gademowschen Felde auf Antrag der Erben in einem Liquidationstermin angeboten (Stralsundische Zeitung Nr. 154 v. 24. 12. 1829).

Im Mai 1843 forderte Rektor Droysen alle diejenigen auf sich zu melden, die Ansprüche an einem Haus Lit. K. Nr. 10 auf dem Joachimsberg besitzen (Stralsundische Zeitung Nr. 62 v. 24. 5. 1843). Das galt dann auch für ein angrenzendes im Bau befindliches Stallgebäude. Alles hatte der Major und Ritter von Zansen, Niepars, erworben. 

Im Juli 1847 war der Schulrektor Carl Friedrich Michael Droysen verstorben und hinterließ sein Wohnhaus mit Wirtschaftsgebäuden (Bienen- und Holzschauer, sehr geräumigen Garten) Joachimsberg Straße 10 (Stralsundische Zeitung Nr. 30 v. 11. 3. 1848). Dazu gehörten in der Bergener Gemarkung 5 Pommersche Morgen an Ackerland. Nun sollte alles verkauft werden.    

Joachimsberg, Alte, schönste Haustür Bergens1985, Foto A. Leube

Verkauft wurde auf dem Joachimsberg ein Grundstück der Kammerherrin von der Osten (Stralsundische Zeitung Nr. 131 v. 31. 10. 1844). Es umfasste ein steuerfreies Wohnhaus mit Anbau, Wagenremise, Waschhaus, Befriedung und „sehr geräumigem Garten“. Die Erben verkauften es. 

Im Juli 1844 hatte auch das Nachbargrundstück Joachimsberg-Straße Nr. 9 die Besitzerin, die verwitwete Frau von Usedom, geborene von Bagevitz, ihr Wohnhaus nebst Stallgebäuden, Einfriedungen, Haus-, Hof- und Gartenplatz an den Major und Ritter von Zansen auf Oldendorf verkauft (Stralsundische Zeitung Nr. 86 v. 18. 7. 1844). Sie war noch eine junge Frau, die am 19. 8. 1844 ein Mädchen zur Welt brachte. Das kündete die Mutter Frau von Bagevitz, geborene von Barnekow an (Stralsundische Zeitung Nr. 100 v. 20. 8. 1844).

Kürschner

Kürschner August Bussian in Bergen vermittelte den Verkauf eines Ladens (Stralsundische Zeitung Nr. 111 v. 16. 9. 1843). Bussian hatte sein Wohnhaus in der Königstraße Litt. E. Nr. 1 mit Stallgebäude, Zäunen und Plätzen (Stralsundische Zeitung Nr. 16 v. 6. 2. 1845). Er hatte es an den Gutsbesitzer Friedrich Böck, Klemm bei Gülzow verkauft.

Am 22. Februar 1848 verstarb August Bussian im Alter von 33 Jahren nach vierwöchentlichem schweren Leiden. Die Witwe Amalie mit ihren drei kleinen Kindern wollte die Kürschnerei „unter Mitwirkung geschickter Gehülfen ganz wie bisher fortsetzen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 23 v. 24. 2. 1848).

Bäckereien und Konditoreien

Dieses permanente Kaufen und Verkaufen zeigte sich beim Bäcker J. J. Bödcher, der gerade das „vormalige Lindströhmsche, am Markt bei Bergen belegene Haus“ erwarb und wieder zum Kauf anbot: „Das Haus empfiehlt sich durch seine vortheilhafte Lage am Markt; auch ist seit mehreren Jahren die Gastwirthschaft darin betrieben worden und der gehörige Stall- und Hofraum dabei vorhanden. Auch kann darin ein bedeutender Theil des Kaufgeldes zinsbar stehen bleiben“  (Stralsundische Zeitung Nr. 87 v. 21. 7. 1829).

Mitte Juli 1829 verkaufte der Bäcker Martin Friedrich Richert das ihm gehörende Haus in der Königstraße Nr. 6 dem Bäcker Müller in Sagard (Stralsundische Zeitung Nr. 94 v. 6. 8. 1829). Dazu gehörten Hintergebäude, Zubehör sowie drei Morgen Acker, eine Wiese (Flieder-Wiese genannt).

Spätestens im April 1843 hatte sich der „Conditor“ F. Dohmstreich in Bergen „am Markt“ niedergelassen (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 4. 4. 1843). Er bot seine „mit allen möglichen Confitüren reichhaltig und vollständig versehene Conditorei … allen geehrten Herrschaften der Stadt und Umgegend zu hochgeneigter Beachtung“ an mit „Malz-, Mohrrüben-, Vanille-, Citronen-, Kirsch-, Chocoladen-, Rosa- usw. Bonbons, Brust- und Gersten-Zucker, à Pfund 15 Silbergroschen“.

Bereits ansässig war der Konditor Carl Siewert „in der Fieschstraße Litt C. Nr. 4“. Er hatte das Gehöft mit Wohnhaus, Hintergebäude, geräumigem Garten und Gartenhaus mit angebauter verdeckter Kegelbahn sowie Zäunen, Haus- und Hofplatz vom Gastwirt Heinrich Jacob Rothbarth erworben (Stralsundische Zeitung Nr. 62 v. 24. 5. 1843).  Zum Weihnachtsfest 1844 hatte er eine „Weihnachts-Ausstellung“ an Gebäck und Süßwaren gestaltet, die er „zur geneigten Ansicht“ empfahl (Stralsundische Zeitung Nr. 151 v. 17. 12. 1844).

Der harte Konkurrenzkampf zwang die einzelnen Konditoreien in das Zentrum, zum Markt, zu ziehen. So teilte der Konditor G. Hoffmann mit: „Da ich zu Ostern meine Conditorei in das am Markt belegene, mir eigenthümlich gehörende Haus, dem „goldenen Adler“ schräg gegenüber, verlegt habe, so verfehle ich nicht, solches den geehrten Herrschaften gehörsamst anzuzeigen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 36 v. 25. 3. 1845).

1846 verstarb der 33jährige Bäckermeister Philipp Holtfreter in der Königstraße Nr. 3, teilte „die tief betrübte Witwe“ am 27. 9. mit (Stralsundische Zeitung Nr. 117 v. 29. 9. 1846). Zum Wohnhaus gehörten Vieh- und Mastkoven, Zäune, Haus- und Hofplatz, „worin bisher mit gutem Erfolge Bäckerei und Gastwirthschaft betrieben ist“ (Stralsundische Zeitung Nr. 23 v. 24. 2. 1848). Am unteren Ende der Königstraße hatte Holtfreter noch eine Scheune und in der Feldmark sieben Pommersche Morgen. Alles wurde bis zum 16. März 1848 zum Kauf angeboten.

Fleischer, Fleischermeister

Im August 1843 betrauerte der Fleischermeister Wilhelm Haase den Tod seiner Frau Marie, geb. Schumacher (Stralsundische Zeitung Nr. 97 v. 15. 8. 1843).

Schlosser und Schlossermeister

Derartige publica proclamata galten auch im Todesfalle. So musste der Witwer und Pächter zu Freetz, Friedrich Joachim Klikow, beim Tode seiner Frau Henriette, geb. Töpper, wegen möglicher Ansprüche und Forderungen an ein vom Maurer Bogislav Deusing erbautes Haus des Vaters, des Ackermanns Töpper, auf dem Joachimsberg, den Tod der Tochter bekannt geben. Das Haus war bereits an den Schlossermeister Krüger verkauft worden.

Der Schlosser-Altermann Ehrke bot sein Wohnhaus mit Stallgebäude, Zäunen und einer zum Hause führenden Auffahrt zum Kauf in der Gingster Str. 8 an (Stralsundische Zeitung Nr. 57 v. 12. 5. 1847).

Kaufmann Wilhelm Wagner jun.

Am 19. 4. 1842 teilte Wilhelm Wagner jun. mit, dass er sein „hier am Markt belegenes Haus, bewidmet mit der Brenn- und Brauereigerechtsame, worin bis jetzt Material- und kurzer Waarenhandel betrieben“, „aus freier Hand zu verkaufen“ wünschte (Stralsundische Zeitung Nr. 48 v. 23. 4. 1842). Dazu gehörte ein Garten von 2/3 Pommerschem Morgen mit Brunnen, die sich „besonders zur Anlegung einer Destillation, Brennerei oder Färberei eignen“.

Wilhelm Wagner war im Mai 1843 dann Stadt-Rendant und teilte am 21. 5. 1843 die Geburt eines „gesunden Knaben“ mit (Stralsundische Zeitung Nr. 62 v. 24. 5. 1843). 1844 zeigte er wiederum die Geburt eines Knaben an (Stralsundische Zeitung Nr. 149 v. 12. 12. 1844).

1847 teilte D. W. Wagner mit, „Altersschwäche veranlasst mich meine am Markte hieselbst belegenen beiden Häuser, in welchen seit einer langen Reihe von Jahren Handlung, Brauerei und Brennerei mit gutem Erfolge betrieben ist, so wie Speicher, Scheune und circa 70 Magdeburger Morgen Acker und Wiese, zusammen oder einzeln, aus freier Hand zu verkaufen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 65 v. 1. 6. 1847).

1848 kaufte der Brauer-Altmann Johann Heinrich Holtfreter „das der Wilhelmine und Ferdinandine Oom bisher gehörige, in der Kirchenstraße zu Bergen belegene sogenannte Freihaus“ (Stralsundische Zeitung Nr. 83 v. 23. Mai 1848).  

Kaufmann R. E. Zimmermann

Wenig bekannt ist dieser „Händler“ R. E. Zimmermann, der „zu Ostern oder sonst zu Johannis“ einen Lehrling suchte (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 4. 4. 1843).

Die Bootsstelle bei Bergen

Im April 1843 bot J. Wothke sein „zu der Bodstelle (sic) bei Bergen belegenes Gasthaus mit 7 Morgen eigenthümlichen Acker und Stallgebäude … Veränderung halber aus freier Hand zu verkaufen” an (Stralsundische Zeitung Nr. 41 v. 6. 4. 1843). Wothke musste mehrfach annoncieren und hatte seinen Besitz Anfang Juni 1843 noch nicht verkauft (Stralsundische Zeitung Nr. 68 v. 8. 6. 1843). Am 25. Juni 1843 teilte er über eine Zeitungsannonce mit, dass er zu Johannis 1843 die Grahler Fähre übernehmen werde (Stralsundische Zeitung Nr. 75 v. 24. 6. 1843). Dazu sei es „ihm gelungen, eines der ersten Segelboote darzustellen, und ist das zweite bereits auch fertig, so daß ich mir durch meine praktische Erfahrung wohl erlauben kann zu sagen, jedem Sturm die Spitze zu bieten, und alle sich mir vertrauende Reisende ohne alle Gefahr überzufahren im Stande bin, weshalb ich um geneigten Zuspruch bitte. Bootstelle, den 25. Juni 1843. J. Wothcke“ (Stralsundische Zeitung Nr. 75 v. 24. 6. 1843).

„Der Schiffer Julius Woth (sic) zu Bootstelle“ hatte sein Gehöft mit 15 Morgen Magdeburger Größe an den vormaligen Pächter Philipp Schulz, Zirkow, verkauft (Stralsundische Zeitung Nr. 75 v. 24. 6. 1843)

Böttcherei

Im Mai 1843 hatte sich der Böttcher F. Tietz in der Gingster Straße im Hause der Witwe Bordier niedergelassen (Stralsundische Zeitung Nr. 64 v. 30. 5. 1843). Er empfahl sich mit „prompter und reeller Bedienung“.

Anfang September 1846 bot der in Konkurs gegangene Böttchermeister Joachim Christoph Eggert sein Gehöft in der Königstraße Litt. E. Nr. 25 zum Verkauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 109 v. 10. 9. 1846).

Sterben und Geburten

Im Mai 1829 verstarb der Stadt-Altermann Carl Junge (67 Jahre alt geworden) – er war mit Wilhelmina Renz verheiratet gewesen (Stralsundische Zeitung Nr. 59 v. 16. 5. 1829). Am 13. 5. 1829 verstarb die Witwe Hoffstädt, geborene Wilken – sie wurde 65 Jahre alt (Stralsundische Zeitung Nr. 60 v. 19. 5. 1829). In Bergen verstarb am 22. 5. 1829 Fräulein Gottlieb von Scheelen in ihrem 73sten Lebensjahr (Stralsundische Zeitung Nr. 63 v. 26. 5. 1829).

Grabstelle der Familie Carl Behn, 2013, Foto A. Leube

Offenbar 1829 verstarb auch der Bäckermeister Johann Friedrich Julius Sperling aus „der Hinterstraße beim Markte unter Nr. 4“ (Stralsundische Zeitung Nr. 67 v. 4. 6. 1829).  Nun sollte sein Nachlass auf „Ansprüche und Forderungen“ bereinigt werden.

Grabstelle der Senatoren-Familie Freese, 2013, Foto A. Leube

Dem Apotheker Ph. Amtsberg war am 16. 5. 1829 eine gesunde Tochter geboren (Stralsundische Zeitung Nr. 70 v. 11. 6. 1829).

Einem Dr. Bodinus wurde am 23. 1. 1843 ein gesundes Mädchen geboren (Stralsundische Zeitung Nr. 11 v. 26. 1. 1843).

Das Kloster in Bergen

Dazu gab es 1829 den Sekretär Huldberg, dem „die Curatoren des Bergenschen adlichen Klosters“ vorstanden. Dieser verpachtete im August 1829 die Jagd im „Bergenschen Kloster-Holze“ (Stralsundische Zeitung Nr. 96 v. 11. 8. 1829).

An der Klostermauer, Billrothstraße, 1962, Foto A. Leube

1846 suchte M. A. Götteritz „einen Burschen, der Lust hat Klempner zu werden“ (Stralsundische Zeitung Nr. 35 v. 21. 3. 1846).

1852 bot der Klempner M. A. Götteritz sein Wohnhaus mit Stallung und Garten in der Königstraße zum Verkauf an (Stralsundische Zeitung Nr. 35 v. 11.  2. 1852).

Das Jahr 1898

Hotel etc.LageCharakteristikBesitzer
Hotel zum Bahnhof mit GartenUnmittelbar  am BahnhofSolide Preise, gute Verpflegung,C. Kankel/ 1899
Hotel zum RatskellerAm MarktÄltester Gasthof der Insel; sehr zu empfehlenStange
Hotel zum Prinzen von PreußenStraße zum Bahnhof  
Hotel zum goldenen AdlerAm Markt  
M. Haase’s GasthofAm Markt M. Haase
    
Hotel Mecklenburger Hof, 1970, Foto A. Leube

Von 1815 bis 1853 – also 38 Jahre lang – hatte G. Hasper den „Gasthof I. Klasse „Zum goldenen Adler“ bewirtschaftet (Stralsundische Zeitung Nr. 53 v. 3. 3. 1853). Am 20. 2. 1853 bot er ihn „aus freier Hand“ an. Die „in blühendem Verkehr“ befindliche Wirtschaft hatte „gute Stallungen, einen großen Hof- und Gartenplatz“. Damals bot er noch am 6. März  1853 einen Kinderball an.
Bereits für den 22. 1. 1843 hatte er „die Mitglieder der Ressource-Gesellschaft und die von denselben einzuführenden Fremden“ zu einem Ball eingeladen  (Stralsundische Zeitung Nr. 4 v. 10. 1. 1843). Auch 1847 hatte G. Hasper zu einem „Ball für Honoratioren“ eingeladen (Stralsundische Zeitung Nr. 8 v. 19. 1. 1847).
Im Juli 1847 verkaufte bei ihm die Putz- und Modewaren-Handlung C. G. Lauckner, Stralsund, „ihre reichhaltige Auswahl (an) … Damenputzsachen“ (Stralsundische Zeitung Nr. 86 v. 20. 7. 1847).

Am 23. 3. 1853 verstarb im 62. Lebensjahr der Gastwirt J. E. Breitsprecher (Stralsundische Zeitung Nr. 71 v.25. 3. 1853).

Am 1. 4. 1853 übernahm E. Schütz als Apotheker die früher dem Biel gehörende Apotheke (Stralsundische Zeitung Nr. 79 v. 6. 4. 1853).

Blick auf die einstige Apotheke in den 1950er Jahren, Foto Kurt Leube

Die Firma und das Imperium Gootz

Es begann alles mit einem M. Gootz, dessen Erben 1846 zwei Häuser in der Stadt verkauften. Das eine Haus in der Dammstraße Nr. 3 wurde zu dieser Zeit vom Kreisphysikus Dr. Sponholz bewohnt (Stralsundische Zeitung Nr. 49 v. 23. 4. 1846). Das Haus war zweistöckig, besaß Hintergebäude und Garten. In dem zweiten Haus in der Kalandstraße Nr. 10 wohnte der Assessor Vettin mit „einem bedeutenden Garten“ (Stralsundische Zeitung Nr. 49 v. 23. 4. 1846). Dieses Haus hatte sechs heizbare Zimmer, hinreichend Stallgebäude, eine Auffahrt und den großen Garten. Noch im November 1846 war es nicht verkauft (Stralsundische Zeitung Nr. 144 v. 1. 12. 1846).

1847 oder sogar bereits 1846 hatte der Gastwirt Joachim Wilhelm Zander aus Stralsund von den Erben des Gerbers Gootz in der Calandstraße Nr. 10 ein „Wohnhaus nebst Speicher, Stallgebäude, Befriedungen, Haus-, Hof- und Gartenplatz“ erworben (Stralsundische Zeitung Nr. 95 v. 10. 8. 1847).

Im April 1853 eröffnete E. Gootz seine „hier neu errichtete Bier – Brauerei“ (Stralsundische Zeitung Nr. 89 v. 18. 4. 1853). Er bot Bairisch Bier an – eine Flasche einen Silbergroschen. 

Resümee

Die Krise zeigte sich besonders 1823 als nur noch wenige Geschäfte im Heimatkalender annoncierten. Die Annoncen des Jahres 1837 belegen die wirtschaftlich stärksten Geschäfte, Handwerker etc.

Der hier gegebene Rückblick auf das 19. Jahrhundert belegt die wechselvolle, aber auch vielseitige Entwicklung der Kleinstadt Bergen. Ähnlich heutiger Problematik hatten die Bergener Bürger zwar wirtschaftlich zu kämpfen, entwickelten jedoch auch eine rege Kultur mit zahlreichen geselligen Vereinen. Das ist “natürlich” heute vergessen und die Namen vieler Familien aus jenen Jahrzehnten sind heute unbekannt. So sei an sie in Dankbarkeit erinnert in Anerkennung ihrer Leistungen.

Bevölkerungsentwicklung auf Rügen in den Jahren 1815 – 1922

Quelle: RHK (Rügenscher Heimatkalender)

Siedlungsart1800 (Grümbke 1819)1908 (RHK 1908, 56, 65)1910 (RHK 1912, 61)1912 (RHK 1912, 61)1913 (RHK 1913, 49, 61)1918 (RHK 1918, 49)1919 (RHK 1919, 62)1921 (RHK 1921, 61)1922 (RHK 1922, 49, 68)
Bergen, Garz25626123 (1900) 606061165723553363886388
73 Landgemeinden 23457 234572418021392207852355024257
226 Gutsbezirke 17506 175061786319211193882156221562
Gesamt-Einwohnerzahl249274702348150470234815946326457065150052207

Furthmanns Werk lebt weiter

Ostsee-Zeitung, 31. Januar 1996, – Leserbriefe

Mit großer Anteilnahme habe ich die bewegenden Gedanken zum 10. Todestage des Rüganers Friedrich Wilhelm Furthmann gelesen und bin darüber dem Autor Uwe Weidemann sehr dankbar. Ich kannte Furthmann, der nur wenige Kilometer von meinem damaligen Heimatort Lobbe entfernt wohnte, seit 1954. Damals bin ich über ihn mehr oder weniger zum Studium der Ur- und Frühgeschichte veranlasst worden.

Abb. 1 Rügen 1986. Verbreitungkarte der jungsteinzeitlichen Fundorte.

Abb. 1 Rügen 1986. Verbreitungkarte der jungsteinzeitlichen Fundorte.

Furthmanns wissenschaftliche Bedeutung wäre eine gesonderte Studie wert. Er beschäftigte sich ja auch mit der rügenschen Volkskunde und hatte dazu eine große Materialsammlung durch Befragen älterer Einwohner angelegt. Wie feierte man etwa um 1900 die kirchlichen und weltlichen Feste, welche Kartenspiele waren üblich (in Lancken-Granitz gab es einen Whist-Club), was wurde zu den Feiertagen gegessen usw.? Natürlich ging es F.-W. Furthmann nicht um vordergründigen „Lorbeer“, aber es erfüllte ihn doch mit Stolz, wenn namhafte Historiker ihn aufsuchten. Ich entsinne mich, dass er einen Brief des damaligen Experten für die nordische Bronzezeit, Prof. Sprockhoff aus Kiel, aufbewahrte, der ihm zum Fund einer seltenen bronzenen Zierscheibe gratulierte.

Furthmanns Erbe wird von uns Archäologen weiter bewahrt. Seine Erkenntnisse fließen sowohl in Forschungen oder Museen wie auch in die universitäre Ausbildung in Greifswald und Berlin ein. So lebt sein Werk weiter. Es dürfte von Interesse sein, dass sein Enkelkind, Kirstin Furthmann, inzwischen an der Humboldt-Universität das Fach Ur- und Frühgeschichte studiert und auch so die Familientradition weitergeführt wird.

Furthmann lebte nun nicht in der Vergangenheit. Er verstand sein Werk im Dienst für die Gegenwart und  Zukunft. Rügen hat einen einmaligen Reichtum an Denkmälernunserer vorzeit im deutschen Raum und in einer noch intakten Umwelt. Dabei sind auch sie nur der kärgliche Rest einer ursprünglichen Fülle, deren Konzentration im Südosten Rügens dem Schutz der Fürsten von Putbus und nach 1945 eines intensiven Denkmalschutzes unter der Ägide Friedrich Wilhelm Furthmanns zu verdanken ist.

Abb. 2 Dummertevitz.  Großsteingrab Siegesstein im Jahre 1960. Aufnahme  A. Leube

Abb. 2 Dummertevitz. Großsteingrab Siegesstein im Jahre 1960. Aufnahme A. Leube

Wie geht das heutige Rügen mit dem kulturellen Erbe und dem Vermächtnis Furthmanns um? Das ist eine der bewegenden und provokativen Fragen, die das Flair, den Charakter und einen Teil  der Zukunft der Insel Rügen betreffen. Die Verantwortung zur Bewahrung des kulturellen Erbes steht vor den Rüganern und den entsprechenden Behörden. Die Insel Rügen und ihre kulturellen und historischen Besonderheiten gehören allerdings im übertragenen Sinne nicht den Rüganern allein, wie oft vordergründig und ohnehin meist von Außenstehenden propagiert wird. Dazu sind die Kultur und Natur Rügens in Mitteleuropa zu einzigartig und erscheinen einige einheimische Forderungen zu einseitig, zu kurzsichtig und zu subjektiv.

Eigentlich geht von diesen „uralten bemoosten“ Hünen und Hügelgräbern der Stein- und Bronzezeit ein so geheimnisvoller Reiz aus, über den schon Kosegarten im 18. Jahrhundert  schrieb, dass ihre Präsenz und die sie umgebende, integrale Landschaft einen überaus gewichtigen Teil  rügenscher Touristik und zu bewahrender Kulturlandschaft bilden müsste und keiner so gewichtigen (und teuren) Planungsbüros aus fernen oder nahen Landen bedarf.

Bereits heute finden aus vielen Universitäten und Wissenschaftsgesellschaften Deutschlands studentische und allgemeine archäologische Bildungsreisen nach Rügen – auch zum Nutzen und Frommen des einheimischen Gaststätten- und Hotelgewerbes, das sich eigentlich auch einmal fördernd zu dieser Natur- und Kulturpflege positionieren muss, statt.

Abb. 3 Lancken-Granitz. Sogenanntes Birkengrab. 2009. Aufnahme A. Leube

Abb. 3 Lancken-Granitz. Sogenanntes Birkengrab. 2009. Aufnahme A. Leube

Furthmanns Wunsch nach einem zentralen rügenschen Museum (ohne Aufgabe der übrigen), nach besserer (und damit teurerer) Beschilderung der archäologischen Denkmäler, nach (wissenschaftlich) geeigneten Wanderheften oder  Faltblättern usw. steht schon seit Jahrzehnten.

Weihnachten auf Rügen vor 100 Jahren

Ostseezeitung 18. 12. 1978

Senkte sich der Winter über Rügen, erlahmte  im vergangenen Jahrhundert (im 19. Jh.) der Verkehr, und der Inselcharakter prägte sich aus. Eine starke Eisdecke verhinderte den Trajektverkehr zwischen Stralsund und Altefähr, hemmte den zunächst nur nach Saßnitz führenden Zugverkehr und führte oft zum Einschneien von Ortschaften. Über den Strelasund verkehrte dann der Pferdeschlitten, der sogenannte Koithahn. Damit wurden Lasten, Personen und Kleintiere befördert. Die Fahrt über das Eis war jedoch nicht ungefährlich, da plötzliche Eisspannungen zur Bildung von Schollen führten. So verbrachte im Jahre 1893 ein Ummanzer zwei Tage und zwei Nächte auf einer Scholle, ehe er gerettet wurde.

Abb. 1 Mönchguter Tracht. Foto Bitterling-Göhren. 1982.

Abb. 1 Mönchguter Tracht. Foto Bitterling-Göhren. 1982.

Die Eisdecke verhinderte den Fischfang, der für viele der einzige Gelderwerb war. Im Winter 1888 verdienten die rügenschen Fischer eine Zeitlang nur eine Mark in der Woche. Ein Pfund Weizenmehl kostete aber 40 Pfennig, ein Pfund Zucker 50 Pfennig und ein Pfund Fleisch zwischen 40 und 60 Pfennig! Natürlich war die Eisfischerei nicht ungefährlich. So trieben 1883 sechs Breeger Fischer mit einer Scholle ab und konnten sich nur mühsam retten.

Natürlich bestimmte diese wirtschaftliche Lage der arbeitenden Bevölkerung Rügens auch die Form des Weihnachtsfestes. Mit dem Aufwand, wie wir es heute zu feiern gewohnt sind, war Weihnachten im 19. Jahrhundert nicht vergleichbar. Blättern wir in der Geschichte zurück, so müssen wir überhaupt feststellen, dass das Überreichen von Geschenken am 24. Dezember sich erst im 17. und 18. Jahrhundert in Mecklenburg einbürgerte. Davor erfolgte ein Beschenken nur am 6. Dezember. Die Kinder hielten dann ihre Mützen hin, in die Äpfel, Nüsse und Gebäck geschüttet wurden. In einigen Gegenden gab es neben den bekannten „Peppernött“ die „Haaspuppen“. Sie waren aus Wasser und Weizenmehl gebacken und stellten Adam und Eva dar. Man aß sie in Milchsuppe gebrochen.

Abb. 2 Altefähr. Rohrgedecktes Haus mit Walmdach. Aufnahme - A. Leube. 2008.

Abb. 2 Altefähr. Rohrgedecktes Haus mit Walmdach. Aufnahme – A. Leube. 2008.

Der Weihnachtsbaum setzte sich erst um 1860 in Mecklenburg durch. Da er mit Rosinenbändern behangen wurde, nannte man ihn „Rosinenboom“. Die Lichter stellte man selbst her. Man drehte Flachs und Bienenwachs zu dicken Rollen und schnitt davon fingerlange Enden ab. Diese Lichter hießen „Släpkatten“.

Eigenartig muten uns einige „Bräuche“ an, die  in der Nacht vom 24. Zum 25. Dezember in Stralsunder Kirchen ausgeübt wurden. Der damalige Bürgermeister Franz Wessel (1487 – 1570) berichtete darüber. Die Christmesse – der Gottesdienst war noch katholisch – setzte um Mitternacht ein und dauerte Stunden. Zwischen den Andächtigen saßen junge Burschen in Frauenkleidern oder als Hirten verkleidet mit Hunden, Schafen oder Ziegen. Sie spektakelten umher und zerknallten Schweineblasen mit getrockneten Erbsen. In Kirchenecken wurde gegessen und getrunken.

So hat sich das Weihnachtsfest zwar in seinen äußeren Formen im Laufe vieler Jahrhunderte gewandelt, sein ursprünglicher Grundgedanke, der bis in altgermanische und römische Zeiten zurückreicht ist bis heute erhalten geblieben: Ein Fest des Friedens und der Völkerverständigung, der Besinnung und Sammlung neuer Kräfte.

Die Bodenreform auf Jasmund

Zu den entscheidenden historischen Ereignissen, die nach 1945 das Leben auf Jasmund prägten, gehört die Durchführung der Bodenreform.[1] Eine detaillierte Aufarbeitung dieser Geschichtsetappe begann 1964 mit der (ungedruckten) Dissertation „Die Vorbereitung und Durchführung der demokratischen Bodenreform im Kreise Rügen“ des aus Granskevitz stammenden Herbert Schäwel (13. August 1924 – 17. April 2015).[2] Diese Dissertation ist sehr (KPD-)parteilich gehalten. Vor etwa einem Jahrzehnt behandelte der Historiker und Pastor Martin Holz die Bodenreform auf Rügen und sah in ihr mit gebotenen Einschränkungen auch eine „Arbeitsmöglichkeit für Flüchtlinge und Vertriebene“ (Holz 2004, 36 ff.).

Abb. 1. Klassenlehrer Herbert Schäwel( 1924-2015) im Jahre 1954. II

Abb. 1. Der Rügener Historiker Prof. Dr. Herbert Schäwel als Junglehrer an der Bergener
Ernst-Moritz-Arndt Oberschule im Jahre 1954. Aufnahme: Sammlung A. Leube.

                                  Der Rügener Historiker Herbert Schäwel (1924-2015)

Herbert Schäwel sah nahezu 20 Jahre später kaum Probleme in der Durchführung der „Reform“ und ignorierte jegliche Übergriffe (Abb. 1). Seine einseitige politische Haltung ergab sich aus der Herkunft als Landarbeiterkind und als Knecht. So wurde Herbert Schäwel als Sohn eines Landarbeiters und dessen Ehefrau Lina (geb. Kummerow) in Granskevitz geboren. Die Familie verzog noch vor 1930 nach Neu Reddevitz, wo Schäwel von 1930 bis 1938 die Einklassenschule besuchte. Nach der Rückkehr aus dem Kriege nahm er 1947 eine Ausbildung als Lehrer in Putbus wahr. Im März 1949 vertiefte er seinen Schuldienst mit den Lehrerprüfungen in den Jahren 1950 und 1952. Danach qualifizierte er sich als Mittelstufen-Lehrer und von 1955 bis 1960 als Lehrer der Oberstufe an der Pädagogischen Hochschule in Potsdam (Schäwel 1964, Lebenslauf). Nach der Promotion 1959 wechselte er an die Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald als wissenschaftlicher Assistent am „Institut für Geschichte“ und 1970 an die „Sektion für Marxismus-Leninismus“. 1976 habilitierte er sich und erhielt eine Professur „für die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“.[3] 1985 wurde er mit 61 Jahren vermutlich aus gesundheitlichen Gründen vorzeitig emeritiert.

Der Beginn einer Boden- und Güterenteignung setzte am 3. September 1945 in Sachsen-Anhalt ein mit dem Ziel „Naziaktivisten und Kriegsverbrecher“ sowie den Großgrundbesitz über 100 Hektar entschädigungslos zu enteignen (z. B. Herbst et al. 1994 I, S. 19). Demnach hätten manche Güter – wie Groß Bandelvitz bei Altefähr mit seinen 212 Morgen (53 ha) – nicht enteignet werden dürfen. Dazu waren viele Güter auf Rügen in Stralsunder Kirchen-, Kloster- und Stiftungsbesitz und stets nur verpachtet gewesen. Unter der Parole „Junkerland in Bauernhand“ stimmten in begrenztem Maße auch andere ostdeutsche Parteien zu. Allerdings hatte die CDU unter ihrem Vorstandsmitglied Jakob Kaiser (1888-1961) am 27. November 1945 eine weitere Mitwirkung in bzw. an der Bodenreform abgelehnt, wie auch der Gründungsvorsitzende der CDU in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) Andreas Hermes (1878-1964) Mitte Dezember 1945 grundsätzlich Bedenken gegen die entschädigungslose Bodenreform  aussprach (nach Schäwel 1964, S. 136 f.).

                           Die Bodenreform auf Jasmund 1945 und die Akteure

Zunächst entstand seit dem Aufruf zur Gründung der Parteien auch in Sagard eine Ortsgruppe der KPD. Sie begann am 11. Juni mit einem Aufruf der KPD und im Juli 1945 mit der „Vorbereitung der demokratischen Bodenreform“. Eine der führenden Personen Rügens, der die Bodenreform vorantrieb, war der stellvertretende Landrat und Vorsitzende der Kreisbodenkommission Karl Kappes (1912-?), über den der von Rügen stammende Historiker Herbert Schäwel schreibt: „Gen. Kappes kam im Februar 1942 in sowjetische Kriegsgefangenschaft. Als ehemaliges Mitglied des KJVD suchte er nach politischer Betätigung. Er lernte Arthur Pieck kennen und besuchte noch im selben Jahre eine „Antifaschule“. Kappes arbeitete dann als Frontbeauftragter an der „2. Belorussischen Front“ und kam mit der Funktion des stellvertretenden Landrats im Kreis Rügen, wo er am 19. Mai 1945 eintraf“ (so Schäwel 1964, S. 94, Anm. 3).

Damaliger Landrat war der Gymnasiallehrer Dr. Hugo Blohm, der unwillig die Bodenreform mit dem Kreislandwirt Kahl betrieb. Über Kahl vermerkte Schäwel: „Kahl war Pächter von Prissvitz und hatte es verstanden, sich in das Vertrauen der Besatzungsmacht einzuschleichen. Er wurde Leiter der Abteilung Landwirtschaft und hatte immer wieder Gelegenheit, gegen die Bodenreform zu arbeiten“ (Schäwel 1964, S. 94, Anm. 2).

Am 2. September 1945 kam es in Bergen zu einer Sitzung des „Antifablocks“. Hier trat der Landarbeiter Paul S(chulz) (KPD) aus Neddesitz auf und erklärte, daß „die Güter der Feudalherren den Bauern im 15. und 16. Jahrhundert gestohlen wurden – „warum sollen wir heute vor der Enteignung zurückschrecken? Ich bilde mir ein, genauso rechnen zu können wie jeder Großgrundbesitzer. Auch Ihr könnt das“ (Börst 1983, S. 14). Im September 1945 wurden nun „Gemeindebodenkommissionen“ gebildet, die die Flächen sowie das gesamte tote und lebende Inventar zu erfassen hatten. Die ersten Aufteilungen auf Jasmund erfolgten in Dargast am 3. Oktober 1945 sowie  in Wostevitz und Dubnitz am 8. Oktober 1945 (Börst 1983, S. 16).

Der Vorgang der Güteraufteilung

Die Mehrzahl der Güter Rügens war bis Ende Oktober 1945 aufgeteilt (Schäwel 1964, S. 102). Für den Ort Sagard kamen sechs Güter in Betracht, deren Inhaber mit einer Ausnahme alle Pächter waren. So gehörten Marlow, Mönkendorf, Polchow und Polkvitz dem Fürsten zu Putbus, Quoltitz dem Stralsunder Kloster St. Annen und Brigitten (Schäwel 1964, IX). Nur Vorwerk war in Privatbesitz der Familie Lietz, während Gr. Volksitz – auch im Besitz der Putbusser Fürstenfamilie – von Schäwel nicht aufgeführt wird:

Tab1

Tab. 1 . Bodenreform-Statistik in Hektar-Flächenmaß. Stand der
Verteilung am 17. November 1945 (Schäwel 1964, S.102)

In Sagard ergab sich bei einem Stand vom 17. November 1945 noch ein erheblicher „Restbestand“ an aufzuteilender Fläche (Tab. 1). Das hatte verschiedene Ursachen, wie auch Herbert Schäwel formulierte: „Besondere Schwierigkeiten gab es im Kreise Rügen bei der Aufteilung der Güter auf Jasmund“ (Schäwel 1964, S. 102). Damit waren auf der gesamten Halbinsel erst 50% aufgeteilt worden. Ursache nach Herbert Schäwel war „besonders der Widerstand der Junker und ihrer Helfershelfer“. Erst dem im November eingesetzten Sagarder Bürgermeister Paul Kostka[4] gelang es,  „die Aufteilungsarbeiten zu beschleunigen“ (Schäwel 1964, 103). Herbert Schäwel folgerte: „so kann doch Jasmund mit Sicherheit als das Gebiet des Kreises Rügen angesehen werden, in dem der Widerstand am heftigsten war und wo er auch in organisierter Form durchgeführt wurde“ (Schäwel 1964, S. 125).

Variationen der Bodenreform im Herbst 1945

So schätzte der Bauernhofpächter von Polchow – ein Herr Jubelt – sein Gut kleiner als 100 ha ein. Er irrte jedoch, denn nach dem „Rügenschen Heimatkalender“ von 1934 und 1937 hatte er 410 Morgen, also 102,5 ha, gepachtet. Das gesamte Gut Polchow gehörte allerdings der Fürstenfamilie zu Putbus und die verpachtete Land (Abb. 2).

Abb. 2. Polchow. Ehemaliges Bauernhaus am Hafen. Aufnahme A. Leube 2009

Abb. 2. Polchow. Ehemaliges Bauernhaus am Hafen. Aufnahme: A. Leube 2009.

Andere Gutsbesitzer Jasmunds,  eigentlich waren es Guts- oder Bauernhofpächter,  stellten Anträge auf die Errichtung von Musterwirtschaften. Dabei wurden sie vom ersten Bezirksbürgermeister (in Saßnitz) nach 1945 unterstützt. Sein Nachfolger Kostka – er unterrichtete Schäwel später intensiv – hatte dann die Besitzungen selbst vermessen, da keine Pläne vorlagen. Auch der Kreisrat Dr. Görtzen (offenbar der CDU angehörend) verhinderte die schnelle Bodenreform auf Jasmund mit der Begründung, es gäbe zu viele Kreidevorkommen: „Dort, wo heute noch Landwirtschaft ist, wird in fünf Jahren Industriegelände sein“ (so Görtzen nach Aussage Kappes: Schäwel 1964, S. 126, Anm. 2).

Schließlich versuchte die Familie Heyforth, Marlow, in verzweifelter Manier die Hälfte ihres Pachtlandes unter den acht Familienmitgliedern à 10 ha Nutzland aufzuteilen, wobei der Sohn Christian erst 1943 geboren war (Schäwel 1964, S. 127). Heyforth war übrigens Vorsitzender des Bodenkomitees in Marlow und Bezirkslandwirt.

Der ehemalige Inspektor Preiß von Polkvitz, der als „Treuhänder“ eingesetzt war, verfügte neben dem lebenden Inventar – also dem Viehbestand – über 54 ha Land, das er für sich und seine Familie sicherte (Schäwel 1964, S. 129).

Nachdem nun durch Kappes und Kostka offenbar „Druck“ ausgeübt wurde, ergab sich am 4. Februar 1946 dann folgender Bodenverteilungsstand (Tab. 2; nach Schäwel 1964, S. 133):

Tab3

Tab. 2. Jasmund. Verteilung der Gutsflächen in Hektar-Flächenmaß
am 4. Februar 1945 (nach Schäwel 1964, S. 133).

Anfang Februar 1946 war demnach das Bodenreform-Land erst zu zwei Drittel aufgeteilt – von den zu verteilenden 1 496 ha waren noch 580 ha als „Restfläche“ ohne Neubauern-Besitz (Tab.2; Schäwel 1964, 133). Auf dieser Gemeindeversammlung in Sagard vom 4. Februar 1946 war auch „der Kommandant der Halbinsel Jasmund“ – also ein sowjetischer Offizier – anwesend und wies auf den dringlichen Abschluss der Bodenreform hin (Schäwel 1964, S. 133). Nun wurden Heyforth und Preiß von ihren Funktionen entbunden.

Der „Tag des Neubauern“

Die Besitzurkunden wurden den Bauern am 30. Dezember 1945, dem „Tag des Neubauern“, überreicht (Schäwel 1964, S. 106). Aber auch dieser Termin war auf Rügen noch nicht der Endtermin. Noch am 17. Februar 1946 fand eine „Überprüfung der Durchführung der Bodenreform und der Vorbereitungen zur Frühjahrsaussaat“ statt (Schäwel 1964, S. 112). Immer noch ging es um die „Aufteilung der restlichen Flächen und Durchführung von Maßnahmen zur Sicherung der Bodenreform“. Jetzt wurde Ende Dezember 1945 die „Sicherung der Bodenreform und Durchführung der Restarbeiten“ für Mitte Februar 1946 erklärt (Schäwel 1964, S. 115).

Später wurde der Kreislandwirt Kahl verhaftet und verurteilt (Schäwel 1964, S. 121, Anm. 4). Kahl verließ danach die Sowjetzone.

Auf Jasmund gab es vor 1945 eine dominierende, aber auch funktionierende, Großraumwirtschaft mit entsprechenden Flurstrukturen. Übrigens ist diese Form nach der Gründung der landwirtschaftlichen Genossenschaften seit 1960 wieder aufgegriffen worden. Flache bis leicht kuppigen Grundmoränen wurden und werden seit Jahrhunderten landwirtschaftlich genutzt. Auf ihnen stehen einzelne nicht nutzbare Sölle mit Baumbewuchs. Sie aber haben den Charakter kleiner Biotope (Abb. 3).

Abb. 3. Quoltitz. Kuppige Grundmoräne am Opferstein. Aufnahme A. Leube. 2009

Abb. 3. Quoltitz. Grund- und Endmoränenfläche unweit des Opfersteins.
Aufnahme A. Leube 2009.

                                      Die ersten Jahre nach der Bodenreform

Schon im März 1953 wurden die ersten Genossenschaften auf Rügen gegründet. So gab es im damaligen Kreis Putbus bereits 29 Genossenschaften. Anfang Juni 1953 gab es 31 Genossenschaften im damaligen Kreis Bergen, d. h. 60 derartige Genossenschaften auf Rügen.[5]

Anfang Februar 1946 hatte die Gemeinde Sagard unter Bürgermeister Kostka den Beschluss gefasst, „die volle Arbeitskraft für die Durchführung der Bodenreform und die Sicherung der Ernährung des deutschen Volkes einzusetzen als Dank dafür, daß wir jetzt Freie Bauern auf eigener Scholle sein dürfen und von der Frohnarbeit (sic) unter der Junkerherrschaft befreit sind“ (nach Schäwel 1964, S. XV). Zu dieser Zeit hatte die Gemeinde Sagard 3 418 Einwohner und in der Gemeinde Dubnitz lebten 338 Menschen (Schäwel 1964, S. XX f.).

Im Sommer 1947 wurden SED-Versammlungen in Bergen, Garz und Sagard durch „klassenfeindliche Elemente“ gestört: „(sie) versuchen durch ihre Diskussionen über die im Augenblick schlechte Ernährungslage in provokatorischer Weise vom Thema abzulenken (Mitglieder der CDU)“ (Börst 1983, S. 41). Dies ist zugleich ein Ausdruck unbefriedigender Landwirtschaftspolitik.

                               Der Stand der Bodenreform am 30. September 1948

Herbert Schäwel untersuchte mit dem Zahlenmaterial aus dem Archiv der Bezirksleitung der KPD in Schwerin und der Kreisstelle Rügen den Stand der Bodenreform am 30. September 1948 (Schäwel 1964, 174 ff.).

Tab3

Tab. 3. Zahl der „Bodenempfänger“ und die Größe der verteilten Ackerfläche in Hektar
(nach Schäwel 1964, S. 174).

Insgesamt wurden nach den Angaben des Historikers Herbert Schäwel auf Rügen 57 076 ha Nutzfläche (inklusive 320 ha Wald) an 7 655 Personen bzw. Familien verteilt (Tab. 3). Es dominierten als „Bodenempfänger“ demnach die Landarbeiter bzw. landlosen Bauern mit 2 700 Familien, die fast 30 000 ha Land erhielten. Es folgten die etwa 2 350 „Umsiedler“ (Gruppe III) mit 26 000 ha Land. Bodenreform-Land erhielten in geringem Maße die „landarmen Bauern“, die Kleinpächter und die Angestellten. Diese letzteren 2 292 Familien erhielten nur den Bruchteil der Gesamtfläche von 1 131 ha Land, d. h. jede Familie erhielt etwa zwei Morgen (also 2 Viertelhektar, ca. 5 000 qm Fläche). Dagegen verfügten die 2 734 „Landarbeiter und landlosen Bauern“ sowie die 2 348 Umsiedler – also insgesamt 5 082 Familien – über  55 625 ha Nutzfläche, d. h. jede dieser Familie erhielt im Durchschnitt etwa 11 ha Nutzfläche.

Auf Rügen wurden 5 Landesgüter (VEG) und vier Kirchengüter nicht verteilt, deren gesamte Größe mit etwa 2 000 ha bis 3 000 ha angegeben war (Schäwel 1964, 175, Anm. 1-5). Im Besitz der Gemeinden und des VdgB (Verband der gegenseitigen Bauernhilfe) verblieben 1 706 ha.

Damit hatte sich bis 1950 die landwirtschaftliche Struktur total verschoben (Tab. 4; Schäwel 1964, 175):

Tab4

Tab. 4. Anteil der einzelnen Betriebsgrößen an der Gesamtfläche nach dem Stand
des Jahres 1950 (Schäwel 1964, S. 175). Prozent der Gesamtbetriebe (I) und
Prozent der Gesamtfläche (II). Im Vergleich mit dem Jahre 1937 in gleicher
Reihenfolge (III).

Die bisher dominierende Großraumwirtschaft, 1973  machte sie 73,2% der Gesamtfläche aus,  war auf diese Weise aufgeteilt (Tab. 4). Die neun erhaltenen „volkseigenen“ Güter bewirtschafteten nur noch 2 864 ha, d. h. 3,2% der Gesamtfläche (Schäwel 1964, 176). Nach Schäwel waren nun „gesunde und lebensfähige Betriebe für den Mittelbauern geschaffen worden“. In der Größe von 5 ha bis 20 ha entstanden 5 203 neue Betriebe.

Wie sich die landwirtschaftliche Entwicklung auf Jasmund vollzog, läßt sich so ohne weiteres den Texten Herbert Schäwels nicht entnehmen. Bei der „Sollerfüllung“ des Jahres 1949 gehörte Jasmund weder mit der Milch- noch mit der Eierablieferung  auf Rügen zum Spitzenfeld (Schäwel 1964, S. 181). Eine allgemeine Übersicht der Hektarerträge belegt nur, dass auf Rügen im Jahre 1952 die Hektarerträge des Vorjahres erreicht und überboten wurden, wobei die ständige Mangelwirtschaft in jenen Jahren für den „Normalverbraucher“ allerdings nicht erklärt wird (Tab. 5; Schäwel 1964, S. 182):

Anbaufrucht

1933

1952

Roggen

19, 8 dt

23,7 dt

Weizen

24,8 dt

32,7%

Hafer

22,1 dt

31,1 dt

Gemenge

20,0 dt

23,4 dt

Kartoffeln

137,8 dt

191 dt

   Tab. 5. Getreide- und Kartoffelanbau der Jahre 1933 und 1952 im Vergleich der Hektarerträge
(nach Schäwel 1964, S. 182).

Folgende Güter im Umkreise Sagards wurden durch die Bodenreform aufgeteilt (Tab. 6; Schäwel 1964, V ff.):

Name des Gutes  Besitzer  Größe  Quelle
Polchow Fürst zu Putbus 102 ha Schäwel 1964, V
Spyker Fürst zu Putbus 247 ha Schäwel 1964, V
Blieschow Fürst zu Putbus 166 ha Schäwel 1964, V
Wostenitz Fürst zu Putbus 203 ha Schäwel 1964, V
Marlow Fürst zu Putbus 218 ha Schäwel 1964, IX
Mönkendorf Fürst zu Putbus 383 ha Schäwel 1964, IX
Polkvitz Fürst zu Putbus 181 ha Schäwel 1964, IX
Quoltitz St. Annen und Brigitten 176 ha Schäwel 1964, IX
Vorwerk Lietz 458 ha Schäwel 1964, IX
Dargast Portland Zement Fabrik 391 ha Schäwel 1964, X

    Tab. 6. Übersicht über die Größe und den Besitzer jener Güter, die 1945 im Rahmen der
Bodenreform im Westen Jasmunds (um Sagard) aufgeteilt wurden (nach Schäwel 1964, V ff.).

Außerdem wurden zwei Betriebe als Besitz „aktiver Faschisten und Kriegsverbrechern“ unter 100 ha Nutzfläche enteignet und dem Bodenfond zugeführt (Schäwel 1964, XII f.). Es besaßen ein Herr Honig, Buse, 31 ha Nutzfläche, und die Familie Kähling, Kl. Volksitz, 80 ha Nutzfläche.

Literatur

Börst, W. (Redaktion) 1983:  Die Entwicklung der Kreisparteiorganisation Rügen der
Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands. Chronik 1945/64. Putbus.

Holz, M. 2004:  Evakuierte, Flüchtlinge und Vertriebene auf der Insel Rügen 1943-1961. Köln.

Schäwel, H. 1963a:  Die Durchführung der demokratischen Bodenreform im Kreise Rügen.
In: Greifswald-Stralsunder Jahrbuch 3, 1963, 107-117.

Schäwel, H. 1963b:  Die ersten Schritte der antifaschistisch-demokratischen Kräfte unter
Führung der KPD im Kreis Rügen für die Errichtung eines demokratischen und
friedliebenden Deutschlands. In: Wissenschaftliche Zeitschrift der Ernst-Moritz-Arndt
Universität Greifswald 12, Gesellschaftlich-sprachwissenschaftliche Reihe Nr. 2, 211-217.

 

Schäwel, H. 1965:  Der Widerstand der reaktionären Kräfte gegen die Bodenreform im Kreis
Rügen. In: 20 Jahre Bodenreform in Mecklenburg, herausgegeben im Auftrag des
Landwirtschaftsrates des Bezirkes von der Arbeitsgemeinschaft Agrargeschichte am
Historischen Institut  der Universität Rostock, 120-131.

 

Schäwel, H. 1979:  Die Vorbereitung der demokratischen Bodenreform.
In: Rügen-Jahrbuch 1980, Bergen, 40-47.

[1] Erwähnt sei auch eine recht inhaltslose Magisterarbeit von Maik Sommer, Der Rat des Kreises Putbus 1952-1955. Hamburg 2002. Dagegen ist die Arbeit von Irina und Sven Wichert, Ein weites Feld. Die sozialistische Umgestaltung der Landwirtschaft auf Rügen, Putbus 2006, sehr informativ.  Eine Übersicht gibt auch Fritz Petrick, Rügen. Die Geschichte einer Insel. Kiel und Hamburg. 2017.

[2] Vgl. auch Schäwel 1963a, S. 107 ff.; 1963 b, S. 211 ff.; 1965, S. 20 ff.; 1979, S. 40 ff.;

[3] Verf. hat Herbert Schäwel als Geschichts- und Klassenlehrer zwischen 1950 und 1954 erlebt. Er zeichnete sich neben den damaligen Lehrern Boris Zielke und Herbert Rehberg als ehrlicher, gerechter und wohlmeinender Pädagoge aus.

[4] Sein Vorgänger war offenbar der Friseurmeister Müller (SPD), der „für einige Monate den Posten des Bürgermeisters bekleidete“ (Schäwel 1964, S. 135).

[5] Bereits 1953 gab es aber auch die ersten „verwaisten landwirtschaftlichen Betriebe“, wie Polkvitz mit 374 ha des ehemaligen Pächters Boy (Börst 1983, S. 14).

Putbus – „und die Gegenwart vermerkt:“

Die Gegenwart vermerkt den Verkauf von Eigentumswohnungen am Putbusser Circus 8 und 9 „mit hoher Denkmal-Abschreibung, historischer Lage. Zum Selbstbezug oder zur Anlage. Hochwertige Ausstattung in klassizistischem Stadthaus“ (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 34 v. 27. 8. 2017, 50:Immobilien).

Abb. 1. Zeitungsnotiz (Frankf. Allg. Sonntagszetiung Nr. 34 v. 27. 8. 2017, 50) Abb.1. Putbus. Circus 8-9 – Verkauf von Wohnungen
(nach Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung
Nr. 34 v. 27. 8. 2017, 50).

Der Gesamtverkaufspreis des Hauses lag bei 190 435 Euro – also nicht einmal 200 000 Euro – und lässt den Sanierungsaufwand bei 80% des Kaufpreises bewerten (http://de.homepricelist.com/de/p.php?q=Putbus,%20Mecklenburg-Vorpommern&id=183166). Dazu eine Abschreibung von 9% auf 8 Jahre und eine von 7% auf 4 Jahre. Der Anbieter – die „Südwestimmobilien“ – hat ihren Sitz in München, Dudenstraße 9. Diese bietet auch eine 2-Zimmer-Wohnung von etwas mehr als 41 qm Wohnfläche für 160 852 Euro an (https://www.immobilienscout24.de/expose/92852358#/).

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Abb. 2. Sophie Friederike Wilhelmine Luise von Lauterbach (1784-1860), Ehefrau des Fürsten Wilhelm Malte I. zu Putbus.  (https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/3/38/Granitz_Schloss_Sophie_Friederike_Wilhelmine_Luise_von_Lauterbach%40Litho_C.Wildt.jpg).

Das Gebäude Circus 8 wurde 1843 von der Fürstin Luise zu Putbus (geborene von Lauterbach) nach Entwürfen des Architekten Johann Gottfried Steinmeyer (1780-1851) erbaut. Zunächst wohnte ein Herr von Lauterbach – also ein enger Verwandter der Fürstin zu Putbus – in diesem Hause und später zu den Badezeiten einige königliche Familien. (https://commons.wikimedia.org/wiki/File:2014_Putbus_14.jpg). 1869 kaufte es das Pädagogium und richtete hier ein Nebenalumnat ein.

Abb. 3._Putbus Circus 8

 

Abb. 3. Putbus. Haus Zirkus 8 (nach  https://commons.wikimedia.org/w/index.php?search=Putbus+Circus+8&title=Special:Search&go=Go&searchToken=
47xfl9ga6xaygroy23qsoi2os
)

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Abb. 4. Putbus. Haus Zirkus 8. Haustür –
aufgenommen 1989 durch A. Leube.

Circus 9 wurde bereits 1836 vom Fürsten Malte I. zu Putbus als Verwaltungsgebäude einer Zuckerrübenfabrik erbaut. Diese wurde bis auf dieses Gebäude 1846 abgerissen.

Abb. 5.  Putbusser Syrup

Abb. 5. Putbusser „Syrub“ (Stralsundische Zeitung Nr. 3 v. 8. 1. 1839).

 

Ein Zeichen der Existenz der „Zuckersiederei“ in Putbus im Jahre 1839 belegt der Verkauf von „Rüben-Syrub“ Anfang des Jahres 1839. Dieses Verkaufsmonopol hatten sich die beiden Kaufleute W. A. Block, Bergen, und G. Block, Putbus, gesichert. Allerdings existierte in Stralsund, Langestraße, bereits ein größeres Unternehmen   – die „Neuvorpommersche Zuckersiederei“, aus der dann einige Jahrzehnte später die Zuckerfabrik hervorging. Die weitsichtige Idee des Fürsten Wilhelm Malte I. zu Putbus auf Rügen, die Wirtschaft zu fördern und aufzubauen, war für diesen Wirtschaftszweig allerdings zu früh. Man baute erst ab 1880 auf Rügen große Mengen Zuckerrüben in hoher Qualität an, die nun in die „Zuckerfabriken“ Stralsund und Barth transportiert wurden.

Im 20. Jahrhundert wohnte in diesem Gebäude, Circus 9, der für Rügen interessante Historiker Dr. Carl Gustav von Platen (1887-1974), zugleich Verwaltungssekretär der Herrschaft Putbus. (Carl) Gustav von Platen, der den Spitznamen „Klammer-Carl“ trug, da er sich selbst den Vornamen Carl gab und diesen in Klammern setzte, war in den späten 1930er Jahren Denkmalpfleger auf Rügen. In seiner Zeit wurden zwei „Hünengräber“ in dem Forst Pastitz allerdings zerstört.

Pastitz Forst Grabkammer Klosterteich

 

Abb. 6. Forst Pastitz. Blick in die Grabkammer eines jungsteinzeitlichen Großsteingrabes
mit der Kammerung aus Steinplatten zur Besetzung mehrerer Verstorbener
(nach https://bodendenkmal.wordpress.com/tag/dr-carl-gustav-von-platen/).

                                          Das Zentrum für Software-Entwicklung

Die Gebäude des Circus 8 und Circus 9 haben bis in jüngste Zeit als „IT-Science-Center Putbus“ das Zentrum für Software-Entwicklung auf Rügen beherbergt. Hier sollten einst 50 Arbeitsplätze entstehen. Im  Jahre 2004 ging jedoch das Geld aus. Damals sprang eine Förderbank und der Stadt- und Landkreis Rügen als Bürgen ein. Nun sollten alle Häuser am Circus bis 2013 restauriert werden. Sie waren als Sitz eines Unternehmens mit 300 Angestellten und Auszubildenden gedacht (Birgit Riess, Carolin Welzel, Arvid Lüth: Mit Verantwortung handeln. 2008).[1] Ja, man plante 164 Auszubildende und Fortzubildende). Als Geschäftsführer trug
Dr. Reinhard Wendlandt mit 30 Mitarbeitern die Verantwortung.

2012 musste man aber feststellen: „Die im Jahre 2002 entwickelte Vision vom IT-Circus habe sich der harten Realität als nicht gewachsen erwiesen“ (Ostsee-Zeitung v. 23. 1. 2012). Die Häuser 8 und 9 sowie 11 und 14 mussten Konkurs anmelden. 2011 folgte das gesamte IT-Center. Da die Häuser 8 und 9 sich „in einem schlechten baulichen Zustand“ befanden, sah man sich zum Verkauf an einen „Gläubiger“ genötigt. Dieser wollte zunächst bei Wahrung des Denkmalschutzes einen Hotelbetrieb für beide baulich verbundenen Häuser errichten.

[1] 1991 wurde Putbus in die Städtebauförderung aufgenommen und außerdem 2007 in das Programm „Initiative Zukunfts-Standorte“. Bis zu diesem Jahr wurden 22 Mio Euro „verbaut“.

Prora erwacht – und das Kapital auch

Die „Frankfurter Allgemeine Tageszeitung“ Nr. 34 vom 27. August 2017 warb für den Kauf einer „Penthouse-Eigentumswohnung“ für bescheidene 681 200 Euro. Immerhin es sind drei Zimmer von 103 qm Größe, einer Dachterrasse, Balkon und Sauna! Iris Hegemann aus Berlin ist die Chefin der entsprechenden Berliner Baufirma „Neues Prora“ (http://www.deutschlandfunkkultur.de/prora-auf-ruegen-goldgraeberstimmung-im-ehemaligen-kdf.1001.de.html?dram:article_id=392135). Sie hat 111 Mönche 16 Tage lang 24 Stunden „chanten lassen“ und durch eine „Feng-Shui-Frau“ die Energie spüren lassen. Es gab keine „alten Energien“ mehr aus der NS-Zeit.

Der Begriff „Penthouse“ oder „Penthaus“ kommt aus dem lat. appendix (appendere: anhängen) – und in diesem Falle als Anhänger bzw. Anbau. Bekannt ist der appendix vermiformis als Wurmfortsatz des Blinddarmes. Es gibt aber auch den appendix epiploica – ein Fettgewebe entlang des Dickdarms. Beides unangenehm und unnötig.

Abb 1 Das Angebot (Frankfurter AllgemeineSonntagszeitung Nr. 34 v. 27. 8. 2017, S. 50)

Abb. 1. Kaufabsichten in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung
Nr. 34 v. 27. August 2017.

Prora ist heute nur als 4,5 km langes Bauwerk („Koloss von Prora“) der NS-Zeit bekannt. Es sollte einst 20 000 Urlaubern Platz bieten. Baubeginn war der 2. Mai 1936 – das Bauende wurde nicht erreicht, da der Ausbruch des II. Weltkrieges weitere Pläne verhinderte. Erhalten haben sich acht Blöcke von je 550 m Länge und sechs Etagen.

Abb. 2. Prora. Luftbild.

Abb. 2. Prora aus der Luft (http://www.ndr.de/kultur/geschichte/schauplaetze/
Prora-Der-Koloss-von-Ruegen,prora113.html
).

 1945 sprengte die Rote Armee den Nordflügel, so dass nur noch 2,5 km Gebäude nutzbar sind. Nach 1953 zog die NVA ein und stationierte angeblich 10 000 Soldaten. 1990 zog die Bundeswehr ein,  verließ jedoch Ende 1992 das Gelände. 1992 bzw. 1994 stellte man Prora unter Denkmalschutz. Zwischen 2004 und 2012 wurden bzw. werden die Blöcke I und II verkauft. Im März 2012 erwarben Iris Hegerich und Gerd Grochowiak, Berlin-Grunewald, Block I für 2,75 Mio Euro. Es entstehen Eigentumswohnungen für 6 500 Euro pro Quadratmeter (http://www.ndr.de/kultur/geschichte/schauplaetze/Prora-Der-Koloss-von-Ruegen,prora113.html).

Abb. 3. Prora. Blick auf einen der Blöcke im Jahre 2010. Aufnahme A. Leube

    Abb. 3. Prora. Einer der leeren Blöcke im Mai 2010. Aufnahme: A. Leube.

Hier ist neben 280 Eigentumswohnungen (zwischen 75 und 135 qm Größe) auch ein Hotel geplant. 34 Penthäuser entstehen auf dem Dach ab 650 000 Euro. Eine 100 qm-Wohnung kostet um 350 000 Euro. Das alles ist „günstig“, da eine steuerliche Abschreibung wegen des Denkmalschutzes möglich ist (http://www.berliner-zeitung.de/panorama/prora-auf-ruegen-penthaeuser-in-hitlers-bettenburg-24872064).

2015 waren bereits 80% aller Wohnungen und am 8. September 2016 95% verkauft – nun werden auch Preise von etwa 4 000 bis 10 000 Euro pro Quadratmeter angegeben (http://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Prora-Luxus-Wohnungen-im-Nazi-Bau,prora252.html). Die Prora Solitaire Immobilien GmbH verkaufte bis 2016 285 ihrer 350 Wohnungen und hatte bereits 91 Mio Euro investiert. Außerdem vermietet der Ferienhausanbieter Novasol hier 50 Appartements der fünf Sterne-Kategorie. Insgesamt sind bereits vier Investoren am Ausbau Proras tätig (https://www.welt.de/regionales/hamburg/article153682141/Aus-Hitlers-Erholungshoelle-wird-eine-Wohlfuehloase.html).

Der Berliner Investor Ulrich Busch kaufte zwei Blöcke für „nur“ 455 000 Euro – es ist heute der Preis für eine Wohnung!

Abb 6 Prora. Unter Naturschutz stehende Stranddistel.OR Aufnahme - A. Leube im Juli 2005

Abb. 4. Prora. Blick aus dem „Vorfeld“ der „Blöcke“ auf die Ostsee und nach Binz im Süden.
Aufnahme: A. Leube. 2010, Juni.

Auch die anderen vier der fünf Blöcke wurden vom Staat an private Investoren verkauft. Der Denkmalpfleger Dr. Markus Sommer-Scheffler bedauert, dass „sich bisher zu einseitig die wirtschaftlichen Interessen der Investoren durchgesetzt haben“. Denkmalschutz ist nur „im Rahmen des Zumutbaren“ zu befolgen – eben mit Balkons zur See. So gehört nur noch Block V dem Land Mecklenburg-Vorpommern und Kreis Vorpommern-Rügen.

Abb. 5. Prora. Blick in eine Wohnung vom Typ Maisonette.

Abb. 5. Prora. 2015. Ferienwohnung vom Typ Maisonette (https://www.travelbook.de/uebernachten/deutschlands-
bizarrste-ferien-baustelle-nazi-ruine-wird-luxus-resort
).

Abb 6 Prora. Unter Naturschutz stehende Stranddistel.OR Aufnahme - A. Leube im Juli 2005

Abb. 6. Prora. Unter strengem Naturschutz stehende Stranddistel
(Eryngium maritinum) am Strand von Prora im Juli 2005. Aufnahme – A. Leube.

Das Jahr 1991 und die folgenden Jahre – aus der Sicht der „Ostsee-Zeitung“

Die Redaktion der „Rügen-Seite“ der „Ostsee-Zeitung“ wurde im Jahre 1991 von Marlies Nickel geleitet, der mit Werner Häcker, Chris-Marco Herold, Thomas Luczak, Jens Petzold, Jens–Peter Woldt und der Volontärin Corinna Hämmerling sechs Journalisten zur Seite standen. Sie alle leisteten m. W. eine hervorragende Arbeit.

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Abb. 1. Bergen. Goldener Brinken. Langjähriges Redaktionsgebäude der „Ostsee-Zeitung“ (weißes Haus rechts). Aufnahme: A. Leube.

Am 27. 1. 1996 gab die Redaktion einen Rückblick auf „Rügen vor 5 Jahren – wie war es damals?“ (OZ v. 27. 1. 1996, 13).

Dabei trat „Interessantes, Amüsantes, Bedenkliches und Erstaunliches zutage“. So musste die Apotheke in Samtens geschlossen werden. In Mukran herrschte Hochbetrieb und 1990 wurden auf Rügen noch 992 Kinder geboren – 1995 nur noch 356.

Die Bergener Baugesellschaft gründete sich 1991 mit 16 Arbeitsplätzen unter Hans-Joachim Albrecht. Sie hatte 1995 über 100 Beschäftigte.

„Bald wieder Kreidebäder im Krankenhaus Saßnitz“, hieß es am 5. 1. 1991. Daraus wurde dann nichts.

Am 8. 1. 1991 geschah der bewaffnete Überfall auf einen Taxifahrer.

Die Treuhand erteilte 52 Bewerbern 1991 die Zuschläge für ehemalige HO- und  Konsumverkaufsstellen. Für 11 ausgeschriebene Objekte – u. a. in Thiessow – fehlten Interessenten.

Am 19. 1. 1991 kündigte die Molkereigenossenschaft Bergen an, dass sie die Produktion von Flaschenmilch einstellt. Man kaufte zunehmend abgepackte ultrahocherhitzte Milch.

Abb. 2. Ulrich 1960, Abb. 30 Großmolkerei

Abb. 2. Bergen. Großmolkerei im Jahre 1960 (aus einer Publikation von 1960 entnommen).

Am 22. 1. 1991 hieß es: „Spritze für die Kreisstadt“, denn Bergen erhielt 14,8 Mio Mark für das Gewerbegebiet in Tilzow. 1995 vermerkte man dazu: „auf dem Gewerbegebiet tut sich fast nichts“.

Abb. 3.  Bergen. Molkerei. Aufnahme A. Leube, 1992

 Abb. 3. Bergen. Molkereigebäude. Aufnahme: A. Leube, 1992.

 Am 23. 1. 1991 dann – die ehemaligen FDGB-Hotels mit etwa 4000 Betten werden geschlossen. Die Treuhand entzog der „Fedi GmbH“ das Bewirtschaftungsrecht.

Am 29. 1. 1991 wurde Ernst-Günter Krause aus Udars vorgestellt. Er war einer der 26 Bauern auf Rügen, die den Schritt in die Selbständigkeit wagten.

Ende Januar 1991 war die Saßnitzer Rügenfisch GmbH zum ersten Mal auf der Grünen Woche in Berlin.

Abb. 4. Sassnitz. Hafengelände im Winter 2010. Aufnahme  A. Leube.

Abb. 4. Sassnitz. Hafengelände im Winter 2010. Aufnahme: A. Leube

 Die Ostsee-Zeitung berichtete im Dezember 1995, dass die Regierung Dr. Kohl die Bezüge der Arbeitslosen kürzen will (von 32 Monaten auf noch zwei Jahre), wie auch die Diäten im Bundestag um 25% erhöht werden sollen (OZ Nr. 281 v. 2. 12. 1995). Außerdem wurden 50 Soldaten aus M-V nach Bosnien geschickt wurden. Es gingen zwar Berufs- und Zeitsoldaten dorthin, es meldeten sich aber auch „eine Reihe junger Wehrpflichtiger“.

1995 starben 12 000 Menschen an Aids.

1995 wurde entschieden, dass die Schulzeit weiterhin 12 Jahre betragen soll.

Abb. 5. Rückblicke (Ostsee-Zeitung v. 27. 1. 1996, S. 13)

Abb. 5. Rückblick auf die Jahre 1991 bis 1995 (nach Ostsee-Zeitung v. 27. 1. 1996).

 In diesem Jahr lief „das Tourismus-Geschäft wie nie zuvor“ (OZ Nr. 281 v. 2. 12. 1995 5). 80 Prozent der Hotels an der Küste waren zufrieden. Man hatte allein im Juli 1995 mit 1,8 Mio Übernachtungen etwa 300 000 mehr als im Vorjahresmonat.

Ende November 1995 reiste der CDU-Fraktionsvorsitzende Eckardt Rehberg nach Rügen, „um sich über die aktuellen Probleme auf der Insel zu informieren“ (u. a. OZ v. 29. 11. 1995, 13).[1] Rehberg war im Biosphärenreservat Südost, im Fährhafen Mukran und im Selliner Cliff-Hotel zu einer Diskussion mit der „Wirtschaft“. Es ging um „effektiven Naturschutz“ auf Rügen und um die von der CDU unterstützte Ablehnung einer geplanten Landschaftsschutzverordnung. Diese wurde vom „Bündnis für Rügen“ unter Albrecht Kind propagiert. Das „Bündnis“ wurde zum Gespräch im Cliff-Hotel nicht eingeladen.

Anfang Dezember 1995 sprach sich das Stadtparlament von Sassnitz gegen ein neues Landschaftsschutzgesetz aus (OZ v. 9. 12. 1995, 15). Das schloss die PDS (mit Bürgermeister Dieter Holtz), die CDU und auch die dortige „Freie Wählergemeinschaft“ ein. Man war mit dem gegenwärtigen Stand an Parks und Schutzzonen zufrieden: „Es geht jetzt zuerst um eine Korrektur der fatalen Wirtschaftspolitik im Kreis“, so ein Norbert Schier (PDS). Lediglich der PDS-Fraktionschef Arno Tetzlaff vertrat die Ansicht, „daß der Landschaftsschutz kein Hindernis für die wirtschaftlichen Vorgaben stelle“.

Die Wirtschaft boomt

1995 übergab die Volkswerft Stralsund ihr bislang größtes Schiff (OZ Nr. 281 v. 2. 12. 1995 5). Es war ein Containerschiff von 157 m Länge und 23,5 m Breite, gebaut als „Weser Trader“ für eine Werft in Leer.

Abb. 6. Volkswerft, Schiffshalle in Stralsund

Abb. 6. Stralsund. Volkswerft mit Schiffshalle im Jahre 2007
(https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Volkswerft-Schiffshalle_in_Stralsund_mit_Logo_dh_(207-10-21).JPG).

 Im Rügenschen Kreistag protestierte man gegen die beachtlichen Kürzungen im Haushalt 1996 (OZ v. 8. 12. 1995, 13). Die Landrätin Dr. Karin Timmel verfügte über nicht ausreichende 113 Mio Mark im Verwaltungshaushalt und 20 Mio Mark im Vermögenshaushalt. Die Kürzung ergab sich daher, dass Rügen pro Einwohner nur 423 Mark bekommt, die eigentlichen Landkreise in Mecklenburg-Vorpommern im Durchschnitt 460 Mark. Diese „Ungerechtigkeit“ ergab sich aus dem Berechnungsfaktor von Einwohner und Fläche.

Und wie es dann auch in der DDR-Zeit war – man überlegte, Kürzungen in der Kultur vorzunehmen. Vizelandrat Dr. Knapp dachte über die Schließung des Theaters in Prora nach und ein gewisser Herr Gurk,  Neu-Funktionär: „Das Theater brauch‘ ich nicht unbedingt“ (OZ v. 8. 12. 1995, 13). Gemeint war offenbar jenes in Putbus, da anschließend von 37 500 Besuchern gesprochen wurde.

Der CDU-Spitzenfunktionär Udo Timm empfahl weitere Privatisierungen: „Sind alle Möglichkeiten zur Privatisierung ausgeschöpft oder hängen diese (kreisgeleiteten) Betriebe am Tropf?“ Man plante für Januar 1996 eine weitere Diskussionsrunde.

Dennoch verwies die „Erzeugerorganisation Sassnitzer Seefischer e. G.“ auf „fünf erfolgreiche Jahre“ unter ihrem Geschäftsführer Wolfgang Henckel (OZ v. 9. 12. 1995, 15).

Die Seebäder

 1995  hatte die Gemeinde Sellin finanzielle Schwierigkeiten, da die Steuereinnahmen um  mehr als 100 000 Mark gesunken waren (OZ Nr. 280 v. 1. 12. 1995 17). So konnte der Haushalt prima vista nicht bewilligt werden. Immerhin kaufte man die „Rationell-Kaufhalle“ zum Abriss und wollte hier ein Parkhaus errichten. Am 1. 12. 1995 verkaufte die Gemeinde Sellin mit ihrer Kurdirektorin Fatma de Silva und Bürgermeister Liedtke Maschinen, Geräte, Kleinteile und „Diverses“  ihres technischen Bestandes, um die Not zu lindern (OZ v. 29, 11. 1995, 17). Man bot auch einen Multicar und einen LKW Typ W 50 an: „Manches wird für eine Mark weggehen, anderes für etwas mehr Geld“ (OZ v. 29, 11. 1995, 17). Nun wurden „Fremdfirmen“ eingesetzt, die die Schnee-Beräumung und Strandreinigung übernehmen sollten.

Abb. 7. Sellin. Haus Waldeslust um 1957. Aufnahme Kurt Leube, Bergen

Abb. 7. Sellin. Haus Waldeslust um 1957. Aufnahme: Kurt Leube, Bergen.

 Auch die Gemeinde Baabe entsorgte 360 cbm Schrott in 18 Containern und war glücklich, da nun der „gesammelte Schrott nicht illegal im Wald entsorgt“ wurde (OZ v. 29, 11. 1995, 17).

Vor anderen Problemen stand Göhren. Dieser Badeort wollte unter Bürgermeisterin Carola Koos „Seeheilbad“ werden (OZ v. 29, 11. 1995, 17). Dafür war der Bau eines „Kurmittelhauses“ am Nordhang erforderlich. Dazu holte man die westfälische „Wohnland GmbH aus Hagen“ als Investor.[2] Man plante einen zweigeschossigen Komplex mit einer beachtlichen Tiefgarage, 24 Ferienwohnungen und einigen Geschäften.

Dazu gab es aber ein zweites Projekt, das die „Rugenia Beteilungsgesellschaft“ m. b. H. Berlin-Lichtenberg unter Werner Hannemann an der Strandstraße bereits baute – allerdings lag noch kein Investor vor.

Mal wieder Prora

Noch Ende 1995 stellte sich mit Klaus R. G. Hoffmann die Firma „Ulfin Investment Deutschland“[3] und deren Direktor vor (OZ v. 8. 12. 1995, 13). Ihr Projekt „Traumziel Prora GmbH“ schloss einen Kaufpreis von 36 Mio Mark, bei einer Investition von 1 Mrd. Mark, ein. Diese Firma wollte das ganze Prora kaufen und 3 000 Arbeitsplätze und 7 000 touristische Betten schaffen. Als Energiequelle wollte man 20 Windkraftanlagen in der Binzer Bucht entstehen lassen – an einem 800 m langen Marina-Steg (OZ v. 8. 12. 1995, 13).

Ein besonderes Phänomen stellte die Verkehrsanbindung dar – man wollte die 7 000 Urlauber nicht mit Auto, Bahn oder Schiff zur Insel bringen, sondern mit … Das wurde aber nicht verraten, sondern erst wenn die Liegenschaft gekauft ist. Die OZ-Redaktion vermerkte dazu: „Seitdem rätseln die Binzer: U-Bahn oder Raumschiff?“ Auf die Idee, dass diese Firma Flugzeuge einsetzen wollte, kam man allerdings nicht.

Die Binzer Gemeinde unter Bürgermeister Prof. Reinhardt lehnte ab, da man nur 2 000 Betten genehmigen wollte.

Die Landwirtschaft und ihre Entwicklung

Auch die ostdeutschen Getreidebauern waren zufrieden. Sie hatten 1995 fast westdeutsches Niveau erreicht. Der Schweinebestand ging noch einmal um 10% zurück und erreichte nun 25% des Niveaus von 1990. Die Erzeugerpreise der Milchbauern lagen im Durchschnitt bei 53,3 Pfennig pro Liter Milch.

Die aufblühende Stadt Sassnitz

Unter dem Motto „news aus der Geschäftswelt“ informierte der Sassnitzer Bürgermeister Holtz, dass im Januar 1996 der dortige Krankenhausumbau für 120 Betten und mit 50 Mio Mark durch die Firma medigreif begänne (OZ v. 29. 11. 1995, 15). Wie wir heute wissen, wurde das Krankenhaus 1996 abgerissen. Bereits am 9. 12. 1995 informierte die „Ostsee-Zeitung“, dass es seit dem 15. 12. 1995 keinen Bereitschaftsdienst im Krankenhaus mehr gäbe, denn es stünde mit der Schließung des Sassnitzer Krankenhauses in Verbindung (OZ v. 9. 12. 1995, 15).

Noch gewaltiger  war der neue Wohnpark in Sassnitz auf einer Fläche von 2 ha vorgesehen: 11 Wohnblöcke, 292 Wohnungseinheiten und 19 Reihenhäuser mit „Einliegerwohnungen“. Es waren 90 Mio Mark an Investitionen vorgesehen.

1995 wurde der „Saßnitzer Hof“ an die „Fire-tech-Bau GmbH“ verkauft. Der (West)Berliner Rolf Braje plante den Baubeginn für Herbst 1996 und wollte 5 Mio Mark investieren.[4] Hier sollten ein Hotel und Wohnungen entstehen. Parallel dazu plante die Stadt die Altstadtsanierung für die kommenden 20 Jahre. Dafür waren Fördermittel in Höhe von 43,3 Mio Mark vorgesehen.

Mit Sassnitz verbunden ist die sog. Königsstuhlbrücke. Sie wurde am 14. 12. 1993 montiert und bereits am 30. März 1994 nach heftigen Protesten wieder abgebaut. Am 25. 8. 1994 hatte das Schweriner Wirtschaftsministerium 315 000 Mark Fördermittel zurückgefordert. Dazu kamen noch die 145 000 Mark Eigenmittel und die 125 000 Mark für den Abbau – also 585 000 Mark insgesamt. Noch Ende 1995 lag sie, die Königsstuhlbrücke, in Dwasieden und wartete auf ihre neue Bestimmung (OZ v. 9. 12. 1995, 13).

Geselligkeiten und Kleinigkeiten

Auf Rügen klang das Jahr 1995 mit einer Jagdausstellung auf Ummanz und der „Kreisgeflügel- und Kaninchenschau“ in Poseritz aus (OZ Nr. v. 4. 12. 1995, 15). Außerdem lud der TSC „Am Rugard“ zur 2. Tanzgala ein (OZ Nr. v. 4. 12. 1995, 13).

Im Bergener Treff-Hotel gab es eine Ausstellung des Künstlers Jürgen Nehmann, der 1943 nach Rügen gekommen war (OZ Nr. v. 4. 12. 1995, 13).

Die Kreisstadt Bergen

 1990 entstand die „Ländliche Dienstleistungs-, Transport- u. Handelsgesellschaft mbH“ in  Bergen (Firmen-Nr. 147) in der Industriestraße 12. Die Firma hatte 2014 31 Mitarbeiter und der Umsatz belief sich 2014 auf 14 Mio Euro (http://www.ldth-bergen.de/about.php). Bis 1995 waren Rudi Hagemann, Peter Bohazek und Reinhold Tausendfreund die Geschäftsführer, danach Dipl.-Agraring. Deltlef Feldt (OZ v. 7. 12. 1995, 20). Gegenwärtig ist auch ein Herr Eckhardt Cornelius Geschäftsführer. Schwerpunkte sind der Mineral- und Kohlegroßhandel.

Zu den negativen Erfahrungen des Jahres 1995 gehörte die Schließung der Kindertagesstätte „Maxim Gorki“ in Bergen durch den Kreisverband der Volkssolidarität aus Kostengründen (OZ v. 1. 12. 1995, 13). 

Abb. 8. Bergen. Rekonstruktion verfallener Gebäude im Jahre 1990. Aufnahme - A. Leube

Abb. 8. Bergen. Rekonstruktion verfallener Gebäude im Jahre 1990. Aufnahme – A. Leube

Immerhin wurde noch Ende 1995 erneut das „DRK-Mehrzweckgebäude: Juri Gagarin“ im Bergener Kosmonautenweg 4 eröffnet (OZ v. 1. 12. 1995, 13). Diese Einrichtung wurde bereits 1965 gegründet und nun neu gestaltet. Von 1975 bis 1995 leitete Ursula Niejahr  (geb. 1935) diese Einrichtung. Neue Leiterin war nun Elvira Weinerowski.

Im Stadtteil Bergen-Rotensee öffnete Ende 1995 „ein Laden nach dem anderen“ (OZ v. 29. 11. 1995, 14). Gemeint war das Geschäftshaus „TIP“, u. a. Jan Zscharschuch (geb. 1966) mit Bastler- und Künstlerbedarf auf 70 qm Verkaufsfläche. Zu gleicher Zeit öffneten der „TIP-Markt“ und „Stines Boutique“ unter Geschäftsführer Karl-Heinz Göde.

Dagegen arbeitete am Bergener Markt die Abrissbirne. So wurde das Nachbargebäude des Benedixschen Hauses Ende November und Anfang Dezember 1995 abgerissen: „Wird das Fachwerkhaus den nahen Abriß überleben?“ (OZ v. 8. 12. 1995, 13).

Anfang Dezember 1995 wurde auch in Bergen eine neue Müllentsorgung eingeführt (OZ v. 9. 12. 1995, 16). Diese Entsorgung wurde teurer, da nun der Müll per Schiene auf das Festland transportiert wurde.

Aus der „Original Rügener Wurstwaren GmbH“ (HRB 201) wurde seit dem 27. Januar 1995 die „Abwicklungsgesellschaft Wurstwarenfabrik Bergen mbH“ (OZ v. 7. 12. 1995, 20).

1995 gab es auch einen Weihnachtsmarkt, zu dem eine Riesenfichte aus dem Tilzower Moor geschlagen wurde (OZ v. 7. 12. 1995, 13). Es gab eine Kindereisenbahn und den Schaustellerbetrieb Rusch aus Leipzig.

Das vergessene Garz

Über die älteste und damit erste Stadt Rügens – Garz – wird wenig berichtet. Bereits 1319 erhielt der Ort das Stadtrecht. Es gibt dort einen „Heimatverband Garz e. V.“ unter Werner Beug. 1995 entdeckte man die alte baufällige Küche der Grundschule, erwarb sie und baute daraus ein Vereinsgebäude (OZ v. 9. 12. 1995, 14).
Siehe aber auch den Beitrag: “Garz auf Rügen – die älteste Stadt Rügens”

Natürlich – Kultur muss sein!

Und nun zur Kultur. Ende 1995 hatte Rügen nur noch zwei Kinos in Binz und Göhren, wohl aber acht Museen, zwei Ausstellungen, fünf Bibliotheken und einige Vereine (OZ v. 1. 12. 1995, 16). In der Sassnitzer Seestraße 3 traf sich der „Arbeitskreis Heimatgeschichte Sassnitz“. Ende 1995 gaben Klaus und Renate Gampe sowie Uwe Weidemann den Kalender „100 Gedenktage und Daten zur rügenschen, pommerschen und deutschen Geschichte“ heraus (OZ v. 6. 12. 1995, 14). Einen weiteren Kalender „Leben an der Ostseeküste“ hielt der Wartberg-Verlag aus Gudensberg[5] bereit (OZ v. 6. 12. 1995, 14). In ihm wurden 88 Bilder – fast alle stammen von Rügen der Jahre 1900 bis 1950 – abgedruckt. Schließlich erschien der Erinnerungsband des Klaus Montanus „Die Putbusser – Kadetten unter dem Hakenkreuz“ mit 416 Seiten (OZ v. 6. 12. 1995, 14). Darin ging es um die Elite-Anstalt „Nationalpolitische Erziehungsanstalt“ in Putbus.

Am 10. 12. 1995 wurde der Museumsleiter und Heimatforscher Karl Ebbinghaus in Kloster/Hiddensee 80 Jahre alt (OZ v. 9. 12. 1995, 13).

Walter R. Goes versteigerte vor Weihnachten auf dem „Kulturgut Liddow“ 80 Kuriositäten (OZ v. 9. 12. 1995, 13). Von lokalgeschichtlicher Bedeutung war das „Handbuch für Neu-Vorpommern und das Fürstentum Rügen“ aus dem Jahre 1907. Ausruf 90 Mark! Dazu kam eine gut erhaltene Aktie der „Marzillger Fischindustrie-Aktien-Gesellschaft“ in Lauterbach im April 1922. Ausruf: 140 Mark.[6] Den Höhepunkt erreichten zwei Lubinsche Karten der Jahre 1640 und 1652 mit je 1000 Mark Ausruf. Leider wissen wir nicht, in welcher Höhe diese Preziösen versteigert wurden.

Umweltgestaltungen in und um Wittow

Nach einigen Abholzungen wurden an einer neuen Allee zwischen Nipmerow und Lohme 198 Winterlinden gesetzt (OZ v. 1. 12. 1995, 15). Diese waren acht Jahre alt, recht teuer und stammten vom Forst- und Baumdienst Martens aus Barth. Sie wurden übrigens von einem Nicht-Rüganer gesponsert. Zur Anpflanzung und zu dem ersten Spatenstich waren extra Frau Landrätin Dr. Karin Timmel und Bürgermeister Jörg Burwitz angereist.

Im Müll-Bereich traten Änderungen ein. Die 1977 in Lanckensburg/Wittow eingerichtete Deponie wurde im März 1994 geschlossen (OZ v. 6. 12. 1995, 13). Anfang Dezember 1995 (geplant bis April 1996) begann man den Abtransport der 66 000 cbm Müll nach Sabitz. Das wurde auf etwa 700 000 Mark geschätzt.

Gebaut werden sollte ein  „Paradies für Wassersportler“ (OZ v. 6. 12. 1995, 14), wodurch sich die Gemeinde Dranske Steuereinnahmen erhoffte.  Ein nicht genannter „Investor aus Frankfurt am Main“ wollte die ehemalige Forellenmastanlage am Ortseingang in ein Urlauberzentrum mit etwa 300 Betten für Segler, Surfer und andere Sportler verwandeln. Außerdem entwarf „wochenlang“ der Braunschweiger Architekt Dirk Hakala-Meyer verschiedene Pläne für ein zukünftiges Touristikcenter (OZ v. 6. 12. 1995, 14)

 Kriminalität, Polizei und dergleichen

 „Neue Zeiten bringen neue Bezeichnungen hervor. Nicht anders ist es bei der Polizei. Früher gab es den Abschnittsbevollmächtigten (ABV), und heute gibt es den Kontaktbereichsbeamten (KOB)“ – so die OZ v. 9. 12. 1995, 17. Ende 1995 gab es bereits fünf KOBs auf Rügen: drei in Bergen und je einer in Sassnitz und in Binz. In Binz agierte Polizeihauptwachmeister Jörg Kröplin (geb. 1951). Dieser vollbärtige Wachtmeister war bereits seit 1974 bei der Polizei, u. a. ein „ABV“ in Göhren.

Klimatische Dinge

Das Jahr 1995 endete winterlich. Der November hatte schon 11 Frosttage und einem Eistag (OZ v. 5. 12. 1995, 13). Am 3. November fegte ein Orkan über die Insel: „Das war auch der Tag, als die Sturmflut kam und Rügens Küsten heimsuchte“. Auf Wittow wurde am 18. November eine Schneehöhe von 3 cm registriert.

M. Lutter aus Sassnitz dichtete ein plattdeutsches Weihnachtsgedicht (Oz v. 29. 11. 1995, 15). :

 „Bald is dat nu all wedder so wiet,
denn kümmt de stille Wiehnachtstied.
Doch väl Arbeit giv’t dorför noch to verrichten,
nicht to vergäten, de sülbst geklauten Fichten“ (usw. usw.)

                                              Gastronomie und die Esskultur

 Damit verbunden waren auch die gastronomischen Weihnachtsfeiern. In der „Villa Aegir“ siegte z. B. Traute Brüßing mit dem  „besten Fischrezept“ für ihre „Pfefferheringe“ (OZ v. 29. 11. 1995, 15).

Am 11. 12. 1995 um 10.00 eröffnete die „Inselfleisch GmbH“ in Gademow ihr Angebot (OZ v. 9. 12. 1995, 15). Sie ist die Fortsetzung des in Bergen in Konkurs gegangenen VEB Fleischkombinat.

Die Infrastruktur – der Verkehr

Mit dem frühen Winterbeginn mit Eis und Schnee setzten zahlreiche Verkehrsunfälle ein (OZ v. 5. 12. 1995, 13). Allein in der Nacht vom 17. zum 18. November rutschten 12 Autos in ihr Unglück. Am folgenden Wochenende waren es 31 Unfälle mit 14 Verletzten und einem Toten.

1995 wurden durch die „Deutsche Automobilgesellschaft (DAUG)“ Braunschweig 58 E-Mobile in Zirkow getestet (OZ v. 6. 12. 1995, 13). Dazu kam der USA-Botschafter Charles E. Redman dorthin, denn es handelte sich um einen Großversuch des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft, Forschung und Technologie und des Landes Mecklenburg-Vorpommern, in dieser Art „weltweit einzig“. Analog gab es ein Verfahren in Kalifornien, wo die Mitarbeiter des Umweltamtes, der Post, die Ärzte, die Rettungsschwimmer usw. derartige E-Mobile fuhren.

Eine weitere aus der alten Bundesrepublik, aus der Universität Dortmund/Fakultät Raumplanung,  stammende Einrichtung wollte den Verkehr auf Rügen verbessern (OZ v. 7. 12. 1995, 14). Ihr Motto mit Jens Friedemann lautete: „Ansätze zur Lösung der Mobilitätsproblematik auf Rügen“. Sie hatten mehr als 30 Gesprächstermine – nur die CDU Rügen „wollte nicht mit uns sprechen“, so Jens Friedemann von der Projektgruppe.

Mit „Modernsten Schrankenanlagen für die Kleinbahn“ wurde nach Ende 1995 die Kleinbahnstrecke zwischen Putbus und Göhren ausgestattet (OZ v. 6. 12. 1995, 17). Es handelte sich um elektronisch gesteuerte Halbschranken-Anlagen. Zu dieser Zeit war Jochen Warsow[7] Vorsitzender des Fördervereins der Rügenschen Kleinbahn. Bisher passierte die Bahn mit einer Geschwindigkeit von 10 km pro Stunde diese Übergänge und der Lokführer warnte die Kraftfahrer mit einem zweimaligen Pfeifsignal.

Sport auf Rügen

Im Fußball erreichte der nun „VfL“ genannte Bergener Klub eine Mitgliedschaft in der „Fußballverbandsliga“, allerdings an hinterster Stelle (z. B. OZ v. 8. 12. 1995, 14). Die Mannschaft hatte keinen Trainer sondern einen Übungsleiter und der hieß Bodo Satzel. Damals spielten u. a. Andreas Heyden (Mittelfeld), Guido Witt (Verteidiger) und Rayko Heuker (im Sturm).

Nahezu alle Mannschaften hatten sich inzwischen umbenannt, wie Tollensewerke Neubrandenburg, Rot-Weiß Trinwillershagen oder FC Pommern Stralsund und nun eben VfL Bergen.

Als nächstes folgte die Fußball-Bezirksliga, in der SV Rambin und Empor Sassnitz u. a. gegen die „Steilküste Rerik“ oder „Post Rostock“ spielten (OZ v. 8. 12. 1995, 14). Immerhin hatte sich mit Traktor Divitz sogar ein alter Fußball-Vereinsname erhalten.

Eine Fülle von Mannschaften, wie SV Gingst, BW (Blauweiß!) Baabe, TSV Binz oder TSV Sagard,  spielten 1995 noch in der Fußball-Bezirksklasse.

Solidarität und Hilfe

Mitunter wird dem Osten Deutschlands kaum Solidarität unterstellt, da man den Flüchtlingen abweisend gegenübersteht. Immerhin gab es 1995 eine Sammelaktion für die schwerstgeschädigten Kinder im DRK-Sonderheim Sassnitz (OZ v. 8. 12. 1995, 13). Das Bergener Ehepaar Wasow gab 50 DM, die Firma Tietböhl GmbH 1000 Mark, Frau Grüßner in Bergen 20 Mark. Außerdem sammelte man für Bürger der litauischen Partnerstadt Klaipeda, wobei drei LKW des Technischen Hilfswerkes (THW) am 7. 12. 1995 dorthin abreisten (OZ v. 8. 12. 1995, 13).

Die Firma Hebel aus Wittenborn/Schleswig-Holstein überreichte für behinderte Kinder in Putbus eine Spende von 10 000 Mark, wie sie auch der Christian-Müther-Stiftung  5 000 Mark überreichte  (OZ v. 7. 12. 1995, 13)

Die Eigentumsverhältnisse

.Im Jahre 1995 waren die Eigentumsverhältnisse hinsichtlich Grund und Boden geklärt. Man konnte nun verkaufen und kaufen. So bot die BHW Immobilien GmbH in Stralsund, Wasserstraße 18, in Sellin „luxuriöse Eigentumswohnungen in einer traumhaften Wohnanlage mit Fahrstuhl in Bäderarchitektur mit sehr großzügigen Einbauküchen auf gepflegt angelegtem Grundstück“ an (OZ v. 9. 12. 1995, 16). Man offerierte „Steuervorteile gemäß Fördergebietsgesetz“. Das hieß: „2 Zimmer, 43,94 qm Wohnfläche plus Kfz-Stellplatz 239 000,00 DM. Zu jeder Wohnung gehört ein Kellerraum von ca. 5 qm“.

In Rambin entstanden durch die Dr. Angermann & Partner Projektentwicklung GmbH aus Böhlitz-Ehrenberg[8] „Einzel-, Doppelhäuser und Wohnungen“ unter einem Motto „Wohnen am Kubitzer Bodden“ (OZ v. 9. 12. 1995, 16). Bei ihnen kostete ein Einfamilienhaus in massiver Bauweise mit 103 qm Wohnfläche und einem 504 qm großen Grundstück schlüsselfertig eigentlich „nur“ 325 860 Mark. Dagegen musste man für eine Wohnung von 65 qm Wohnfläche, Balkon und Stellplatz 219 700 Mark aufbringen (OZ v. 9. 12. 1995, 16).

Abb. 9. Hausverkäufe und Hauskäufe (nach Ostsee-Zeitung v. 9. 12. 1995, 16)

Abb. 9. Grundstücke und Wohnungen bzw. Häuser zum Verkauf (OZ v. 9. 12. 1995, 16).

[1] Rehberg wurde 1954 in Ribnitz geboren. Er war von 1990 bis 2005 Vorsitzender der CDU-Landtagsfraktion, von 2001 bis 2005 Landesvorsitzender der CDU und danach bis heute Mitglied des Bundestages. 1984 trat er in die CDU (https://de.wikipedia.org/wiki/Eckhardt_Rehberg).

[2] Diese Firma trägt die Nr. HRB 1381 und wird von den Familien Olbrich und Roos geführt (https://www.moneyhouse.de/Wohnland-GmbH-Immobilien-Hagen).  Sie kauft Immobilien an zum Zwecke der Weiterveräußerung.

[3] 2016 – 20 Jahre später – ist weder diese Frankfurter Firma (Hausbank in der Schweiz) noch der Name Hoffmann im Internet eruierbar. Es gibt die Ulfin International Inc.  in Genf – allerdings: Panama Papers!

[4] Erst im August 1993 beschloss die Vertreterversammlung die Fortsetzung der Gesellschaft, d. h. es bestand bereits eine wirtschaftliche Krise. Rolf Braje war der bisherige Liquidator und wurde nun alleiniger Geschäftsführer (https://www.moneyhouse.de/Rolf-Georg-Braje). Ende 1999 wurde die Gesellschaft „mangels Masse“ aufgelöst.

[5] Der Ort liegt in Nordhessen. Die Wartberg-Verlag GmbH wurde 1984 durch Peter Wieden gegründet und spezialisiert sich auf die Wiedergabe von historischen Orts- und Regionalaufnahmen.  Gegenwärtig sind bereits mehr als 100 Bände produziert (https://de.wikipedia.org/wiki/Wartberg_Verlag).

[6] Eine derartige Aktie des Jahres 1925 wurde 2016 mit 250 Euro ausgerufen. – Die Fischkonservenfabrik GmbH des Th. C. Marzillger wurde 1922 in Bergen gegründet, dann nach Lauterbach verlegt und ging im Oktober 1931 in Liquidation( http://www.historische-wertpapiere.de/de/HSK-Auktion-XXXIII/?AID=101620&AKTIE=MARZILLGER+Fischindustrie-AG).

[7] Warsow erhielt 2015 den Schinkel-Preis der Insel Rügen.

[8] Böhlitz ist ein Ortsteil von Leipzig.- Diese Gesellschaft wurde 2002 durch Gesellschafterbeschluss aufgelöst. Die Brüder Jan und der Dipl.-Landwirt Dr. Hartwig Angermann waren in etwa seit 1992 bis Mai 2002 Geschäftsführer der Gesellschaft (https://www.moneyhouse.de/Hartwig-Angermann). Letzterer schied aber bereits 1996 aus und wurde Geschäftsführer einer Grundstücksnutzungsgesellschaft in Waren/Müritz.

Erinnerungen an Rügen vor 40 Jahren – das Jahr 1977

Das Jahr 1977 war auch auf Rügen bereits von den Vorbereitungen auf den  30. Jahrestag der DDR-Gründung des Jahres 1979 geprägt. Der damalige SED-Kreissekretär Edwin Kasper – und wohl nur er war berechtigt, das auszusprechen – verwies auf die generell zu hohen Produktionskosten,  die zu niedrige Produktionsmenge in der Kreideproduktion, im Fischfang, in der Landwirtschaft (z. B. zu geringe Milchproduktion) und im Bauwesen. Hohe Produktionskosten ergaben sich aus viel zu niedrigen Abgabepreisen. Grundnahrungsmittel wurden enorm gestützt. Die niedrigen Mieten konnten die Kosten für die Werterhaltung nicht decken. Genaue Zahlenangaben hat die Kreisparteileitung der SED in all ihren Jahren nie gegeben. Man beschränkte sich auf undefinierbare Prozentzahlen. Wenn dennoch Ende 1977, vermutlich zu Recht, zahlreiche Betriebe mit Wanderfahnen, Urkunden und einem Porzellanteller ausgezeichnet wurden, so lag ihnen eine Fülle gering produzierter Betriebe gegenüber. Diese „Ehrentafeln“ sind ein „who is who“ der rügenschen Industrie. Nur wenige davon haben bis heute ihre Bedeutung und ihren Bestand.

Abb. 1. Auszeichnung rügenscher Betriebe (nach Ostsee-Zeitung vom 5. bis 6. November 1977).

Abb. 1. Ehrentafel der im November 1977 ausgezeichneten Betriebe. Unklar ist, ob sich die
Fahnen, Urkunden und das „Wettbewerbspräsent“ erhalten haben.

Ein besonderer Schwachpunkt Rügens war das Bauwesen, das umso mehr, als Häuser und Wohnungen bereits 1977 im Durchschnitt mehr als 60 Jahre alt waren. Erst die industrielle Bauweise, die nach 1961 einsetzte, führte zum Bau der „Plattenbauten“. „Beliebt“ war aber auch die Selbsthilfe im Rahmen des „Nationalen Aufbauwerkes“ und des „Mach-mit-Wettbewerbes“. Dazu gab es für junge Eheleute bescheidene Kredite, aber immerhin. Für ein Kind erhielt man etwa 1 000 Mark der DDR als Krediterlass und für drei Kinder sogar 5 000. Mark. Derartige Kredite und die Beibehaltung einer stabilen Preispolitik führten zu horrenden Subventionssummen, die in der DDR-Wirtschaft fehlten.

Öffentliche Ärgernisse waren die vielen Schließzeiten der Gaststätten und das gleichfalls niedrige „Versorgungsniveau“.  Dazu gab es viel zu wenige Gaststätten und „Verkaufsstellen“. Das Anstehen und „Sie werden platziert“ war in der Regel eine Zumutung für den Einzelnen. 1978 gab es auf Rügen bei den 48 HO-Gaststätten weniger als  1 000 Gaststättenplätze, davon mehr als 700 im „Außenbereich“.

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Abb. 2. Bergen. Gebäude der Kreisleitung der SED. Bahnhofstr. 33. Aufnahme: A. Leube 2005.
Auch heute sind hier Verwaltungen untergebracht.

Vor etwa 40 Jahren wurde Rügen innerhalb der Leichtathletik der beste Landkreis im Bezirk  Rostock und erkämpfte 25 Goldmedaillen. Es gab damals 46 Sportgemeinschaften mit 8 103 Mitgliedern. Geht man davon aus, dass die Ballspiele erst nach dem I. Weltkrieg auf Rügen eingeführt wurden, war das eine bravouröse Entwicklung. Dabei fehlte es an Turn- und Schwimmhallen. Zu den Bezirkssiegern der Jahre 1976 und 1977 gehörte von der SSG Poseritz der Hammerwerfer Matthias Wewetzer. In regelmäßigen Abständen fanden auf Rügen Kreis-Spartakiaden der Kinder und Jugend statt. Sieht man von den üblichen Reden der SED-Funktionäre ab, bemühte man sich dabei um eine feierliche Atmosphäre. 1976 erklang das alte Lied „Turner auf zum Streite“, wobei Hunderte Tauben in den Himmel aufstiegen.

Die Schwerpunkte sportlicher Ausbildung befanden sich in Dranske, in Sassnitz, Bergen und Göhren. Der Südwesten Rügens mit Gustow, Altefähr und Poseritz fiel deutlich ab. Immerhin gewann bei den 15jährigen Mädchen 1978 Elvira Guse von der „POS Poseritz“, also einer 10-Klassenschule, das Diskuswerfen mit 23,75 m und der 15jährige Winfried Wilken von der gleichen Schule das Diskuswerfen mit 33,34 m.   Nicht zu vergessen sei der damals 13jährige Hammerwerfer Frank Schumacher von der „SSG Gustow“. Er siegte in seiner Altersklasse mit 24,72 m.

Abb. 3. Das Jahr 1976  mit dem Bobfahrer Meinhard Nehmer

Abb. 3. Das Jahr 1976 mit dem Bobfahrer Meinhard Nehmer (links) aus Varnkevitz (nach
http://www.ndr.de/sport/legenden/Nehmer-Vom-Spaetstarter-zur-Bob-Legende,nehmer103.html).

Bekanntester Sportler wurde in diesen Jahren der Bobfahrer Meinhard Nehmer (geb. 1941) aus Varnkevitz auf Wittow. Er holte dreimal Olympia-Gold und vier Weltmeistertitel. Nehmer wurde nach der Wende Mannschaftstrainer der USA und Italiens.

Man hat den Eindruck, dass der Südwesten Rügens an der sportlichen Entwicklung Rügens nur geringen Anteil hatte. So nahm im Fußball die Gemeinde Gustow keine besondere Rolle ein. Die Mannschaft „Traktor Gustow“ spielte damals in der II. Kreisklasse und belegte meist hintere Plätze.

Daher konzentrierten sich im rügenschen Fußball die Hoffnungen vieler Enthusiasten auf die Mannschaft von „Lok Bergen“ unter dem Trainer Bodo Satzel. Bodo Satzel, Berthold Lepschies und Günter Nogga wuAbb. 4.  Fußball auf Rügen. Lok Bergen spielte in der Bezirksliga Ost - so die Ostsee-Zeitung v. 31. 10. 1977rden am 1. 5. 1976 als Stammspieler verabschiedet. Wer wird sich daran noch erinnern?

Lok Bergen spielte nun in der „Bezirksliga-Ost“ mit Lewandowski im Tor, mit den Brüdern H. und P. Marschmann, mit Rubin, Klawonn und W. Hermerschmidt im Sturm.

1977 besiegte Lok Bergen eine „TSV Fortuna Sachsenroß“ in Hannover und 1978 reiste diese Bergener Mannschaft sogar nach Kopenhagen. Dort ertrotzte man im Valby-Sportpark gegen „Syd-West Kobenhavn“ ein Unentschieden.

Abb. 4.   Fußball auf Rügen. Lok Bergen spielte in der Bezirksliga Ost – so die Ostsee-Zeitung vom 31. 10. 1977

Die Abkürzung „KKW“ (siehe Abb. 4) heißt „Kernkraftwerk Wusterhusen“ – diese Mannschaft verlor recht oft und so hieß es „Keiner Kann Was“ (auch KKW).

Abb. 5.  Die DDR-Volleyballmannschaft wurde 1983 Europameister Zeitreise_1983_05_Titel

Aus Rügen stammen viele der besten DDR-Volleyball-Spielerinnen, wie die in Bergen geborene Andrea Heim (geb. 1961), heute eine verheiratete Frau Markus. Sie wurde 1977 entdeckt und errang bereits 1980 die Silbermedaille auf der Olympiade in Moskau.

Abb. 5. 1983 wurde die DDR-Volleyballmannschaft Europasieger und Andrea Heim war dabei (http://volleyball.de/zeitreise/details/datum/2013/09/18/1983-em-titel-fuer-ddr-frauen).

Außerordentlich stark war die 1956 gegründete Akrobaten-Gruppe in Göhren. Sie blickte 1976 u. a. auf 33 DDR-Meistertitel zurück.

Abb. 6. Göhren. Akrobatik-Gruppe im Jahre 2011

Abb. 6. Göhren. Akrobaten auf der Göhrener Poststraße im Jahre 2011,
im Hintergrund das von Frau Ruth Bahls gegründete Heimatmuseum
(http://www.goehren-ruegen.de/?page=news&archive=082011).

1977 verkündete die Sassnitzer Lehrerin Heide Rütting, dass man bei allen Lehrern „die Überzeugung durchzusetzen (habe), daß jedes gesunde Kind in der Lage ist, das Ziel der 10. Klasse zu erreichen“. In diesen Jahren wurden 11 Polytechnische Oberschulen gebaut und damit der Übergang von der 8. Klasse zur 10. Klasse nahezu abgeschlossen.

Abb. 7. Gager. Blick auf die einstige Zentralmönchgut, die Verf. von 1946 bis 1950 mit Unterbrechungen besuchte.  Aufnahme im Mai 2016.

Abb. 7. Gager. Blick auf die einstige Zentralschule Mönchgut, die der Verf. von 1946 bis 1950 mit
Unterbrechungen besuchte. Aufnahme: A. Leube im Mai 2016.

Natürlich wurden nahezu alle Pläne erfüllt. Da aber nur Prozentzahlen, und dazu kommentarlos, angegeben wurden, ist die rügensche Entwicklung dem Außenseiter schwer zu vermitteln.

Abb. 8. Planerfüllungen. Oz v. 20. 5. 1977 Planerfüllung IIAbb. 8. Planerfüllung am 20. Mai 1977 (nach der Ostsee-Zeitung, die der SED-Kreisleitung unterstand).

Der Viehbestand im Vergleich der Jahre 1938 und 1977:

Viehbestand

1938 1977

Rinder

30 549

  45 571

Schweine

39 008

100 264

Schafe

25 018

    9 645

Legehennen 115  278

230 722 (1966!!)

Lediglich für die Viehbestände gab man 1977 – vielleicht leichtsinnigerweise – eine absolute Zahl, wie das Diagramm in Tab. 1 zeigt. Sie weist auf eine Stagnation hin im Rinderbestand, wie auch ein Rückgang bei den Schafen und Legehennen zu verzeichnen ist.

Tab1 Viehbestände1956bis1977

Tab. 1.  Entwicklung der Viehbestände auf Rügen zwischen 1956 und 1977.

So ist es auch kein Wunder, dass stets „Milchschulden“ auftraten, 1977 sogar noch in 14 landwirtschaftlichen Genossenschaften.
Nichts erfuhr man über das Handwerk, über die Forstwirtschaft und die übrige Industrie. Man verlagerte die Diskussion in Nebenplätze, z. B. in die Erfassung der „Sekundärrohstoffe“ – so wichtig diese auch war und auch heute noch ist .

 

Die schwedische Landvermessung und die Landwirtschaft des Jahres 1695

Eine recht genaue Beschreibung der Landwirtschaft auf Jasmund ist der schwedischen Land- und Steuervermessung durch den Vermesser Peter Wierling des Jahres 1695 zu verdanken. Rügen gehörte seit 1648 zum schwedischen Königreich,  und das schwedische Königreich wollte eine effektive Steuerpolitik nach den Grauen des 30jährigen Krieges (1618-1648) erreichen.

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Abb. 1. Blieschow bei Sagard. Alter Landweg nach Prora. Aufnahme: A. Leube, Mai 2006.

 Schwedische Landvermesser – wie Peter Wierling – reisten auf Rügen im Jahre 1695 mit zwei Gehilfen von Ort zu Ort. Neben den genauen Einmessungen erfragten sie die Eigentums- und Besitzverhältnisse, die Abgabe- und Dienstverhältnisse, die Aussaaten und Erträge der Äcker, Wiesen, Weiden und Holzungen. Sie erstellten daraus für jeden Ort eine eigene „Matrikel“ (lat. matricula – Liste, Verzeichnis).  Daher erfolgte die Bezeichnung „Matrikelvermessung“.

 Ackermaße, Betriebsgrößen und Eigentumsunterschied

Eine detaillierte Betrachtung der folgenden drei Jahrhunderte zwischen 1695 und heute würde zeigen, wie zunehmend die Waldungen (u. a. der Stubnitz) eingeengt und abgeholzt wurden und auch die zunächst nicht beackerten Kuppen und Niederungen erschlossen wurden. Am Beispiel des Ortes Rusewase konnte der Schwede Peter Wierling durch den hier lebenden Landsmann Oluff Bengtson auch die schlichten Lebensverhältnisse der in der Regel leibeigenen Kleinbauern, Pächter und Kossaten und den inhumanen Umgang des Gutsherrn von Dubnitz mit seinen Untergebenen darstellen.

Die Vermessung Wierlings diente also einer präzisen Steuererhebung. 1695 wurden z. B. in Promoisel auf einem (pommerschen) Morgen 2 Scheffel Roggen, 2½ Scheffel Gerste, 3½ oder vier Scheffel Hafer eingesät. Man düngte den Acker nur jedes viertes Jahr. Auch in Sehlitz wurden die gleichen Aussaatmengen gebraucht (Kalähne 1952, S. 58). Heute sät man etwa 150 kg Getreide pro Hektar, d. h. pro (Magdeburger) Morgen 37,5 kg. Da ein pommerscher Morgen aber 0,6550 qm Fläche besaß und der Scheffel etwa 25 kg entsprach, wurde damals wesentlich weniger ausgesät und auch weniger geerntet.

Abb. 2  Dubnitz. Eingangsporal eines ehemaligen Bauernhofes. Aufnahme Juni 2010

Abb. 2. Dubnitz. Eingangsportal eines ehemaligen Bauernhofes. Aufnahme: A. Leube Juni 2010.

Die Landbevölkerung war bereits 1695 deutlich sozial gegliedert. Nur wenige Landwirte besaßen 30 pommersche Morgen, die eine „Landhufe“ ausmachten und das Charakteristikum eines „Vollbauern“ bildeten. Daneben gab es die „Hakenhufe“ mit 15 Morgen Größe (Grümbke 1819 II, S. 97). Ein „Vollbauer“ besaß etwa 28 bis 32 Morgen, ein „Halbbauer“ bewirtschaftete kleinere Flächen. Der Kossat bearbeitete sogar nur wenige Morgen. Der Häusler hatte nur Gartenland. In den damaligen Dörfern gab es meist nur noch ein bis zwei Bauern.

Viele der einstigen Orte sind „wüst“ gegangen, so auch die Siedlung Dameritz bei Polkvitz, die erst kürzlich von Frau Heide Großnick, Glowe, wieder entdeckt wurde. Es war 1695 eine recht extensive Landwirtschaft, die noch an den Folgen des 30jährigen Krieges zu leiden hatte. Viele Hofstellen waren nicht wieder aufgebaut. Man konnte nur sparsam aussäen, düngte kaum, besaß größere Brachen zur Regenerierung des Ackerbodens und verfügte über zu wenige Grünflächen zur Heugewinnung. So nutzte man die Waldungen der Stubnitz im beachtlichen Maße zur Waldweide und Eichelmast. Der häufige Anbau von Erbsen und die Erwähnung von „Kohlgärten“ belegen eine einfache Ernährung. Das bestätigt auch den geringen Anbau von Weizen.

Offenbar hielt man nur wenig Kleinvieh, wie die Matrikel-Angaben aus Rusewase andeuten. Der regelmäßige Leinanbau, der 100 Jahre später bei Grümbke in seiner Beschreibung der Landwirtschaft fast fehlt, diente dem eigenen Bedarf, dem Verkauf und galt auch als Abgabe (z. B. an die Herrschaft Spieker). Der Anbau von Buchweizen wurde bei Peter Wierling nicht erwähnt, wie er auch auf die Aussaat von Klee, Wicken und weiteren Zwischenfrüchten nicht einging.

                               Anbau und Eigentumsverhältnisse im Jahre 1695 um Sagard

Hier seien einige Dörfer und Gutshöfe im Umfeld Sagards vorgestellt, die der Schwede Peter Wierling 1694 bis 1695 aufsuchte. Zu vielen Angaben war er auf die Auskünfte der nicht immer hilfsbereiten Jasmunder angewiesen. Die schwedischen Texte wurden 1952  durch die Historikerin Frau Dr. Kalähne ins Deutsche übertragen.

Abb. 3.  Getreidefeld mit Hocken bei Bergen. Aufnahme A. Leube 1960

              Abb. 3. Getreidefeld mit Hocken bei Bergen. Aufnahme: A. Leube Sommer 1960.

In den Dörfern Promoisel, Sehlitz, Drosevitz, Groß und Klein Volkssitz gab es noch selbständige Bauernwirtschaften – meist war es nur noch ein Bauernhof. Sie bauten relativ häufig Roggen, Gerste, Hafer und Erbsen an. Lediglich der Weizenanbau differierte. Vermutlich hatte der Bauer von Klein Volksitz sein Weizenmehl nach Sagard verkauft. Alle bauten gern und viel Erbsen an.

Die Erbsen waren ein pommersches Lieblingsgericht (Fritz Reuter, Läuschen un Riemels):

„De pommersch Bur, dei is tau kenn‘
wenn hei’t Gewehr fött bi dat Enn‘,
wenn hei den Kolben fluschen lett
un wenn hei dicke Arwten frett“

Stand

Weizen Roggen Gerste Hafer Erbsen Lein

Bauer/Promoisel

3 15 18 12 6

½

Bauer/Falkenberg

3 12 12 10 5 ½
Bauer/Poissow 3 30 30 20 12

1

Bauer/Gr. Volksitz

4 14 18 24 8 ½

Bauer/Pluckow

5 7 15 10 6 ½

Bauer/Kl. Volksitz

10 8 18 24 8

½

Bauer/Sehlitz 12 14 14 6

½

Bauer/Drosevitz   20 12 12 1

1

Kossat/Promoisel

    3 3-4    

Kossat/Rusewase

  4 4 3 1 ½ ½ – 1/6

Kossat/Quatzendorf

  2 2 ½ 4    
Kossat/Klementelvitz   24 24 30 3

1/2


Tab. 1.
Aussaatmenge der Bauern und Kossaten 1695 nach Scheffeln: ausgewählte Beispiele (nach Kalähne 1952, S. 28 ff.).

Die bebaute Ackerfläche wurde von Peter Wierling nach den Bodenwerten gegliedert, kartiert und danach besteuert. Der schlechtere Acker (schwed. öder, also „trist“) wurde besonders beachtet. Auch die oft sehr geringe Heuernte zur Viehversorgung über Winter fand gezieltes Interesse. Es gab sogar Vorschläge des Schweden, wie man die Heuernte erhöhen könnte. 1695 gab es noch eine beachtliche Wald- und Viehweide. In Rusewase, Sehlitz, Falkenberg und Wesselin erreichte sie Höhen von mehr als 50 Morgen (Tab. 2).  Die Hofstelle Beustrin war 1695 noch „wüst“, d. h. nicht bewohnt.

Ort Acker Öder Acker Wiese Heu-fuhren Wald- und Viehweide. Hofstelle Gesamt
Sehlitz 104:216 3 16:295 20 73:80 3:9 306(200 ha)
Mönkendorf 96:187 12 1:228 2 22:75 1:80 132(86 ha)
Klementelvitz 79:00 1:150 2:190 4 29 0, 276 111(73 ha)
Poissow 62:235 8:285 1 2 116 0, 80 187 (123 ha)
Groß Volksitz 61:196   7:170 10 25 11 104(68 ha)
Quatzendorf 55:188   0, 262 1 17 0, 160 73(48 ha)
Drosevitz 48:226   5 3 46:112   99(65 ha)
Falkenberg 31:150   4:80 8 55:220 0, 80 90(59 ha)
Pluckow 30:156   2:154 3 10 1:75 43(28 ha)
Wesselin 27:150   1:150 1 58   86(56 ha)
Beustrin 18:114 2 8:70 12 35:150 Wüst 63(41 ha)
Rusewase 12:232 12:80 9:225 8 88 2:40 123(81 ha)

Tab. 2. Sagard und Umgebung. Ausgewählte Acker- und Hofflächen des Jahres 1695  in pommerschen Morgen und Quadratruten gemessen (nach Kalähne 1952, S. 33 ff.).

Promoisel im Jahre 1695

Der Acker der von abhängigen Bauern und Kossaten bewirtschafteten Domäne Promoisel wurde in 5 Schlägen bewirtschaftet. Der Acker bestand aus Lehmboden mit Humusgehalt, so dass er auch in mittelmäßigen Jahren ziemlich gute Winter- und Sommersaat trug (nach Kalähne 1952, S. 27, Folie 257). Außerdem betrieb man zur Landwirtschaft noch eine Imkerei.

In Promoisel waren einige Flächen hügelig und konnten 1695 nicht gut bestellt werden, so dass sie als Viehweideland genutzt wurden: „Dieses Weideland ist an verschiedenen Stellen mit kleinen Büschen bewachsen, so dass die Erbpächter davon notdürftig Zaunsträucher und Backofenholz haben, aber zum Brennen nehmen sie aus der Stubbenitz, welche von hier nicht weit entfernt ist. Die Hofstellen sind mit kleinen Kohlgärtchen (ausgestattet), aus welchen sie Kohl für den eigenen Bedarf bekommen“ (übersetzt nach Kalähne 1952, S. 27 f., Folie 257). Von den Wiesen konnten in Promoisel jährlich 18 Fuhren Heu geerntet werden. Die Fuhren wurden von einem Vierergespann mit Pferden gezogen.

Sehlitz/Seeltze im Jahre 1695

Der Boden von Sehlitz wurde als „ziemlich guter lehmig-humoser Boden, welcher gutes Winter- und Sommergetreide trägt“, beschrieben (Kalähne 1952, S. 55). Das waren etwa 46 (pommersche) Morgen. Dazu kam in Sehlitz ein „Lehmboden, welcher aus Hügeln und Tälern besteht“. Da er aber auch mit Sand vermischt ist, trägt er nur bei „nicht so großer Hitze ziemlich gut Getreide von allerhand Art“. Das waren dann 54 Morgen (vgl. Tab. 2). Als Lehmboden wurde das Flurstück „Lesenick“ am Kossen-Haus (Kossäten-Haus) bezeichnet – das waren etwa 4 Morgen.  Hier lagen auch drei Wiesen mit nur einem Morgen sowie weitere acht Wiesen am Ackerfeld mit 15 Morgen (Tab. 2; Kalähne 1952, 55). In Sehlitz wurde wie in Promoisel der Acker jährlich bestellt, allerdings wurden „8 oder höchstens 9 Morgen jährlich als Brache liegen gelassen, aber wenn das Dorf bewohnt ist wie ehemals, so können hier nicht so viele Morgen brach liegen, sondern müssen zumeist besät werden“ (Peter Wierling nach Kalähne 1952, S. 55).

Abb. 4. Goldberg. Neu angelegter Kreidebruch. Aufnahme Fr. Biederstädt. 2015.

Abb. 4. Goldberg. Neu angelegter Kreidebruch. Aufnahme: FR. Biederstädt, Sassnitz.
Sommer 2015.

In Sehlitz erntete man jährlich 12 „gute Fuhren Heu“ und der Vermesser ergänzte: „Wenn diese Wiesen in Acht genommen werden, so können wohl von ihnen 20 Fuhren eingebracht werden“ (Kalähne 1952, S. 55). Daher besteuerte er auch 20 Heufuhren und nicht die bisherigen 12 Fuhren (Tab. 2).

Dazu kam in Sehlitz ein recht großes Viehweideland „ringsherum und im Ackerfeld, meist mit kleinem Gebüsch bewachsen“ – im Umfang von 73 Morgen. Dazu wurde noch vermerkt: „Viehweide ist so ziemlich bei diesem Dorf, und wenn sie etwas abgeweidet worden ist, so können sie ihr Vieh in den Stubbenitz-Kronwald zur Weide treiben, welcher nicht weit von hier gelegen ist. Wald ist bei Seeltze nicht nur für der Bauern eigenen Bedarf, sondern sie können auch jährlich etwas Frischholz oder Trockenholz samt Zaunsträuchern verkaufen“ (Kalähne1952, S. 55 f.). Die Dorfstelle von Sehlitz war mit 3 Morgen recht groß.

Rusewase/Russewase im Jahre 1695

In Rusewase wurden 12 Morgen guten und die gleiche Größe „tristen“ Ackers bestellt und jährlich besät: „Jeder Kossat pflegt 5 Morgen zu haben, um zu bebauen, und es besteht der Acker aus lehmvermischtem Sand, der jetzt sehr mager ist und schlechtes Getreide trägt, aber wenn er richtig bebaut und gedüngt wird, so könnte er schließlich mittelmäßig gut Winter- und Sommersaat tragen. Der ganze Umfang mit Olufs Acker beträgt  12 Morgen“ (nach Kalähne 1952, S. 31 f.). Peter Wierling meinte mit „Oluf“ den Schweden Oluf Bengtson, der ihm sehr behilflich war.

Abb. 5. Maße und Gewichte (nach dem Rügenschen Heimatkalender 1938, S. 32)

Abb. 5. Maße und Gewichte (nach dem Rügenschen Heimatkalender 1938, S. 32).

Zu dieser Zeit waren noch nicht alle Berge und Anhöhen Jasmunds zu Ackerflächen umgewandelt worden. So hieß es bei Wierling: „Bei Russewase ist gutes Viehweideland mit Wald bewachsen; und es kann hier genug Vieh über Sommer gegen Geld in Weide genommen werden, denn Russewase hat nicht nur selbst Weideland sondern hat auch den danebengelegenen Kronwald Stubbenitz, worin gute Viehweide ist und das Vieh dort allzeit eingetrieben werden kann“ (nach Kalähne 1952, S. 33).

Der Landvermesser empfahl aber, diese „zu Acker umzupflügen“, denn „wenn sie recht bearbeitet werden“, würden sie Getreide tragen (Kalähne 1952, S. 32). Das galt dann auch für fünf kleine Wiesen, „welche sumpfig und naß von geringem Graswuchs sind“. Sie waren neun Morgen groß. Sie brachten jährlich 4 Fuhren Heu ein – „aber wenn die Wiesen in Acht genommen werden, so kann wohl beim ganzen Dorf in allem 8 wohlbehaltene Fuhren bekommen“ (Kalähne 1952, S. 32). Auch hier besteuerte Wierling die gewünschte Heu-Menge mit acht Fuhren.

Die Ernteerträge waren stets in Rusewase zu gering, so „daß die Einwohner bei diesem Ackerbau nicht ihre jährliche Nahrung haben könnten, sondern sie müssen durch den Wald etwas verdienen, auch durch ihr Vieh, welches sie mit anderem Vieh über Sommer in Weide nehmen“ (Kalähne 1952, 33 f.).

Der Viehbestand 1695 auf Jasmund

Im Jahre 1695 wurde auf Jasmund noch ein geringer Tierbestand gehalten. Ob diese Angaben den Realitäten entsprachen oder bewusst niedrig angegeben wurden, muss offen bleiben.

Stand

Pferde Milchkühe Jungrinder Schafe Ochsen Schweine Hühner Gänse

Bauern/Promoisel

8 4 – 5 3 4 – 5        
Kossat/Promoisel

2 – 3

2

           
Kossat/Rusewase

2

1 1   1 1 Sau;
4 Ferkel

2

 
Kossat/Rusewase   2       1 Sau;
2 Ferkel
  2
Oluf Bengtson/ Rusewase   3 2 Bullen,
Kälber,
1 Färse
    2 Sauen,
2 Ferkel

2 und
1 Hahn

 

Klementelvitz/
Pächter Wewetzer

8

10

?

8-10

       
Quatzendorf/Kossat 2-4              

Tab. 3. Viehbestand der Bauern und Kossaten im Jahre 1695 nach ausgewählten Beispielen (nach Kalähne 1952, S. 28 ff.).

Die Vielzahl der Pferde erklärt sich, dass „ihr Acker manches Jahr sehr schwer zu bearbeiten ist, da er zumeist Lehmboden ist“ (Kalähne 1952, S. 28). Die Schafe wurden im Sommer geweidet bzw. sie nehmen Schafe zur Weide und bekommen „Weidegeld“ bzw. einen Teil der Lämmer.

1909 vermerkte der „Rügensche Heimat-Kalender“ für diese harte landwirtschaftliche Arbeit:

„Jede Scholle muß man pflegen,
denn im Boden liegt der Segen,
der, geweckt durch Müh und Fleiß,
alles lebend gibt zu leben“.

Die Steuern, Abgaben und Leistungen im Jahre 1695

Die jährlichen Abgaben dieser Bauern und Kossaten waren 1695 beachtlich, wie das Beispiel Promoisel belegt:

  1. „Waldhafer“ als Abgabe für die freie Nutzung der Stubnitz gab das gesamte Dorf Promoisel in Höhe von 17 ¾ Scheffel.
  2. Jeder Bauer gab in Promoisel jährlich 2 Scheffel Bischofsroggen.
  3. Jeder Bauer gab vierteljährlich 28 Schillinge an Akzise, jeder Kossat 9 ½ Schillinge und ein Einlieger 7 Schillinge.
  4. „Reutergeld“ in Höhe von 30 Schillingen gab das gesamte Dorf.
  5. Regierungsdeputat in Höhe von 12 Schillingen musste jährlich gezahlt werden.

Die schwedische Steuervermessung nannte für den Kossaten Ties Lokewitz (aus Promoisel?) an Abgaben:

  1. Reutergeld pro Monat in Höhe von 4,9 Schillingen
  2. Gerichtsgeld zweimal im Jahr in Höhe von 3 Schillingen
  3. Abgabe für die Hufe 12 Schillinge im Jahr
  4. Kopfsteuer in Höhe von 18 Schillingen
  5. Akzise in Höhe von 40 Schillingen
  6. Dienstgeld in Höhe von 2 bis 3 Reichstalern
  7. Regierungsdeputat-Holz 2,6 Schillinge
  8. Viehsteuer in Höhe von 15 Schillingen

In Rusewase lebten zwei Kossaten, auf jeden kamen folgende Dienste: „Der Kossat diente 3 Tage in der Woche auf Dubbenitz (Dubnitz) mit einer Person zu Fuß, aber in der Ernte diente er alle Tage in der Woche mit einer Person zu Fuß, doch bekommt er Essen und Trinken auf dem Hofe, wenn er dort arbeitet“ (Kalähne 1952, S. 31).

Für Nipmerow heißt es: „Der Bauer dient 3 Tage in der Woche mit 4 Stück Pferden und 2 Personen, dazu einen Tag in der Woche mit einer Person zu Fuß. Kossaten sind 6 Stück hier im Dorf und jeder dient 3 Tage in der Woche mit einer Person zu Fuß. In der Ernte dienen sowohl der Bauer als auch die Kossaten alle Tage in der Woche mit den üblichen Leuten und Vieh, wie es nötig ist“ (Kalähne 1952, S. 83).

Für Groß Volksitz und Klein Volksitz wurde genannt: „Die anwesenden Einwohner sind untertänig und leisten jetzt auf dem Spiekerschen Ackerhof Polkewitz (Polkvitz) Dienst; jeder Bauer dient drei Tage in der Woche mit 4 Stück Pferden und 2 Personen, dazu einen Tag in der Woche mit einer Person zu Fuß; aber in der Ernte dient jeder Bauer alle Tage mit Leuten und Vieh, wie es auf dem Ackerhof notwendig ist“ (Kalähne 1952, S. 69).

Der Bauer hatte immerhin eine halbe Landhufe (also 15 pommersche Morgen) zu bebauen, der Kossat dagegen 7½ Morgen.  Die Bauern auf Jasmund waren Erbpächter. Einige hießen:

  1. Georgen Kaal (später: Kahl)
  2. Petter Lockewitz (später: Lokenvitz und daraus Looks)
  3. Joicom Mugge (später Mücke)
  4. Claus Hafmann (später: Hofmann)
  5. Claus Pentz (später: ?)
  6. Paul Hagmeister (später: Hagemeister)

Das sind zugleich die ältesten Familiennamen auf Jasmund.

Person

Akzise Kopfsteuer Tribunal-
steuer
Magazin-
Korn
Wald-
Hafer
Reuter-
Steuer
Bischofs-
Roggen
Hufen-
Steuer
Drevis Möller/
Rusewase

38 Schillinge

18 Schillinge 3 Schillinge 2 Scheffel  4Scheffel 72 Schillinge    

Oluf Bengtson/
Rusewase

28 Schillinge              
Sehlitz/gesamt         8 Scheffel   3 ¾ Scheffel  

Drosevitz/
1 Bauer

84 Schillinge         38 Schillinge   X
je
Groß Volksitz und
Klein Volksitz

84

Schillinge

    8 Scheffel   468 1 ¼  
Poissow/
1 Bauer
56 Schillinge         240 Schillinge 1 ½ Scheffel  
Falkenberg             1 Scheffel  

Pluckow

            1 Scheffel  

Klementelvitz/
Pächter

2 Reichstaler       6 Scheffel  

6 Scheffel

Tab. 4.  Jährliche Abgaben der Bevölkerung: ausgewählte Beispiele  (nach Kalähne 1952, S. 34 ff.).

Auch in Rusewase wurden „Magazinkorn“ und „Waldhafer“ gemeinsam in Höhe von zwei bzw. vier Scheffeln gegeben. Dazu kamen noch weitere Abgaben, wie sie für Sehlitz und Klein Volksitz  bzw. Groß Volksitz belegt sind: „An Spicker (Schloss Spyker) gibt jeder Bauer jährlich 4 Stück (Pacht-) Hühner und der Kossat 2 Stück. Jeder Bauer lässt jährlich für Spicker für 6 Mark Lein spinnen und der Kossat für 10 Mark Werg (Hede)“ (Kalähne 1952, S. 57). Auch aus Poissow, Falkenberg und Pluckow hat jeder Bauer jährlich vier Pachthühner an Spieker zu geben, dazu noch jährlich für 6 Mark Lein zu spinnen (Kalähne 1952, 82).

Ein Fazit – „de Knubbenbieters“

Die Matrikelvermessung des Jahres 1695 durch den schwedischen Landvermesser Peter Wierling gibt uns einen deutlichen Einblick in die Zeit vor mehr als 300 Jahren. Es folgte nun im 18. Jahrhundert eine weitere Besteuerung der Bevölkerung mit zahlreichen Angaben zur Sozialstruktur, zur Landwirtschaft und Kulturgeschichte Jasmunds.

Jasmund war lange Zeit eine vom Inselkern isolierte Landschaft. Nach dem Volkskundler und Historiker Alfred Haas (1860-1950) bildete sich auf Jasmund sogar ein eigentümlicher plattdeutscher Dialekt heraus, in dem „die Vokale vielfach dumpfer als die übrigen Rügianer ausgesprochen wurden“ (Haas 1920, S. 19). Auch erfolgte eine stärkere Verschleifung der Endsilben. So hieß es noch 1849: „dat Füür will nich baan“ (also „barnen“ für „brennen“), „de Wind weijt so houhl“ (hohl), „de Kreijen sitt’n up Poul“ (Pfahl) oder „dat wad (wird) doin“ (statt plattdeutsch „däujen“ für tauen).

Wie uns Haas berichtete wurden die Jasmunder früher als „Knubbenbieters“ bezeichnet (Haas 1920, S. 19). Das Wort bedeutet „Knotenbeißer“ und besagt, die Jasmunder sind Leute, die sich nicht erst lange Mühe geben, einen Knoten aufzulösen, „sondern ihn kurzweg durchbeißen, also Leute, die gerade darauf losgehen“ (Haas 1920, S. 19).

Vielleicht kann man das hier Dargestellte einmal vertiefen und eine geordnete und wahrhafte „Geschichte Jasmunds“ ausbauen.

200 Jahre „Seebad Putbus“

Gegenwärtig begehen wir auf Rügen ein bemerkenswertes Jubiläum. Es ist die Entstehung des Bäderwesens an der offenen See.

Abb. 1. Goor. Das 1818 errichtete Badehaus (nach Ewe, Rügen, 1986, S. 49)

 

Abb. 1. Goor bei Lauterbach. Das 1818 errichtete „Friedrich-Wilhelms-Bad“ (nach Ewe,          Die Insel Rügen 1986).

1816 wurde in Neuendorf bei Putbus die erste Seebade-Anstalt durch die Putbusser Fürstenfamilie eingerichtet und 1818 durch den Bau des „Friedrich-Wilhelms-Bades“ in der Goor erweitert. Einige Jahre zuvor begann der Fürst Wilhelm Malte I. (1783-1854) mit dem klassizistischen Auf- und Ausbau des Ortes Putbus. Das sind jetzt 200 Jahre rügensche Badegeschichte, denn hier in und um Putbus begann alles das, was gegenwärtig in Binz, Sellin, Baabe und Göhren einen Höhepunkt des Tourismus erlebt.

Baden in der offenen See

Über diesen frühen Beginn scheint in der Allgemeinheit wenig bekannt zu sein und die jüngsten Reisebeschreibungen gehen gleichfalls darauf nicht ein. Richtig ist, dass der Beginn des Seebadens in Neuendorf bei Lauterbach im flachen und wellenberuhigten „Rügischen Bodden“ – einer Ausbuchtung des „Greifswalder Boddens“ – lag.

Abb. 2. Neuendorf. Umgebautes Bauernhaus mit Walmdach

Abb. 2. Neuendorf bei Putbus. Umgebautes rohrgedecktes Bauernhaus mit abgewalmtem Dach. Der Ort zeichnet sich durch eine Anzahl gepflegter alter Bauernhäuser aus und wurde in DDR-Zeiten mehrfach preisgekrönt.

Blicken wir zurück. Nach unserem aus Bergen stammenden zeitgenössischen Gewährsmann und Historiker Johann Jacob Grümbke (1771 – 1849), der 1819 die beste Rügen-Historie verfasste, entstanden „etwa seit 1810“ in der Linden-Allee die ersten „Colonistenhäuser“. Bis 1817 waren bereits 16 Gebäude inklusive des Gasthofes „Fürstenhof“ errichtet. In einem dieser „Colonistenhäuser“ hatte der Fürst Malte I. bereits ein Badehaus mit vier Wannenbädern eingerichtet, in denen „schwache Personen, denen das Seebad nicht zuträglich seyn mögte, warm und kalt baden konnten“ – so berichtete Grümbke. 30 Jahre später gab es bereits mehr als 70 Häuser u. a. in der Linden-Allee, dem Marktplatze und der Luisenstraße.

Der Bau des Friedrich-Wilhelms-Bades im Jahre 1818

Ausschlaggebend für diese Entwicklung war der Besuch der Putbusser Fürstenfamilie 1809 bis 1811 im Seebad Doberan und der Putbusser Besuch des kulturinteressierten Karl Graf von Hahn (1782-1857), der die Fürstenfamilie ermutigte ein Seebad anzulegen. Es war also jene Zeit, da in Putbus ein regelrechter Bauboom herrschte und die Fürstenfamilie zu Putbus auch nach neuen Finanzierungsquellen suchte. Eine davon war das Baden im Ostseewasser, das offiziell 1815 einsetzte. Grümbke berichtete weiterhin, dass bei Neuendorf „zu diesem Zwecke Leinwandzelte am Strande aufgeschlagen wurden für die badenden Herren, während die Badekarren für die Damen in das tiefere Wasser hinausgefahren wurden“.

Abb. 3. Badekarren nach Ewe Rügen S. 45

 

Abb. 3. Badekarren des frühen 19. Jahrhunderts (Abb. nach Ewe, Die Insel Rügen 1986).

Am Geburtstag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) im Jahre 1818 – also am 3. August 1818 – wurde der Grundstein zum „Badehaus“ in dem herrlichen Buchenwald, der Goor, gelegt. So zählte vor dem I. Weltkrieg das „Friedrich-Wilhelms-Bad“ wegen „seiner idyllischen Lage zu den schönsten Plätzen Rügens“.

Das Badehaus in der Goor. Die Jahre 1819 – 1840

1819 wurde das große elegante Badehaus in der Goor errichtet, das durch Kabinettsordre vom 13. August 1818 den Namen des preußischen Königs „Friedrich-Wilhelms-Bad“ erhielt. Vier Jahre zuvor – im Jahre 1815 – war Rügen aus dem schwedischen Staat ausgeschieden und preußisch geworden. Schon im April 1820 warb die „Fürstliche Bade-Direction“: „Friedrich- Wilhelms-Bad zu Putbus. Die hiesigen Seebäder werden zu Mitte Juny eröffnet, die billigen Preise der vorigen Jahre bleiben unverändert und werden wir Sorge tragen, daß wegen des Essens die nämliche allgemeine Zufriedenheit herrschen soll, wie in der vorigen Saison“ (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 4. 4. 1820).

Abb. 4. Goor. Historische Badewanne. Aufbahme  A. Leube 1988

Abb. 4. Goor. Historische Badewanne. Aufnahme: A. Leube 1988.

1824 wurde das Badehaus umgebaut und erhielt das heutige Aussehen. Die Vorderseite wurde als Säulenhalle mit 18 mächtigen Säulen im griechisch-dorischen Stil erbaut. Das Innere erhielt eine Kassettendecke. Granitene Stufen führten hinauf, deren mittlere von zwei in Bronze gegossenen Löwen (nach dem Bildhauer Rauch) flaniert wurden: „Die nach hinten gehenden Seitenflügel waren unter sich verbunden und bildeten zwei geräumige Höfe, in denen Pyramidenpappeln und Blumenbeete einen stilvollen Schmuck bildeten. Das Gebäude enthielt zehn Badezimmer, von denen zwei mit in Florenz gearbeiteten weißen Marmorwannen und zwei andere mit Fayence-Wannen ausgerüstet waren“. Die „Badezellen“ waren luxuriös mit Sofas, großen Spiegeln, Tür- und Fenstervorhängen, Toiletten und Fußteppichen sowie einer Glocke zum Herbeirufen des Badepersonals sowie einem Thermometer eingerichtet.

Abb. 5. Sassnitz. Historische Badewanne. Aufnahme  A. Leube 2010.

Abb.5. Sassnitz. Historische Badewanne – heute vor der Schwimmhalle stehend. Aufnahme: A. Leube 2009.

Das kalte Seewasser wurde in hölzernen Röhren aus der See ins Badehaus und hier durch eine Reinigungsanlage in metallenen Röhren zu den Zellen geleitet. „Ein Teil des Wassers wurde erhitzt, so dass in den Zellen heißes und kaltes Seewasser aus zwei über den Wannen befindlichen Messinghähnen entnommen werden konnte“.
Auch das von einem Fürsten betriebene Bad war vor Dieben nicht gefeit. Im Winter 1828 wurde in der Goor aus der „hiesigen Bade=Restauration“ im Februar 1828 „ein großer eingemauerter kupferner Kessel ausgebrochen und entwendet worden“ (Stralsundische Zeitung Nr. 24 v. 23. 2. 1828).

Das Badehaus wurde mit einer geraden Alleen-Straße mit Putbus verbunden. Diese Straße hat die Zeiten bis heute überdauert.

Das alles hatte sich nach dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches geändert. Nun gehörten Lauterbach und Neuendorf zu den billigsten Seebädern Rügens und hatten im Jahre 1924 nur 600 Urlauber. Seit 1924 legten auch die Dampfer aus Greifswald nicht mehr in Lauterbach an. Allerdings bestand seit 1895 eine Eisenbahnverbindung und man erreichte Lauterbach vor 1936 (Bau des Rügendammes!) vom Berlin-Stettiner Bahnhof aus in 5 1/2 Stunden.
Während des I. Weltkrieges diente das „Friedrich-Wilhelms-Bad“ als Lazarett und wurde nach 1918 zu Notwohnungen umgerüstet.

Abb. 6. Lauterbach. Werbung des Besitzers des Badehauses (Grieben Nr. 65, 1900)

Abb. 6. Lauterbach. Friedrich-Wilhelms-Bad. Werbung des Jahres 1900 (Griebenreiseführer Nr. 65, 1900).

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Rügen und seine landschaftliche Schönheit entdeckt. Bildungsbürger, Fernreisende und Handelsreisende suchten nun die Insel auf und gaben die ersten Reiseberichte heraus. Sie waren sich in einem einig – in ihrem Lob zum damaligen Seebad Putbus. 1846 schilderte der Reisende Friedrich von Schönherr Putbus überschwänglich, denn „es steht eben so unter den übrigen Seebädern der deutschen Nordküste unübertroffen, ja selbst unerreicht da“. Man war sich aber auch in der Schönheit des Ortes, der schönen Lindenallee, des im regelmäßigen Viereck angelegten Marktplatzes und der nördlichen Luisenstraße, einig.

Abb. 7. Haus Goor im Jahre 1993 (Ostsee-Zeitung v. 12. 2. 1993, 11).

Abb. 7. Das Haus Goor im Jahre 1993 (Ostsee-Zeitung v. 12. Februar 1993, S. 11).

Heute ist es im Besitz der Raulffs Hotels (https://www.booking.com/hotel/de/badehaus-goor.de.html). Im Jahre 2007 wurde alles umgebaut zu einem Restaurant und Hotel. Der angrenzende Buchenwald wurde auf Betreiben von Prof. Dr. H. Knapp 1990 als Naturschutzgebiet gesichert und ist seit 2003 im Besitz der Michael-Succow-Stiftung.

Abb. 8.  Goor. Die Hotelanlage heute.

Abb. 8. Goor. Die Hotelanlage heute (nach http://www.hotel-badehaus-goor.de/).
Links das alte Badehaus.

Die weitere Badeentwicklung in Binz

1825 standen in Binz die ersten Badehütten und Badekarren. Im Jahre 1836 besuchte ein Reisender Binz und sah im Strand bei Ahlbeck ein „Landschaftsstück und Stelle einer Seebade-Anstalt“.

Abb. 9. Binz. Der Kleinbahnhof 1977. Aufnahme Kurt Leube, Bergen.

Abb. 9. Binz. Der Kleinbahnhof im Jahre 1977. Aufnahme: Kurt Leube, Bergen.

Und weiter: „In diesen mit Sandhafer, spärlichem Tannenwuchs und dem wilden Brombeerstrauche bestandenen, öden Dünen stehen einige Hütten, worin der Bademeister wohnt, und weiter draußen am äußersten Strande einige Schilderhäuser und Badekarren, zum trefflichen Genuß des Bades in der offenen, stets bewegten, kräftig brandenden See auf sammetweichen Grunde, im Rücken geschützt von schroffen waldigen Bergwänden, entfernt vom Geräusche des geselligen Treibens, im innigsten Verkehr mit romantisch-wilder Natur-Einsamkeit, ihren ungeschminkten Reizen und ungestörtem Frieden. Wer für seine Kur zugleich Erquickung der Seele, Zurückgezogenheit und Ruhe sucht, der kann es nicht schöner und behaglicher finden“. 1870 zählte man im Sommer in Binz erst 80 Gäste und 1874 bereits 500 Gäste.

Garz auf Rügen – die älteste Stadt Rügens

Die Anfänge der Stadt Garz – vor fast 700 Jahre begann alles!

Es ist wohl wenig bekannt, dass der ländliche Ort Garz im Südwesten Rügens die älteste Stadt Rügens verkörpert. Die Stadt Garz besaß bereits 1319 – sie hat demnach ihr 700jähriges Stadtjubiläum in zwei Jahren vor sich – einen städtischen Rat und eigene Gerichtsbarkeit. Einen Markt, Stadttore oder eine Stadtmauer hatte Garz nie. Man nutzte aber die Lange Straße/Ecke Lindenstraße als Markt. Das älteste Garzer Stadtbuch der Jahre 1351 bis 1586 ist nicht nur für Garz eine einmalige Geschichtsquelle.

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Abb. 1. Garz. Blick vom Süden auf die Backsteinkirche. Aufnahme: A. Leube 2006.

Seit dem Jahre 1353 sind eine Fülle von Handwerkern, wie Schuster, Schneider, Bierbrauer, Müller, Gerber, Schlächter, Schmiede, Töpfer, Maurer usw., die sich später in mindestens sechs Gilden organisierten, nachgewiesen. Seit 1438 durfte auch Tuchhandel betrieben werden. An das enge Zusammenleben von Handwerkergruppen erinnern die Schmiede- und Töpferstraße sowie der „Kütergang“ (Fleischerstraße). Die Fleischer-Innung umfasste im Jahre 1901 allein 19 Meister, die fünf Gesellen ausbildeten. So richtete 1873 Carl Pieck in der Lindenstraße eine Fleischerei ein. Diese einst handwerklich orientierte Stadt hatte recht früh eine sozialdemokratische Ausrichtung. 1874 wählten von etwa 210 Wählern nahezu 170 – also etwa 80% der abgegebenen Stimmen – den Sozialdemokraten Carl Hirsch.
Im gleichen Jahr 1873 wurde der Amtsbezirk Garz gebildet, der fast 2 000 Einwohner in mehr als 20 Ortschaften umfasste. Die Stadt Garz selbst hatte 1893 1 918 Einwohner und war 1925 mit 1 933 Bürgern nur wenig größer. Dabei wurden vor 1900 jährlich in der Kirchgemeinde Garz etwa 100 Kinder geboren. Jedoch verzogen viele Garzer Einwohner, wie auch die Kindersterblichkeit hoch war.

„Friede ernährt – Unfriede verzehrt“

Dieses alte deutsche Sprichwort gilt auch für die Entwicklung der Stadt Garz. Der dreißigjährige Krieg der Jahre 1618 bis 1648 und der Nordische Krieg von 1700 bis 1715 sowie die Stadtbrände in den Jahren 1701 und 1724 führten nach einer Blütezeit zum städtischen Niedergang, der erst um 1815 sein Ende fand. So bestand die Stadt Garz 1743 mit etwa 700 Einwohnern aus etwa 120 strohgedeckten Häusern an acht ungepflasterten Gassen. 1954 schrieb dazu der Garzer Heimatforscher Ernst Wiedemann (1883-1958): „Ein ‚Strafpfahl‘ und ein ‚wohlgemauertes Gefängnis‘ waren (daneben) vorhanden. So sah also die Stadt nach den schweren Katastrophen aus. Der Wohlstand ihrer Einwohner war dahin“ (Ostsee-Zeitung/Ausgabe Kreis Putbus, Nr. 12 v. 15. 1. 1954).
Besonders verhängnisvoll war die große Feuersbrunst vom 8. Mai 1765, in der mehr als 50 Häuser in Garz niederbrannten. Ein starker Wind hatte somit die Hälfte der Stadt durch einen Feuersturm vernichtet.
Mit Sagard, Gingst, Putbus, Altenkirchen und Bergen gehörte Garz im Jahre 1874 zu den sieben traditionellen Marktorten Rügens. Garz hatte regelmäßig im Frühjahr, Sommer und im Herbst seinen „Krammarkt“ mit zugehörigen Würfel- und Schaubuden sowie Karussells und Schaukeln.
1890 wurde in Garz eine der acht rügenschen Molkereien mit Käsefabrikation gegründet. Um 1900 begann aber auch die Konkurrenz der Großbetriebe, die vornehmlich von den Städten Stralsund, Greifswald und Stettin aus über Rügen ihren wirtschaftlichen Einfluss ausdehnten. Sie leiteten den zeitweiligen Niedergang der Wirtschaft in Garz ein. Zwischen 1936 und 1939 gab es wenigstens 22 größere Geschäfte, Handwerksbetriebe und Gaststätten, so das Kaufhaus Wenzel, den Kaufmann Paul Kasten, den Tischlermeister Paul Franz, die Elektromeister Willy Puppe und Hermann Ohlrich, die Fleischermeister Walter Behnke, Kurt Siegbrecht und Ulrich Schade, den Autobetrieb Otto Sandhop, das Baugeschäft Richard Wilde, die Schuhmachermeister Walter Götz und Paul Papenbrock sowie den Schneidermeister August Knöppel.
An diese verheißungsvolle Entwicklung konnte auch in der DDR-Zeit nur begrenzt angeknüpft werden. Im November 1989 brach sich daher auch in Garz der allgemeine Unmut Bahn. Man vermisste u. a. ein Kino, eine Gaststätte, „in der man sich verwöhnen lassen kann“, eine Turnhalle usw. Bärbel Wolfgram berichtete darüber in der „Ostsee-Zeitung“.
1992 und 1993 begann dann die Garzer Stadtsanierung auf einer Fläche von 27 ha Größe. Sie umfasste die Wasser-, Energie- und Abwasserleitungen inklusive den Bau einer Kläranlage. Ja, Bürgermeister Klaus Koesling – ihm folgte 1995 Klaus Meißner – schätzte damals einen Bedarf in Höhe von 60 Millionen DM und eine Bauzeit von 20 Jahren, also bis 2012. Im August 1993 war die Rekonstruktion der Hunnenstraße mit den Nebenstraßen unter Lübecker Bauleitung für drei Millionen DM abgeschlossen und man sprach von der „schönsten Straße Mecklenburg-Vorpommerns“. Die Kläranlage wurde 1994 für immerhin sechs Millionen Mark in Betrieb genommen.

Garz – Verkehrsknotenpunkt seit dem 10. Jahrhundert

Die Bedeutung des Ortes erwuchs u. a. daraus, dass in Garz die Ost-West-ausgerichtete Landstraßen Altefähr – Garz – Putbus – Mönchgut sowie die Nord-Süd-verlaufende Straße von der Glewitzer Fähre – Garz – Bergen – Trent – Wittow aufeinander trafen. Damit umgingen sie das Moorgebiet im Bereich der „Schleuse“ westlich der Stadt. Möglicherweise hatte Garz über den Garzer See sogar eine Verbindung zum Strelasund. An der „Schleuse“ (de Slus‘) fand man vor drei Jahrhunderten Reste eines Bollwerks und Eichenstämme als eine Art Schiffs-Anlegestelle – vielleicht seit dem 12. Jahrhundert. Auch der Name der „Poggenstraße“ – d. h. „Froschstraße“ – erinnert an dortige Sümpfe.

Abb. 2. Garzer Stadtwappen (nach Ostsee-Zeitung v. 28. bis 29. Januar 1989

Abb. 2. Stadtwappen von Garz, das einem Stadtsiegel des 14. Jahrhunderts nachgebildet wurde.

Wir erkennen auf dem älteren Stadtwappen, das 1994 von dem Sagarder Gerhard Koggelmann modifiziert wurde, eine Burg mit geöffnetem Tor, mit einem breiten Zinnen-Turm und zwei runden Kuppeltürmen. Auf dem Mittelturm weht eine weiße Kirchenfahne mit dem roten Greif.

„Vereint im Vereine“ – das einstige gesellige Leben in Garz

Die Stadt nahm im 19. Jahrhundert und den folgenden Jahren bis 1914 eine größere Bedeutung als Handwerks- und Handelszentrum, wie auch als Zentrum der Geselligkeit, im Südwesten Rügens ein. So gab es eine Fülle an Hotels und Gasthöfen, in denen sich die Städter und die Landbevölkerung trafen. Am bekanntesten war das „Hotel du Nord“ – heute steht hier EDEKA. 1902 legte der damalige Besitzer Seelow – Vorbesitzer war der aus Berlin stammende Karl Tiedt – im „Hotel du Nord“ (später „Nordischer Hof“) das Acetylen-Licht, eine Art von Kunstlicht, an. Das war der Beginn der Elektrifizierung in Garz. Daneben gab es das „Hotel Prinz von Preußen“, „Sander’s Gasthaus“, den Gasthof „Zur Insel Rügen“ (an der Schleuse) und den „Gasthof zum Deutschen Kaiser“. 1896 wurde das „Bahnhofs-Hotel“ unter Gastwirt Rathke gebaut. Die Gaststätten wurden recht oft verkauft und wechselten dabei auch ihre Namen. 1932 gab es neben dem „Hotel Nordischer Hof“ den „Lindenhof“ (erbaut vom Schlächtermeister Wilhelm Segler), „Pankows Gasthof“, „Giertz‘ Gasthof“ und „Juhls Gasthof“.
Im 19. Jahrhundert war die Bevölkerung gleichfalls gesellig und aktiv. Der Wahlspruch „selbst ist der Mann“ war eben verbreitet. Es gab mit dem Seilermeister Heinrichs, dem Kaufmann Kasten und dem Schneidermeister Töllner um 1900 geeignete Persönlichkeiten, die zu mobilisieren verstanden. Dafür sorgten auch ein „Bürger- und Arbeiterverein“, dessen „Sterbekasse“ („de Doden-Beliewung“) – eine Art Sterbeversicherung – allein im Jahre 1902 126 Mitglieder besaß, und ein 1876 gegründeter „Gewerbe-Verein“.
Bekannt und beliebt waren der Männergesang-Verein und die 1747 gegründete Schützen-Gilde. Dazu gab es auch in Garz die militanten und nationalistischen Veranstaltungen des 1877 gegründeten „Krieger- und Militärvereins“.

Abb. 3. Garz. Erfolg der touristischen Mehrkämpfer - Ostsee-Zeitung v. 2. 12. 1976 Abb. 3. Erfolg der touristischen Mehrkämpfer im Jahre 1976 (Ostsee-Zeitung v. 2. 12. 1976).

Im Februar 1900 hatte sich eine Freiwillige Feuerwehr mit 33 aktiven Mitgliedern gebildet. Sie hatte genug zu tun, da es früher mehr Brände und auch Brandstiftungen gab als heute. Allein im Herbst 1889 brannten die Gutshäuser von Berglase und Tangnitz ab, wie auch der 14jährige Garzer Einwohner Johannes Witt ein rohrgedecktes Wohnhaus anzündete. Er bekam dafür eine neunmonatige Gefängnisstrafe. 1893 brannte in der Schmiedestraße das älteste Garzer Haus ab – einige Tage zuvor war es mit 800 Talern versichert worden. Welch ein Zufall, welch ein Glück?
Dazu kam eine sehr rührige Sportbewegung in Garz. Der 1883 gegründete Garzer Turnverein hatte 1893 63 Mitglieder und trat allein im Jahre 1901 an 103 Abenden öffentlich mit einem Schauturnen auf! 1896 hatte sich sogar ein bescheidener Radfahrer-Verein gebildet. Seit 2010 gibt es die „Garzer Radsporttage“ in der indirekten Fortsetzung dieser Tradition, die wie in „alten Zeiten“ mit einem Radler-Ball ausklingen.
Die Garzer organsierten in allen ihren verschiedenen Vereinen Theateraufführungen, Konzerte, Liederabende. Alle Veranstaltungen klangen mit dem heiß begehrten Tanzvergnügen aus – der Eintritt kam zum Teil sozialen Zwecken zugute.
Übrigens gibt es heute 13 Vereine in Garz mit 700 Mitgliedern – davon gehören 300 Aktive der Sportbewegung an. Der größte Verein ist die „Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft“ mit 160 Personen.

De Doden-Beliewung (Toten-Beerdigung)

In seinen Lebenserinnerungen beschrieb Ernst Wiedemann die Einführung dieser neuen Bestattungssitte: „Späder würd de Doden-Beliewung gründt un een Liekenwagen anschafft. Dat wier för uns Kinner een grot Schauspill: De vier Pierd mit de groten schwarten Decken un de schwarten Fedderbüsch up den Kopp. Vier Pierd geew dat äwers blots bi’n ‚geihrten Doden‘, süss blots twee Pierd. Frugenslüd harrn bi det Begräbnis nicks to söken. Blots Mannslüd ‚folgten‘“. In Garz wurde dazu von den „Dodensängers“ ein bestimmter Choral angestimmt, der heute noch üblich sein soll.

 

Abb. 4. Garz. September 1979. Haus Nr. 4

Abb. 4. Garz. Altes Bürgerhaus. Erbaut in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aufnahme A. Leube im September 1976.

Das erste Armenhaus auf Rügen in Garz

Am 6. November 1844 entstand auf Initiative des Garzer Superintendenten Otto an der Putbusser Chaussee das erste Armenhaus „zur Rettung armer Kinder der Insel Rügen“. Das waren meist Waisenkinder. Es nannte sich 1889 „Rettungshaus zur Erziehung verwahrloster Kinder“. Im Jahre 1878 nahm das Rettungshaus auch Zwangserziehungs-Zöglinge auf. Durch die Initiative des Hausvaters Roll konnte 1913 ein weiterer Neubau durchgeführt werden und 55 Kinder aufgenommen werden. Herr Roll fügte Unterkunftsräume und Schulklassen hinzu, so dass vor dem I. Weltkrieg 90 Knaben untergebracht wurden. Der Hausvater Roll hat mit seinen Zöglingen für die Stadt Garz sehr viel Gutes geschaffen, so berichtete der Ortschronist Ernst Behrend (Ostsee-Zeitung/ Beilage „Insel-Rundschau“ vom 6. 2. 1964). Er legte die Kirschenallee zum „Kanonenberg-Wald“ an, pflanzte Straßenbäume und verschönerte die Anlagen am Burgwall. Auch Bademöglichkeiten am „Garzer See“ entstanden durch ihn und seine Schüler. Nach 1918 konnte sich die Anstalt finanziell nicht halten.
1930 wurde das erste deutsche Diabetikerheim in Garz ausgebaut. Diese als „Arndt-Stiftung“ bezeichnete Anlage trug den Charakter einer Anstalt der Inneren Mission. In der DDR-Zeit wurde daraus ein „Institut für Diabetes“.
Heute befindet sich hier eine Fachklinik für Kinder und Jugendliche. Träger ist das „Christliche Jugenddorfwerk Deutschland“.

Garz – heute

Nachdem kurzfristig nach 1990 ein „Verwaltungsamt Garz“ für einige Landgemeinden des südwestlichen Rügen entstand, wurde am 1. Januar 2005 die gleiche Verwaltungszone nun zu dem ungewöhnlich großen „Amt Bergen“ mit zwei Städten (darunter Garz), neun Gemeinden und mehr als 20 000 Einwohnern vereinigt.
1989 hatte die Stadt noch 2 400 Einwohner. Diese Zahl hat sich nach 1990 verringert, betrug am 31. Dezember 2015 noch 2 213 Garzer Bewohner. Das Jahr 1936 zählte mit 2 543 Personen die höchste Einwohnerzahl in Garz.
1750 hatte Garz nur 705 Einwohner, im Jahre 1800 erst 1 042 Bewohner und 1862 fast 2 200 Einwohner. Die Geburtenrate mit etwa 100 Geburten pro Jahr um 1900 war recht hoch, wie aber auch jedes fünfte Kind unehelich geboren wurde. Aus Garz stammte bis 2014 die älteste Deutsche – es war Gertrud Henze, die am 8. Dezember 1901 in Garz geboren wurde und somit 112 Jahre alt wurde.
1896 wurde der Anschluss an die Eisenbahn geschaffen. Diese Bahnlinie wurde aber bereits 1967 geschlossen. Die erhaltene Bahntrasse dient heute als touristische Radtour.
In der DDR-Zeit kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. So gab es neben der Landwirtschaft (LPG „Charenza“ am 5. Dezember 1955 gegründet) auch ein modernes Betonwerk mit mehr als 100 Werktätigen. Die „LPG Charenza“ hatte 1974 83 Mitglieder und bildete 1969 die erste „KAP“ („Kooperativ Abteilung Pflanzenproduktion“) auf Rügen. Erinnert sei auch an die „PGH Auf- und Ausbau“ mit 44 Berufstätigen bereits 1974 und an das 1968 geschaffene Stadtambulatorium. Vor 1979 wurden außerdem eine Abteilung eines überregionalen Energiekombinates und eine Wasserwirtschafts-Direktion nach Garz mit entsprechenden Arbeitsplätzen verlegt. Auch daran sei erinnert.
Heute hat sich natürlich manches verändert. Seit 1991 wurde der Stadtkern, wie bereits erwähnt, im Rahmen der Städtebauförderung gründlich saniert. Dazu gehören nahezu alle Straßen, wie auch der Bau einer Kläranlage für die Stadt. 1993 errichtete die Deutsche Telekom AG in Garz eine Sendeanlage. Es ist ein 190 m hoher Stahlfachwerkmast, der dem UKW-Hörrundfunk und dem Fernseh-Rundfunk dient. Aber erst 1997 wurde in Garz eine Turnhalle gebaut – trotz der mehr als 100jährigen Tradition.
Zwischen 1990 und 2009 wechselten sich fünf Bürgermeister ab und gegenwärtig hat mit Frau Gitta Gohla erstmalig eine Frau das Zepter in der Hand. Erneut haben sich Garzer unter Herrn Werner Beug gefunden und 1992 einen „Heimatverein“ gebildet, der sich nicht nur der Frühzeit von Garz widmet (Ostsee-Zeitung am 12. Februar und 6. März 1993). 2009 hatte der Verein 110 Mitglieder. Seit 2008 ist Garz Mitglied des „Gesunde-Städte-Netzwerkes“ und schließt damit an die bereits in den 1920er Jahren gewünschte Prägung als „Luftkurort“ an.

Der 1000jährige Birnbaum auf dem Garzer Burgwall

Einer der markantesten Ansichts- bzw. Besichtigungspunkte ist der slawische Burgwall des 11. und 12. Jahrhunderts mit seiner Länge von 200 m und einer Breite von 140 m. Bereits im 14. und 15. Jahrhundert stand ein uralter wilder Birnbaum (Pirus communis) auf den Wällen des Burgwalles. Er wird 1402 erstmalig erwähnt. Erst nach 1945 vernichtete ihn ein Blitzschlag. Eine 200jährige Esche stand im Pfarrhaus-Garten – und hielt sich bis zum 20. Juni 1987. Nun zerbrach sie, wurde gerodet und durch einen Jung-Baum ersetzt.

Abb. 5. Garz. Innenfläche des seit 1954 unter Denkmalschutz stehenden Burgwalles. Aufnahme A. Leube 2012.

Abb. 5. Garz. Blick in das Innere des seit 1954 unter Denkmalschutz stehenden slawischen Burgwalles. Aufnahme: A. Leube, 2012.

Nach dem I. Weltkrieg wurde in der Nähe des Burgwalls ein mächtiges „Kriegerdenkmal“ errichtet, denn allein die Stadt Garz hatte 119 gefallene Soldaten.
In diesem denkmalgeschützten Burgwall des 9. bis 12. Jahrhundert fanden bereits 1928 archäologische Ausgrabungen statt, deren damalige Ergebnisse, wie die Vermutung, im Burgwall den im Jahre 1168 historisch bezeugten Ort „Charenza“ zu sehen, heute bestritten werden.
In den letzten Jahren fanden am und im Burgwall zahlreiche Erdarbeiten durch die Bevölkerung statt. Das ist sicher lobenswert, aber es sei erinnert, dass die Burganlage unter generellem Denkmalschutz steht und jegliche Erdeintiefungen genehmigungspflichtig sind. Dabei kann man u. a. auch Scherben von Schalen mit Innenfurchen finden. Sie wurden von Archäologen zum Typ der „Garzer Schale“ rekonstruiert – und dieser Gefäßtyp gilt im heutigen Garz als Symbol der Auszeichnung fleißiger Garzer Einwohner.

Weitere Stadt-Jubiläen

Einer der Anziehungspunkte der Stadt Garz ist das 1929 als „Rügensches Heimatmuseum“ eingerichtete Museum. Dieses Museum begeht also 2019 seinen 90. Geburtstag. Gründer und Initiator des Museums war der Lehrer und Kantor Ernst Wiedemann, dessen 60. Todestag wir 2018 begehen. 1937 erfolgte der heutige Museumsbau, der auch der Erinnerung an den unweit in Groß Schoritz geborenen Ernst Moritz Arndt (1769-1860) – in zwei Jahren ist sein 250. Geburtstag! – gewidmet ist. 2015 wurde ein neuer Erweiterungsbau eröffnet. Dazu erschien ein Urenkel von Ernst Moritz Arndt aus der Schweiz.
Nach Wiedemann waren es Wolfgang Rudolph, Herbert Hampel, Walter Schulz, Sylvia Knöpfel und nun Frau Katharina Venz-Weiße, die sich als Museumsverantwortliche um das Museum und das kulturelle Leben in Garz verdient machten und machen. Erinnert sei auch an den Garzer Ortschronisten Ernst Behrend.
Das Museum ging 1951 in „Volkseigentum“ über, wie auch zum 200. Geburtstag Arndts ein bronzenes Reliefbildnis des Dichters enthüllt wurde (vgl. Ostsee-Zeitung v. 12. und 22./23. Dezember 1979). Damals sang der Garzer Volkschor das Ernst-Busch-Lied „Gesang vom Lernen“: „Wir wollen das Schöne uns machen zu eigen und dienen dem Wahren mit ganzer Kraft!“. Dieser Chor erhielt unter seinem Dirigenten Ernst Pranke (1928-2013) 1969 als erster Chor Rügens den Titel „Hervorragendes Volkskunstkollektiv“.
Damals wurde auch viel „gedichtet“ und gereimt, wie das Gedicht „Abschied“ belegt:

„Uns‘ Lewen gliekt ‚ne Isenbahn
mit männige Statschon:
Man kümmt, stigt in, führt up’n Plahn
kümmt an un geht dorvon.

Hüt trefft man veele gaude Lüüd,
un morgen hundgemeen:
lütt hübsche Mäkens süht man hüt,
is morgens ganz alleen.

So geiht dat furt von Urt tau Urt,
bet dat uns‘ Reis‘ gedahn,
bet dat wi in den letzten Purt,
dei hüt, dei morgen gahn“.

Der Garzer Ernst Wiedemann (1883-1958, nicht wie in seinem Nachruf aufgeführt 1948) gab dem damaligen, Abb. 6. Ernst Wiedemann verstarb 1958von ihm herausgegeben „Rügenschen Heimat-Kalender“ mit auf den Weg:
„Möge er einen jeden von uns erfüllen mit Freude und Stolz auf unsere geliebte rügensche Heimat, auf ihre reich bewegte Geschichte und auf ihre einzigartige Schönheit!“
Die Garzer Geschichte gehört unbedingt dazu.

Abb. 6. Nachruf für Ernst Wiedemann – den Garzer Lehrer, Schulleiter, Kantor, Heimatforscher, Chordirigenten und Komponisten

Abb. 7. Burgwall Garz. Verfasser vor dem von ihm 1966 angebrachten Schutzschild unterhalb des Burgwalles. Das Schild ist heute eingewachsen.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Abb. 7. Burgwall Garz. Verfasser vor dem von ihm 1966 angebrachten Schutzschild des Burgwalles. Das Schild ist heute eingewachsen.

Germanen auf Rügen

Die archäologische „Gustower Kulturgruppe“

Verbunden mit den zahlreichen und umfangreichen Kies- und Sandentnahmen am Mühlenberg in den letzten 100 bis 150 Jahren sind die Zerstörungen menschlicher Friedhöfe seit der Bronzezeit bis in das frühe Mittelalter, d. h. aus einem Zeitraum von etwa 1400 vor Christi Geburt bis 1200 nach Christi Geburt, offenkundig. Die ersten wissenschaftlichen Ausgrabungen am „Mühlenberg“ von Gustow führte sogar die Tochter des damaligen Gutsbesitzers Stuth, Barbara Stuth, schon 1938 durch. Sie war zeitweise Assistentin am Museum der Stadt Stralsund (Stuth und Eggers 1941, 118 ff.; Kunkel 1940a, 307, Anm. 100).

Abb. 1. Warksow.

Abb. 1. Grabungsschnitt in Warksow. Grabung Dr. Dirk Röttinger, Schwerin, im Jahre 2010. Man erkennt im Boden dunkle Einfärbungen als Spuren menschlicher Besiedlung

Danach steht fest, dass auf dem „Mühlenberg“ eine in der Gemarkung Gustow ansässige germanische Bevölkerung des 1. bis 4./5. Jahrhunderts nach Christi Geburt einen Friedhof anlegte. Die Toten wurden – wie heute – unverbrannt wie auch verbrannt in Grabgruben beigesetzt. Sie erhielten in ihrer vielseitigen Totentracht silbernen und bronzenen Schmuck mit.

Diese Stuthschen Ausgrabungen fanden damals große Beachtung und der damalige Landesarchäologe Otto Kunkel schrieb: „Ein germanischer Friedhof bei Gustow auf Rügen ist bemerkenswert, weil sich die bisher dort angetroffenen 21 Gräber auf die IV./V./VI. Periode der Bronzezeit, die Früh- und die Spätlatènezeit, ferner auf das 2. und das 4./5. Jahrhundert unserer Zeitrechnung verteilen, auf eine in Pommern recht ungewöhnlich lange Spanne also; ob jedoch von einer wirklichen Siedlungskontinuität an diesem Platze die Rede sein darf, wird erst eine Restuntersuchung des Geländes dartun können“ (Kunkel 1940a, 306 f.). Diese fand nicht statt. 1939 brach der II. Weltkrieg aus.

Spätere archäologische Ausgrabungen der 1950er und 1960er Jahre machten den Ort jedoch bedeutsam. So spricht man nach der Erforschung dieser reichhaltig ausgestatteten Gräber in internationalen Fachkreisen sogar von einer „Gustower Kulturgruppe“, die für die germanische Bevölkerung des 1. und 2. Jahrhunderts im westlichen Ostseegebiet typisch ist.  Leider sind viele dieser kulturgeschichtlich bedeutsamen Gräber durch Unvernunft und Gleichgültigkeit der hier tätigen Arbeiter vernichtet worden.

Abb. 2. Gustow - die Sieben Berge.

Abb. 2. Gustow – die „Sieben Berge“. Spätestens 2011 angepflügtes Hügelgrab der Bronzezeit. Aufn.: A. Leube. 2011. Von den einstigen sieben Hügelgräbern sind noch zwei erhalten!!

Man wünscht sich, dass die heutige aufgeklärte Zeit über ein offenes Ohr und ein wachsames Auge verfügt, um erneute Zerstörungen – zum Beispiel beim Kiesabbau am Weg nach Warksow – zu verhindern und sofort Meldung an die Baustellenleitung oder die Denkmalpflege des Kreises Vorpommern-Rügen  (Denkmalpfleger Dr. M. Sommer-Scheffler) zu erstattet.

Einen zeitgleichen Bestattungsplatz hat vor wenigen Jahren der Prähistoriker Hirsch in Rothenkirchen (Fundplatz 11) entdeckt (Zeitschrift: „Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern Nr. 54, 2006 (2007), Abb. 43, 213). Auch dieser Bestattungsplatz gehört in das 2. Jahrhundert nach Christi. Die auf dem Scheiterhaufen verbrannten Toten wurden mit allen Brandresten in sogenannten Brandgruben beigesetzt. In Rothenkirchen waren es silberne Fibeln, eine Gürtelgarnitur, ein Spinnwirtel und ein Dreilagenkamm.

Inzwischen wurden beim Bau der Chaussee B 96 n auch aus jener Zeit stammende Siedlungsplätze archäologisch untersucht, so in Drammendorf (Fundplatz 6). Es war ein dreischiffiges Wohnstallhaus von 21,5m x 5,5 m Größe, das ONO- bzw. WSW orientiert war (u. a. Zeitschrift: „Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern Nr. 54, 2006 (2007), S. 207). Dazu gehörten zwei Getreidespeicher, die auf gestelzten Pfählen errichtet waren. Auch in Götemitz wurden diese Häuser gefunden. Es waren zwei dreischiffige Hallenhäuser von 20 bzw. 25 m Länge und 7 m Breite. Letztere Siedlung scheint noch zu Beginn des 5. Jahrhunderts bestanden zu haben.

Die Grabungen an der Kiesgrube 1938

Die Gräber 1 bis 4, die 1938 durch Barbara Stuth ausgegraben wurden, befanden sich in Höhe der alten Schmiede (heute Verkaufsstelle des sozialen „Insel e. V. – Vereins Kransdorf“) in der Sandgrube. Zu dieser Zeit scheint die Sandentnahme noch mit der Hand und einiger Sorgfalt vorgenommen worden zu sein.

Abb. 3. Gustow-Mühlenberg. Grab 1-1938. Mus. Stralsund.

Abb. 3. Gustow-Mühlenberg. Grab 1/1938. Museum Stralsund (nach Herfert und Leube 1967, S. 222, Abb. 148)

Das älteste germanische Grab wurde mit den weiteren Gräbern am 17. Juni 1938 geborgen (Grab 1/1938). Leider hat sich nur das mit einzelnen Strichen verzierte Urnenunterteil erhalten (d). In diesem lagen zwei drahtförmige sogenannte geschweifte Fibeln (a, b) als eine Art von Gewandbroschen, ein sichelförmiges deformiertes Eisenmesser (c). Der Griff läuft in einen Ring zur Befestigung an einem Gürtel aus. Ein Quarzstein mit quadratischem Querschnitt, geglätteten Seiten und leichten Klopfspuren hat sich nicht mehr auffinden lassen. Er diente sicher zur Feuererzeugung.

Offenbar in geringer Entfernung wurden von den Arbeitern drei weitere Urnengräber freigelegt und gelangten zerscherbt in das Kulturhistorische Museum Stralsund (Herfert und Leube 1967, 222 ff., Abb.149 f.). Es handelt sich um engmündige Töpfe von 29 bis 35 cm Höhe. Die Töpfe der Gräber 2/1938 (a) und 3/1938 (b) besitzen einen Winkelrand und sind unverziert. Dem Urnengrab 3/1938 hatte man einen flach-doppelkonischen Spinnwirtel aus grauweißem Sandstein (c) mitgegeben.

Abb. 4. Gustow-Mühlenberg. Grab 2 und 3 des Jahres 1938. Museum Stralsund.

Abb. 4. Gustow-Mühlenberg. Grab 2 und 3 des Jahres 1938. Museum Stralsund (nach Herfert und Leube 1967, S. 222, Abb. 148)

 

Das Brandgrab 4/1938 bestand aus einem fast 30 cm hohen, schwarzen Topf, der groben Leichenbrand enthielt und auch noch vollständig erhalten war. Er besaß ein waagerechtes Ziermuster aus Diagonalen, eingeschachtelten Quadraten und Tannenzweig-Motiven. Davon gehen – wie bei Grab 1/1938 – in unterschiedlichen Abständen je zwei Rillen zur Fußplatte. Dieses Muster ist recht selten auf Gefäßen angebracht, hat aber seine zeitgleichen Parallelen im heutigen Pomorze, wie auch auf den dänischen Inseln.

Abb. 5. Gustow-Mühlenberg. Grab 4  1938. Mus. Stralsund nach Herfert und Leube 1967,  S. 224, Abb. 150

Abb. 5. Gustow-Mühlenberg. Grab 4 des Jahres 1938. Museum Stralsund (nach Herfert und Leube 1967, S. 224, Abb. 150)

Etwa 100 m weiter östlich – im Bereich des heutigen Sport- und Festplatzes am „Mühlenberg“ – wurden zwischen 1956 und 1960 mindestens fünf Brandgräber freigelegt. Ihre Kenntnis ist dem nach Gustow verzogenen Stralsunder Schulrat a. D. Jarczembowski und dem Arbeiter G. Seifke, Stralsund, zu verdanken (Berlekamp 1961, 77, 78, Abb. 42; Herfert und Leube 1967, 225 ff.). Es wurden sowohl Brand- als auch Körpergräber freigelegt, leider ohne genaue Beobachtung.

Vom Körpergrab 1/1956 war der Schädel erhalten, der Patinaspuren einer Haarnadel aufwies. Außerdem fand man im Sommer 1959 zwei beschädigte Bronzefibeln (Berlekamp 1961, 77). Dieses Grab ist mehrere Generationen jünger und in die Zeit um 100 n. Chr. zu datieren.

Abb. 6. Gustow-Mühlenberg. Bronzene Fibeln des Grabes 1 des Jahres 1956. Mus. Stralsund.

Abb. 6. Gustow-Mühlenberg. Beigaben des Grabes 1 des Jahres 1956. Museum Stralsund (nach Herfert und Leube 1967, S. 225, Abb. 151)

In jüngster Zeit wurden germanische Bestattungen des 1. und 2. Jahrhunderts im benachbarten Poseritz gleichfalls in einer Kiesgrube entdeckt (Fundplatz 8), wie auch in Klein Bandelvitz Siedlungsspuren der Germanen festgestellt wurden. So barg der Denkmalpfleger D. Kottke „eine kleine bronzene Kopfkammfibel“ von 2,1 cm Länge und verwitterter Verzierung auf der Kopfplatte (Zeitschrift „Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern, Band 61, 2013 (2015), 275, Abb. 57).

Zu den jüngsten Funden unseres Gebietes gehört das Bruchstück einer der seltenen „Bügelknopffibeln“ des 5. Jahrhunderts. Sie wurde durch Herrn Hanitzsch, Rothenkirchen, nach dem Pflügen gefunden (Fundplatz 7). Andere in Mecklenburg-Vorpommern geborgene archäologische Funde deuten an, dass germanische Bevölkerungsreste noch bis zur Mitte des 6. Jahrhunderts n. Chr. hier lebten (Leube 1995, 3 ff.).

Abb. 7. Rothenkirchen. Jahrb. 44, 1996 (1997), 484, Abb. 82 in Farbe

Abb. 7. Rothenkirchen. Bruchstück einer germanischen „Bügelknopffibel“ des 5. Jahrhunderts (Zeitschrift „Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern 44, 1996 /1997, S. 483 f., Abb. 82Die Menschen jener germanischen Zeit

 

Den Menschenschädel des Grabes im Jahre 1956 konnte der Berliner Anthropologe Prof. Hans Grimm wissenschaftlich untersuchen. Der Schädel stammte aus einer Körperbestattung, an dessen Hinterhaupt eine mit einer bronzenen Nadel befestigte Haarfrisur oder Kopfschleiertracht befestigt wurde. Diese Nadel hatte das gesamte Hinterhaupt grün verfärbt. Nach Hans Grimm war die beigesetzte Person ein Mann oder eine kräftigere Person von jugendlichem Alter.

Abb. 8. Gustow. Körpergrab. 1966

Abb. 8. Gustow-Mühlenberg. Menschliches Skelett im Jahre 1966 durch Dipl. Phil. P. Herfert und Dr. A. Leube freigelegt. Mus. Stralsund

Die Vorderansicht zeigt einen sehr schmalen Schädel ohne Überaugenbögen, geringen Stirnhöckern und quadratischem Umriss der Augenhöhlen. Auffallend war die deutlich geneigte Stirn, die zur Oberstirn mit einem Knick umbog, und dann steil aufstieg. Alle Nähte waren noch recht deutlich und zum Teil reich gewunden.

Abb. 9. Rekonstruktion eines germanischen Kopfes.Titelblatt Band 1 1988

Abb. 9. Rekonstruktion eines Kopfes eines Germanen durch den Anthropologen Dr. Herbert Ullrich (nach Die Germanen, Band 1, 1988, Titelblatt)

 

Bemerkenswert waren ferner ein ausladendes Hinterhaupt, gering ausgebildete Nasenwurzeln,  eine schwache Prognathie des Kiefers sowie ein kräftiges Positivkinn. Das Nackenmuskelfeld war deutlich ausgeprägt. Die Zähne waren nur noch gering erhalten. Sie zeigten einen erheblichen Zahnsteinansatz und eine starke Abkauung.

Ein ähnlicher etwas gröberer Schädel stammte aus einem Grab von Unrow, der aber eher einer Frau als einem Mann zugeordnet wurde und älter als der Gustower Mensch war. Hier waren die Überaugenbögen medial mäßig ausgebildet und der Umriss der Augenhöhlen breit-ellipsoid, jedoch stark nach außen fallend. Dazu kamen mäßig derbe Wangenbeine und ein breiterer Schädelumriss. Die Stirn war nur leicht schräg mit einem bogigen Verlauf der Oberstirn. Das Hinterhaupt war nur schwach ausladend. Die Nasenwurzel war leicht eingesattelt, die Nasenbeine schwach konkav. Leider fehlten die Zähne bis auf den Eckzahn und den ersten Prämolaren.

Wegen dieser geringen und zugleich heterogenen Knochenmaterialien sah sich der Anthropologe Hans Grimm nicht in der Lage, eine Beurteilung zum Geschlecht und zum Alter des oder der Verstorbenen zu geben.  

Germanen auf Rügen und die archäologische Gustower Kulturgruppe

Das Thema „Germanen“ hat bis in die heutige Zeit seine Faszination nicht verloren. Dennoch muss man sich gewahr sein, dass gesicherte Quellen und schriftliche Angaben aus jener Zeit – also vor mehr als 2000 Jahren – dünn gesät und widersprüchlich sind.

Charakteristisch bereits für jene Zeit menschlicher Besiedlung Rügens, aus der wir keine schriftlichen Urkunden und Bericht haben, ist ihre Heterogenität, d. h. die Vielseitigkeit in der Aufnahme unterschiedlichster Kultureinflüsse. Der Ort Gustow mit seinem Gräberfeld am „Mühlenberg“ ist nun namengebend für die menschliche Kultur im Zeitraum des 1. und 2. Jahrhunderts zwischen  der Warnow-Mündung bis zur Rega (Kolberg) im Osten.

Abb. 10. Karte der archäologischen Fundplätze, auf denen Fundgut aus Skandinaviene

Abb. 10. Karte der archäologischen Fundplätze, auf denen Fundgut aus Skandinavien – also Dänemark und Schweden – geboren wurde. Stand vor 1975 (nach Leube 1975). 1 Grabfund des 1. – 2. Jahrhunderts n. Chr.; 2 Siedlungsplatz des 1.- 2. Jahrhunderts n. Chr.; 3 Grabfund des 3. – 4. Jahrhunderts n. Chr.; 2 Siedlungsplatz des 3.- 4. Jahrhunderts n. Chr. Nr. 12 markiert das Gräberfeld Gustow

Man hatte offenbar enge Beziehungen zu den dänischen Inseln wie auch zu Jütland.

Thingstätten auf Rügen

Besonders politisch-verhängnisvolle und historisch falsche Aussagen stammen aus den Jahren 1934 bis 1945. So überlegte die NSDAP-Kreisführung auf Rügen eine zentrale „Thingstätte“ – wie überall zu Beginn des NS-Regimes in Deutschland diese Bestrebungen existierten – einzurichten. Damit wollte man eine Scheindemokratie vortäuschen, an der nur die „wehrhaften Männer“ Anteil haben sollten, und zwar „in bewusster Anlehnung an den Brauch unserer Vorfahren“ (Stettiner General-Anzeiger v. 26. 1. 1934). Derartige „Thingstätten“ sollten der neue „Mittelpunkt germanisch-völkischer Erneuerung in der Zukunft“ werden. Für Rügen stand nun die Frage – aber wo?

Abb. 11.  Bergen-Rugard. Freilichtbühne, einst als Thingstätte missbraucht. Abholzung Ostern 2015.

Abb. 11. Bergen-Rugard. Freilichtbühne, einst als Thingstätte missbraucht. Abholzung Ostern 2015

Es gab für Rügen verschiedene Vorschläge, wie die „Burg Arkona“ und Stubbenkammer mit der Hertha-Burg als „ehrwürdiges Gebiet germanischer Kultstätten“. Offenbar bezog man den damaligen Putbusser Lehrer Dr. Wilhelm Petzsch als besten Kenner der rügenschen Vorgeschichte in die Überlegungen mit ein.

Petzsch schlug daher den Burgwall „Schlossberg“ in der Nähe der Oberförsterei Werder vor, da „dessen wendische Herkunft fraglich ist“. Außerdem lag hier ein gewaltiger Findling mit näpfchenartigen Vertiefungen: „Wahrscheinlich dienten Steine dieser Art den Germanen zu kultischen Zwecken“, so die damalige NS-Presse (Stettiner General-Anzeiger v. 26. 1. 1934). Wenn Petzsch sich auch nur sehr vorsichtig äußerte und klärende Grabungen empfahl, folgerte man dennoch im nationalsozialistischen Sinne: „Auf diesem Schlossberg also, den Trümmern einer uralten, verlassenen Germanenburg, der einzigen, die Rügen sein eigen nennt, müßte der Ort sein, an dem sich die Bewohner Rügens immer wieder ihrer Verbundenheit mit ihren Vätern und mit dem jüngst aus langem Schlaf erwachten Deutschland erinnern“ (Stettiner General-Anzeiger v. 26. 1. 1934). Zeitgleich  glaubten Laienforscher auf dem „Schlossberg“ das Heiligtum der Göttin Hertha zu lokalisieren (General-Anzeiger v. 20. 3. 1934).

Der Oberschullehrer Dr. Herbert Schmidt (aktives NSDAP-Mitglied), Bergen, versuchte im Jahre 1934 sogar „die älteste rügensche Thingstätte“ auf dem Nordpeerd in Göhren zu lokalisieren (H. Schmidt 1934). Er stützte sich auf den 1834 hier erwähnten Flurnamen „Hühnerholz“ und eine eigenartige Deutung des Heimatforschers Alfred Haas. Haas hatte schon 1919 die Flurnamen „Hühner, Hünnen und Hunnen“ auf germanische Begriffe zurückgeführt (Haas 1919, 98 ff.). So verband er diese Begriffe mit der erst seit dem 6. Jahrhundert n. Chr. im süddeutschen Raum überlieferten germanischen Organisationsform der „Hund- bzw. „Hundertschaft“. Zu dieser Zeit gab es auf Rügen jedoch keine germanische Besiedlung und so ist es reine Spekulation, in Göhren eine Thingstätte zu lokalisieren, ja, Herbert Schmidt, stellte selbst fest: „Man muß selbstverständlich an solche Kombinationen mit höchster Vorsicht herangehen“.

Die Idee, eine „Thingstätte“ im Mittelpunkt der Insel, in der Kreisstadt Bergen auf dem Rugard, zu errichten, wurde zunächst verworfen. Die hier gelegene slawische Burg sei z. B. nicht die älteste auf Rügen.

Der Prähistoriker Otto Kunkel in Stettin

Herbert Schmidt stand damit in nächster Nähe zum pommerschen Prähistoriker Otto Kunkel, Stettin. Zunächst behauptete dieser für eine breite Öffentlichkeit in der „Pommerschen Zeitung“ des Jahres 1938, Auswanderer aus Bornholm, das er als ein einstiges „Burgundarholm“ bezeichnete, wären in die pommerschen Gebiete eingewandert (Pommersche Zeitung v. 12. 6. 1938). Von hier aus „rüsteten sie zum Aufbruch in das überfremdete und zivilisatorisch vermorschte Imperium des Südens“, wie er die römischen Provinzen an Rhein und Donau bezeichnete. So behauptete er: „Die Ahnen eines Odowakar und seiner Mannen wurzelten in unserem Gau (Pommern)“.

Alle diese antiken Berichte sind sehr vage und widersprüchlich. Bereits 1940 formulierte der pommersche Landesarchäologe Otto Kunkel diese Problematik (im Widerspruch zu seinen obigen Thesen!): „Man bedenke auch, daß die Germanen einer eignen Volksbezeichnung ermangelten und daß ihr von fremder Zunge geformter Name nur selten für die Gesamtheit aller Stämme, Verbände und Völkerschaften angewandt wurde“ (Kunkel 1940a, 337).

Rügen und die Rugier

Aus der Namensgleichheit zwischen „Rügen“ und Rugiern“ ist besonders in der heimatgeschichtlichen Literatur eines Carl Gustav von Platen der Stamm der Rugii herangezogen worden (v. Platen 1936, 316 ff.; dagegen Kunkel 1940b, 191 ff.). Besondere Bedeutung erreichten damals die Aufsätze „Vorpommern und Rügen in germanischer Frühgeschichte und Heldensage“ des Bergener Studiendirektors Dr. Baetke (1931, 1 ff.) und „Rügen und die Rugier“ des späteren Greifswalder Universitätsprofessors Wilhelm Petzsch (1931, 170 ff.).

Abb. 12.  Wilhelm Petzsch.

Abb. 12. Wilhelm Petzsch (1892-1938). Der bedeutende Prähistoriker der 1920er und 1930er Jahre auf Rügen und in Vorpommern

Beide sprachen sich für die Anwesenheit der Rugier in den ersten Jahrhunderten nach Chr. aus – und irrten beide, d. h. ihre Aufsätze und ihre Thesen sind hinfällig! Ihre beiden Aufsätze sind gefüllt mit falschen Behauptungen, fehlenden historischen und archäologischen Fakten und methodischen Missdeutungen.

Der Glaube, dass man aus dem archäologischen oder anthropologischen Fundgut auf die Existenz von germanischen Stämmen schließen kann, hat sich heute als ein gewaltiger Irrtum erwiesen. Ja selbst die Präsenz der großen Bevölkerungsgruppe der Germanen bereits um Christi Geburt im östlichen Ostseeraum ist umstritten. Dazu gibt es keine schriftlichen Quellen. Selbst die germanische Sprache war z. B. in dieser Zeit noch nicht ausgeprägt.

Der Nerthus- oder Hertha-Kult

Der römische Historiker Tacitus hatte im Jahre 98 n. Chr. ein Buch „Germania“ geschrieben und ging darin im cap. 40,2 auf sieben Stämme ein, die gemeinsam eine Muttergottheit verehrten, die er mit der römischen Terra mater verglich. Hier die deutsche Übersetzung:

„Dann folgen die Reudingner, Avionen, Anglier, Variner, Eudosen, Suardonen und Nuitonen. Im einzelnen gibt es bei ihnen nichts Bemerkenswertes, außer dass sie gemeinsam Hertha, d. h. die Mutter Erde, verehren und glauben, daß sie in die Angelegenheiten der Menschen eingreift und ihre Stämme in einem Wagen besucht“. Als Raum nannte er die „cimbrische“ Halbinsel – das ist aber eher Jütland als Rügen.

Die heute übliche Darstellung der Reiseführer am slawischen Burgwall und Burgwall-See, am Hertha-See, bei Stubbenkammer dieses Stammesheiligtum zu sehen, ist entsprechend falsch – wird aber wohl unverdrossen weiter gegeben.

Die Tracht der Gustower Germanen

Sie erhielten in ihrer vielseitigen Totentracht silbernen und bronzenen Schmuck mit – unvergleichlich mit der heutigen Zeit. Erhalten haben sich allerdings nur die metallenen Teile des Körperschmucks. Bei Toten, die unverbrannt beigesetzt worden waren, konnte der Schmuck recht genau am Körper fixiert und eine Tracht rekonstruiert werden.

Abb. 13. Warksow. Gräbergruppe des 2. Jahrhunderts

Abb. 13. Warksow. 1964 bis 1966 wurden auf der Gustow benachbarten Gemarkung Warksow – gleichfalls auf dem „Mühlenberg“ weiter germanische Körpergräber des 2. Jahrhunderts nach Christus ausgegraben (Herfert und Leube 1967)

Danach trug der Mann einen Gürtel mit metallener Schnalle sowie einen Umhang, der an der Schulter durch eine Gewandspange (sogenannte Fibel) gehalten wurde.

Abb. 14. Germanische Männertracht nach Die Germanen, Band 1, 1988, S. 341, Abb. 83

Abb. 14. Zur Oberkleidung des Germanen gehörte der Mantel aus einem viereckigen Wolltuch, das an der rechten Schulter mit einer Fibel zusammengesteckt wurde (nach Die Germanen, ein Handbuch, Band 1, 1988, S. 341, Abb. 83)

Die Frauentracht war variantenreicher. Meist trug die Frau ein langes Kleid, das an den Schultern durch je eine metallene Gewandspange gehalten wurde.

Abb. 15. Germanische Frauentracht Band 1 S. 388, Abb. 79

Abb. 15. Zwei Germaninnen mit einem langen peplosartigem Kleid, das auf der Schulter durch zwei Fibeln zusammen gehalten wurde (nach Die Germanen, ein Handbuch, Band 1, 1988, S. 338, Abb. 79

Dazu kam eine Halskette und – wie in Gustow – eine Haar- oder Hauben-Tracht, die mit einer langen Nadel gehalten wurde.

Abb. 16. Haartracht des Mannes Band 1 S. 344, Abb. 87

Abb. 16. Die Haartracht des „freien“ Mannes bestand auch in einer speziellen Knotenbindung des langen Haares über der rechten Schläfe (nach Die Germanen, ein Handbuch, Band 1, 1988, S. 341, Abb. 83)

Mit dieser Tracht schloss sich die Bevölkerung Rügens jener auf den dänischen Inseln an, wo ein analoges Bild herrschte. Gemeinsam ist auch beiden, dass bei den Frauen im 1. Jahrhundert n. Chr. noch eine einfache, nahezu schmuckarme Tracht dominierte, die dann im 2. Jahrhundert durch „Beigabenreichtum“ an Aussehen gewann. Dagegen blieb die Tracht der Männer im 1. und 2. Jahrhundert nahezu gleich.

Abb. 17.  Gustow. Stilleben am Rande des Mühlenberges

Abb. 17. Gustow. Am Rande des Mühlenberges. Foto A. Leube 2015

Heute ist von der Sand- und Kiesgrube kaum etwas zu erkennen. Die nach dem Sand- und Kiesabbau entstandenen Freiflächen dienen der Dorfbevölkerung als Fest- oder Sportwiesen.

Auch keine Tafel erinnert daran, dass ein Gräberfeld bestand, dessen kulturgeschichtliches Inventar den Namen Gustow in die weite wissenschaftliche Welt trug. Die im Kiesgrubenbetrieb geborgenen und hübsch drapierten Findlinge sind die letzten Zeugen einer vergangenen Zeit.

Literatur:

Baetke, W. 1931: Vorpommern und Rügen in germanische Frühgeschichte und Heldensage. In: Baltische Studien N. F. 33, 1ff.

Berlekamp, H. 1959: Neue Körpergräber der älteren Kaiserzeit aus dem Stralsunder Gebiet. In: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg, Jahrbuch 1959, 77-87.

Haas, A. 1919: Hühner, Hünnen, Hunnen in pommerschen Ortsnamen. In: Quickborn, Hamburg, 12. Jahrgang Nr. 4, 98-104.

Herfert, P. und Leube, A. 1967: Der Bestattungsplatz von Gustow, Kreis Rügen. In: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg, Jahrbuch 1966 (1967), 221-256.

Kunkel, O. 1940a: Urgeschichte, Volkskunde Landesgeschichte und Stadtkultur, kirchliche Kunst (Mitteilungen aus dem Pommerschen Landesmuseum). In: Baltische Studien N. F. 42, 1940, 274 ff.

Kunkel, O. 1940b: Rugi, Liothida, Rani. In: Nachrichtenblatt für Deutsche Vorzeit 16, 191-198.

Leube, A. 1975: Skandinavische Beziehungen im Gebiet zwischen Wismarer Bucht und Usedom während der römischen Kaiserzeit. In: Zeitschrift für Archäologie 9, 235-250.

Petzsch, W. 1931: Rügen und die Rugier. In: Monatsblätter der Gesellschaft für pommersche Geschichte und Altertumskunde 45, 170-172.

von Platen, C. G. 1936: Die nordischen Rugier. In: Die Sonne. Monatsschrift für Rasse, Glauben und Volkstum 13, 316-323.

Schmidt, H. 1934: Die älteste rügensche Thingstätte. In: Pommersche Blätter für die Schule. Wochenschrift des NSLB Gau Pommern v. 18. 12. 1934.

Stuth, B. und Eggers, H. J. 1940: Das germanische Gräberfeld von Gustow auf Rügen. In: Pommersche Jahrbücher 34, 118 ff.

Ein Mord vor 500 Jahren – aus der Geschichte Gustows und Rügens


Zur Geschichte des Ortes Gustow

2014 hat das 1314 erstmals erwähnte Gustow den 700jährigen Tag dieser Nennung begangen. Es kann nicht nur auf dieses tragische Ereignis zurückblicken. Wegen seiner strategischen Lage an einer alten Landstraße und an der Wamper und Gustower Wiek wurde es mehrfach durch Kriege und Plünderungen „heimgesucht“. Im Jahre 1678 war es der Krieg zwischen den Dänen und Brandenburgern gegen die Schweden, der hier zu einer Schlacht auf den Feldern zwischen Gustow und Warksow und zur Zerstörung des einstigen Bauerndorfes und seiner Kirche führte. Größere Bedeutung erreichten der Ort und seine Kirchgemeinde unter dem Pfarrer Karl Emanuel Christian Piper (1752-1831). Piper hatte Kontakte zu allen bedeutenden Persönlichkeiten Rügens, wohl auch zu Ernst Moritz Arndt. Piper legte einmalig für Rügen noch vor 1800 den Grundstein für ein solides Schulwesen in Gustow, wie er auch 1790 eine Hebammenstelle einrichtete.

Aus jüngerer Zeit ist Gustow durch seine Landwirtschaftliche Genossenschaft (LPG) „7. Oktober“ bekannt, die unter ihren Vorsitzenden Hans Lenz, Helmut Kircher und Egon Bauer einem auf Tierhaltung und Tierzucht orientierten umfangreichen Agrarbetrieb aufbauten, der 1989 beachtliche 358 Mitarbeiter hatte. Die häufig prämierte Genossenschaft besaß außerdem eine durch Klaus Perk geleitete ertragreiche Gärtnerei, in der seinerzeit 60 Personen Arbeit fanden. Daraus entwickelte sich nach 1990 u. a. eine „Agrargesellschaft GmbH“ Gustow mit allerdings nur noch etwa 50 Arbeitskräften im Jahre 1999. Mehrfach errang der Ort seit 1987 den Titel „Schönes Dorf“ und zeichnet sich auch gegenwärtig unter Bürgermeister Peter Geißler durch eine gepflegte Ortsstruktur aus.

Abb. 1. Die Kalkstein-Stele (Mordwange) auf dem Friedhof von Gustow. Aufnahme: A. Leube, August 2011

 

Die als „touristische Nebenstrecke“ bezeichnete und schon stark in ihrem Baumbestand gelichtete „Deutsche Alleenstraße“ von Stralsund nach Garz und Putbus führt nach etwa 6 km hinter Stralsund durch den kleinen Ort Gustow.

Einem aufmerksamen Reisenden gibt dabei eine senkrecht stehende Kalksteinplatte von etwa 2,6 m Höhe und 0, 6m Breite auf dem Friedhof an der Kirche Anlass zum Nachdenken.

Bereits um 1800 wurde vermerkt, dass sich „außerhalb des Friedhofes“ auf der Nordostseite an der Alleenstraße ein großer Sühnestein befand (Auszüge aus der Gustower Kirchenchronik des Pastors K. E. C. Piper /Aktenordner / Ortsakten Rügen / KHM Stralsund).

Abb. 2. Gustow. Mordwange. Aufnahme - A. Leube, Mai 2010

Abb. 2. Gustow. Mordwange aus Kalkstein. Aufnahme: A. Leube 2013

 

Es ist jene aus schwedischem Kalkstein gefertigte Mordwange von 2, 7 m Höhe, 0, 17 m Stärke und 0, 61 m Breite und oben 0, 85 m Breite  aus dem Jahre 1510 (vgl. Haselberg 1897, 298; Haas 1938). Ohle und Baier (1963, 260) nennen irrtümlich Granit. Eine weitere ähnliche Mordwange steht in Schaprode. Es gibt also zwei derartiger Gedenksteine auf Rügen.

Der auf dem Friedhof in Gustow erhaltene Sühnestein des Jahres 1510 gehört zu einer Gruppe von Kunstdenkmälern, die frühestens in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts errichtet wurden und heute unter strengem Denkmalschutz stehen (z. B. Saal 1971, 147 ff.; Neuber 1988 mit Literatur). Im Osten Deutschlands hat sich eine große Zahl dieser steinernen Denkmäler erhalten, so allein 367 in Sachsen, in Thüringen über 500, in der Niederlausitz 70, im übrigen Brandenburg nur acht. In Mecklenburg-Vorpommern sind es sieben Sühnesteine in Kreuzform und ein gutes Dutzend als Mordwange (nach Saal 1971, 147 mit Literatur) erhalten.

Die Kirche zu Gustow

Gustow ist eine eigenständige Kirchengemeinde gewesen und gehörte zwischen 1648 und 1815 zum schwedischen Königsreich: „Schweden hat zunächst in kirchlicher Hinsicht in dem übernommenen Rügen keine wesentlichen Änderungen eintreten lassen“ (Wiedemann 1934, 83).

Abb. 2. Gustow. Blick auf Kirche und Friedhof. Die Steinsäulen markieren die einstige Grabstätte der Familie von Bagewitz, Drigge. Aufnahme A. leube 2011

Abb. 3. Gustow. Blick auf Kirche und Friedhof. Die Steinsäulen markieren die einstige Grabstätte der Familie von Bagewitz, Drigge. Aufnahme A. Leube 2011.

 

1663 wurde eine allgemeine Kirchenvisitation durch die Kirchenpatrone angeordnet und nur allmählich wegen der folgenden Kriege vorgenommen. 1806 entstanden anstelle der bisherigen vier Präposituren nun zwei Propsteien in Bergen und Garz, wobei Gustow zu Garz gehörte (Wiedemann 1934, 91). Parallel dazu entstanden in Vorpommern vier Kirchen-Ämter mit eigenem Kirchensiegel: die aufgeschlagene Bibel, umschlossen auf einer Seite von einer fruchttragenden Rebe, auf der anderen Seite von einer Garbe. Dieses Siegel ist noch heute in Gebrauch.

Was hat es mit der Mordwange auf sich?

Bei näherer und genauer Betrachtung – die Kalksteinplatte ist dem sauren Regen und damit der Verwitterung seit fünf Jahrhunderten ausgesetzt – erkennt man auf der Vorderseite die Darstellung eines knienden Menschen mit einem Schwert auf dem Kopf.

Abb. 4. Gustow. Mordwange. Detail mit Darstellung des Schwertes und des Getöteten. Aufnahme – A. Leube 2010

 

Die Kunsthistoriker Ohle und Baier gaben 1963 folgende Beschreibung: „Auf der Vorderseite in Umrisslinien eingemeißelt: Kruzifix mit zwei Engeln, davor ein kniender Mann mit einem Schwert auf dem Kopf, daneben ein Kelch und Wappen mit Hausmarke. Der obere Teil des Steines ist scheibenförmig mit sieben angefügten Rosetten, die Rückseite unbearbeitet, die Oberfläche stark verwittert“.

Haas (1938b) schrieb dazu: „Auf der Vorderseite ist der Gekreuzigte eingemeißelt, dessen Lendentuch von 2 Engeln gehalten wird. Links daneben kniet die Gestalt eines Geistlichen, der die Hände zum Gebet erhoben hat; in seinem Haupt steckt das todbringende Schwert. Zur Rechten ist ein Wappen mit einer Hausmarke und ein Kelch dargestellt.

Abb. 5. Gustow. Mordwange. Darstellung des Kelches. Aufnahme – A. Leube 2010

Darunter befindet sich die achtzeilige Inschrift in gotischen Minuskeln, die also lauten: „Na der bort Xsti m cccc vnde x des  do(n)redag(es) in d(e) quatte (m) per vor sv(n)te michaele ys geslage(n) h(er) thomes norenberch karckh(ere) to gustow weset, dem(e) got gnedich sy.“

Haas (1938b) fährt fort: Daraus ergibt sich als Datum des Totschlages der 19. September 1510. Oben am Kreuz befindet sich ein Spruchband mit den Buchstaben „I n r i“ (Jesus Nazarenus, rex Judaeorum) und aus dem Munde des Geistlichen kommt ein Spruchband mit den Buchstaben: „O dm o m m, d. i. domine misere mei! – Herr erbarme dich meiner!“.

Haas hatte auch aus dem Gustower Kirchenbuch Erklärungen gefunden: „ Einige (drei) Bauern, die aus Stralsund stark bezecht zurückkehrten, gerieten in Streit und der Streit artete in Tätlichkeiten aus. Als nun der damalige Pastor Thomas Nörenberg den Streit zu schlichten suchte, wurde er von den sinnlos betrunkenen Bauern niedergestochen, daß er tot liegen blieb. Die Mörder mußten zur Strafe für ihre Untat einen kirchlichen Bau ausführen und zur Sühne für den Ermordeten den Stein aufrichten lassen“ (vgl. Heyden 1957b, 177, Anm. 4).

Die genauen Hintergründe dieses Totschlages sind dennoch nicht bekannt. Man erinnert sich aber an den 100 Jahre älteren „Pfaffentumult zu Stralsund“: 1407 wurden in Stralsund drei katholische Pfarrer auf dem Neuen Markt – heute ist hier ein kleiner Gedenkstein im Pflaster eingelassen – lebendig verbrannt. Hintergrund war damals die unsichere finanzielle Situation der Geistlichkeit und ihre eigenartigen Methoden der „Geldgewinnung“ zum Lebenserhalt. Der Mord von Gustow erfolgte jedoch 100 Jahre später und geschah am Vorabend der Reformation des Jahres 1535, die in Stralsund 1523 einsetzte. So können sich in Gustow „ideologische“ Streitigkeiten, aber auch ein Zerwürfnis um den Kirchenzehnt u. ä. Abgaben zwischen dem katholischen Pfarrer und der Dorfbevölkerung dahinter verbergen.

Letztendlich ist aber dieser Gedenkstein – eine so genannte „Mordwange“ – ein deutlicher Beleg für die damaligen „rauhen Sitten“ auf Rügen. Der rügensche Historiker Professor Dr. Alfred Haas (1860-1950) hat für den Zeitraum zwischen 1312 und 1417 allein 28 urkundlich nachgewiesene Mordtaten auf Rügen zusammengestellt.

So ist es auch verständlich, wenn der pommersche Chronist Thomas Kantzow (1898, 254) in der Mitte des 16. Jahrhunderts schrieb: „Es seint die Einwohner diesses Landes sehr ein mordisch und zenckisch Folck, das es eben an inen schyr wahr ist, wie das lateinische Sprichwort lawtet: „omnes insularis mali“. Dan im gantzen Land zu Pomern werden kein Jar so viel vom Adel und andere erslagen, als allein in diesser kleinen Insel“.

Er fährt fort: „Und aus sollcher Vermessenheit will einer dem andern nirgentz inne nachgeben, und khumpt daraus so viel Haders, Zancks und Morts (das es zu viel ist). Sonderlich geraten sie in den Krogen und Wirtzheusern leichtlich an ein ander, und wan einer sagt „das walt Got und ein kalt isen“, so mag man ime wol auff die Fawst sehen und nicht auf das Maul, dan er ist bald beyime“ .

Über das unmäßige Trinken in Pommern berichtete Kantzow aus der Mitte des 15. Jahrhunderts (Kantzow 1898, 184). Danach gab es das „Bullentrinken“ – „und je mehr einer das hat pflegen können, je besser er bei den Leuten ist angesehen gewesen“. Dazu musste man drei Gläser unbekannter Größe und ein „Stenglein“ als viertes Glas austrinken. Die „Parlencke trinken“, d. h. ist eine große Schale austrinken, auf alle vieren reiten und trinken war „einen zu Wasser reiten“.

Natürlich hat Kantzow,  übrigens ein gebürtiger Stralsunder,  allein auf Rügen eine überzogene Behauptung abgegeben. Es war im damaligen Pommern allgemein eine „rauhe Zeit“. So haben sich aus der unmittelbaren Ostseeküste zwischen Grevesmühlen und Stralsund fünf weitere derartige steinerne „Mordwangen“ erhalten. Häufig wurden diese Gedenktafeln aber aus Holz angefertigt und sind damit vergangen.

Auf Rügen  in Schaprode befindet sich der zweite noch erhaltene derartige unter Denkmalschutz stehende  Gedenkstein, der  an den  Mord an dem Adligen Reinwart von Platen und seinen Söhnen (v. Platen 1938, 50 ff.) erinnert. Der Heimatforscher Carl Gustav von Platen – ein Nachkömmling dieser  rügenschen Adelsfamilie – hat die Mordtat in das Jahr 1368 gestellt und sah darin ein Zeugnis der Besitzstreitereien um Hiddensee. Die Inschrift lautet:

„Alle de hyr hinne gahn,
Ick bidde se, eyn kleine stahn,
un bidden God, in korter Tid
de Seele make pine quyt”
Reynwart Plate 1368

 1930 hatte es der Nachkomme Carl Gustav von Platen dichterisch umschrieben:

„Am Wegrand vor Schaprode, da steht ein grauer Stein,
drinnen meißelt’ man vor Zeiten der Platen Wappen ein.
Der Stein starrt stumm und schweigend, sechshundert Jahre lang,
um ihn webt graue Kunde der Sage dicht Gerank“.

Die Umstände des Gustower Mordes von 1510 – ein Politikum?

Die wahren Gründe, die eigentlichen Ursachen und wohl auch die Teilnehmer dieses Streites sind unbekannt. Das Jahr 1510 lag aber in einer sehr unruhigen Zeit. In dieser Zeit spitzten sich z. B. die Auseinandersetzungen der wendischen Hansestädte – also auch Stralsund – mit dem dänischen Königtum zu und gipfelten 1510 in einem Kriegsbündnis der Städte mit Schweden gegen Dänemark.

Darüber berichtete der Kirchenhistoriker Wackenroder (1730, 67) für das Jahr 1504: „Nun Hertzog Bogislaus von Hertzog Georg aus Meissen einen neuen Geheimen Rath D. Kitscher mitgebracht: Der rieth alsobald dem Hertzog, Gewalt und Feindseligkeit wider die Stralsunder zu gebrauchen, zu dem Ende viele Bürger in Eisen geschlagen, und die Zufuhr der Stadt gesperret ward. Hierdurch wurde Herr Omnis rege und hatte Bürgermeister Zabel Oseborn gnug zu thun, den Pöbel abzuhalten, daß sie den Hertzog zu Barth nicht überfielen: Allein sie drungen Hauffenweiß ins Land Rügen, brachten unterschiedliche von Adel auf ihre Seite, und verübten Gewaltthätigkeiten auf dem Fürstl. Höfen und Dörfern, da sie alles raubeten, was ihnen vorkam“.

Darauf folgte 1510 ein Vertrag zwischen Bogislaw mit Stralsund in Rostock, der „Rostocker Rezess“, der aber bereits 1511 nicht eingehalten wurde (Wackenroder 1730, 68). 1511 fiel der dänische König mit Truppen auf Rügen bei Schaprode ein, die  „die Stralsundischen Güter bis auf den Grund verwüsteten“ (Wackenroder 1730, 68).  Auf Seiten der Stadt Stralsund war Gödeke von der Osten zu Streue. Außerdem hieß es: „In Rügen wurden auch einige Irrungen gehoben, indem zuweilen die Stralsunder in der Verschuldeten von Adel Güter gefallen, und sich nach Belieben bezahlt gemacht; Welche Gewaltthätigkeit abzustellen, gute Gegenverfassung geschehen und bey dem Landvoigt die erste instance zu thun, und verhörter Sachen vorzunehmen beschlossen worden (Wackenroder 1730, 69).

In dieser  politischen und militärischen Gemengelage erfolgte der Gustower Pastoren-Mord.

Vielleicht spielten auch kirchliche „Betrügereien“ eine Rolle: im Jahre 1511 hatte in Stralsund ein altes Weib – Mutter eines jungen Mönches – das Blut eines geschlachteten Hahnes in ein Kruzifix von St. Marien geschüttet. Dieses ging so künstlich zu, daß es schien, das Bild wollte Blut weinen“ (Wackenroder 1730, 69).

Weitere Morde des 16. Jahrhunderts auf Rügen

Wenige Jahrzehnte später – im Jahre 1554 – wurde in Gingst der aus Bergen stammende Priester Laurentius Krintze, also  ein weiterer Kirchenmann auf Rügen, erschlagen (Heyden 1956, 52). Krintze war seit 1537 in Gingst der erste evangelische Pfarrer gewesen.

Hier war aber der Mörder der Adlige Sambur Preetz aus Silenz und die Tatwaffe eine zinnerne Kanne. Der Mörder wurde landflüchtig, und der Flecken Gingst verlor die Freiheit, Jahrmärkte abzuhalten. Später wurde hier ein „steinernes Kreuz, ein sogenanntes Mordkreuz, errichtet“ (Wiedemann 1934, 75). Vor 1727 wurde das Steinkreuz durch einen Pferdewagen umgeworfen, zerbrach und ist inzwischen verschollen. Ein vor der Kirche liegender Stein erinnert nur an die Mordtat und die Mordstelle.

Carl Gustav von Platen berichtete über Thomas II. von Platen, der 1317 auf Stralsunder Gebiet erschlagen wurde und dessen Mörder nach Dänemark flüchteten (v. Platen 1938, 51).

Mordkreuze, Mordwangen und Sühnesteine in Pommern

Bereits 1897 beabsichtigte die „Kommission zur Erhaltung und Erforschung der Denkmäler in der Provinz Pommern“, als Einzeldenkmäler „die Denksteine und Kreuze von Schaprode, Gustow auf Rügen, Berthke, Kreis Franzburg, Reinberg, Kreis Grimmen, Sassen, Kreis Greifswald, Kruckow, Kreis Demmin, Grüttow, Kreis Anklam, Pasewalk, Kreis Ueckermünde, Sommersdorf, Kreis Randow, Kremzow, Kreis Pyritz, Stargard, Kreis Saatzig, Wischow bei Treptow a. Rega, Kammin in Pommern und Rützow, Kreis Kolberg-Körlin“ „unter obrigkeitlichen Schutz zu stellen“ (Baltische Studien N. F. 1, 1897, 315).

1912 hatte sich der Stettiner Kunsthistoriker Dr. Lemcke „über Mordkreuze und Mordwangen in Pommern“ geäußert (Lemcke 1912, 174 f.).

Lemcke wies auf die Strafjustiz des Mittelalters hin, die oft geringe Vergehen mit dem Tode bestrafte. Mord und Totschlag konnten aber auch durch ein Wergeld – um nicht die altherkömmliche Blutrache fortzusetzen – gesühnt werden. Man zahlte dann den Verwandten des Toten eine Entschädigung. Dazu traten unter Einfluss der Kirche noch Aufwendungen für das Seelenheil des Erschlagenen. Das waren zunächst eigentliche Seelenmessen wie aber „auch die Aufrichtung eines steinernen Kreuzes an der Mordstätte, das die Vorübergehenden zu Fürbitten auffordern sollte“ (Lemcke 1912, 174).

Abb. 6. Verbreitung der Mordwangen und ähnlicher Grabsteine (nach Ende 1973, Abb. 9)

 

Nach Lemcke wurden diese Denkmale stets aus schwedischem Kalkstein gefertigt und haben teils die Form eines Kreuzes und teils einer Wange. Die einem Brett ähnelnden Steinwangen wurden auch „Docken“, d. h. Puppen, genannt. Sie haben meist am oberen Ende eine Einschnürung, durch die ein kreisförmiger Kopf abgesetzt wurde. In den pommerschen Urkunden wurden seit 1290 derartige Sühnesteine erwähnt – es haben sich aus dieser Zeit aber keine erhalten.  In Pommern sind die ältesten ohne Merkzeichen oder Inschriften. Man brachte später das Wappen an, wenn der Erschlagene von Adel war, sonst wurde die Hausmarke eingearbeitet. Lemcke erwähnte das Stargarder Kreuz mit Nennung des Mörders sowie den in der Kirche von Nossendorf bei Grimmen aufbewahrten Sühnestein des Plebanus Gerhard, der in der Kirche getötet wurde. Die meisten Steine hatten schon vor 100 Jahren stark gelitten, so dass Lemcke zum Denkmalschutz aufrief: „Es ist dringend zu wünschen, daß diese Denkmäler unter öffentlichen Schutz gestellt und vor jeder weiteren Schädigung gesichert werden“ (Lemcke 1912, 175). Dabei bezog er auch den Sühnestein von Gustow mit ein.

Eine weitere Mordwange befindet sich bei Berthke unweit von Franzburg (v. Haselberg 1881, 17 f.). Die Platte ist 2,23 m über dem Acker hoch, 0,60 m breit und 0,2 m dick. Sie schließt oben mit einem Dreiviertel-Kreis ab: „auf der nördlichen Seite ist durch eingeritzte Linien die Gestalt eines betenden Geistlichen dargestellt; oben links neben der Brust ein Spruchband, unter den Füssen eine jetzt nicht mehr lesbare Inschrift; erkennbar ist noch eine Tasche rechts neben der Gestalt und ein Flachbogen mit Ornament oberhalb des Kopfes. Auf der südlichen Seite des Steines findet sich eine ähnliche Gestalt. Die Inschrift … lautet: „anno d(omi)ni m ccc xiii feria secunda p(ost) trinitatis interfectus innocens frater dominus reimarus ora p(ro) eo ach leve here bidde … dinen leven bolecken kinde“ (v. Haselberg 1881, 17 f.). v. Haselberg ist der Meinung, dass die Datierung nicht stimme, da die Minuskelschrift auf spätere Zeit deutet.

Ein „Mordstein“ befindet sich bei Sommersdorf – unweit Kasekow im Randowgebiet (Lemcke 1901, 133 f.). Es ist eine 1,9 m hohe und 0,67 m breite „Wange aus Schwedenstein,  gothländischem Kalkstein“. Im oberen Drittel bilden vier viertelkreisförmige Durchbrechungen ein griechisches Kreuz. Dazu die Umrisse des Kruzifix und das Wappen der Familie Ramin. In gotischen Minuskeln die Inschrift darunter: „Im Jahre 1423 wurde Hinrik von Ramin von den Bauern in Wartin erschlagen“ (lat.).

Auf dem Kirchhof von Reinberg südlich Stralsunds befindet sich eine Kalksteinplatte von 2 m Höhe und 0,59 m Breite mit einer knienden Gestalt, die ihre Hände faltet sowie der Darstellung des Christus am Kreuz, dazu gehören die Worte „domine misere mei“ (von Haselberg 1881, 238). Der Sage nach sollte der Stein zur Erinnerung an die Hinrichtung des fürstlichen Rates und Landvogts Raven von Barnekow, der 1452 in Stralsund zum Tode verurteilt wurde, stehen. Diese Tat soll nach nicht verbürgter Überlieferung ein „Heyno van der Beken“ getan haben (von Haselberg 1881, 238). Haselberg erwähnt ferner die Aufstellung einer steinernen Mordwange durch den Matthias Lippe, der in Greifswald einen Hermann Goise tötete (Zeitschrift „Sundine“ 1833, 95; Haselberg 1881, 238).

Sinn und Zweck der Steinkreuze und Mordwangen in Mecklenburg-Vorpommern

Der Kunsthistoriker Horst Ende hatte 1973 diese mecklenburgisch-vorpommerschen Denk- und Sühnesteine zusammenfassend untersucht (Ende 1973, 56 ff.). Danach entstanden sie zwischen der Mitte des 14. und dem frühen 16. Jahrhundert – Gustow ist darin das jüngste Steindenkmal. Sie sollten die in dieser Zeit noch häufige Blutrache eindämmen. Mit dem Anfang des 16. Jahrhunderts setzte die „Halsgerichtsordnung“ mit entsprechenden amtlichen Strafen ein. In der Darstellung des aus Kalkstein gefertigten Steinkreuzes mit dem Verstorbenen, einer Gebetsformel (Misere mei deus), der Darstellung des Kruzifixes ist eine große Einheitlichkeit festzustellen. Die Inschriften verwenden die gotische Minuskel und bedienen sich bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts der lateinischen Sprache, später auch des Niederdeutschen, wie auch in Gustow. Man sollte für das Seelenheil des Toten beten, da dieser keine Möglichkeit besaß, sich auf seinen Tod vorzubereiten.

Nach Horst Ende (1973, 57 f.) ist es unklar, wer die Veranlassung zur Aufstellung des Steines gab. So ist es durchaus fraglich, ob die Steine wirklich „Sühnesteine“ sind. Allerdings ist nicht nur für Gustow, sondern auch für derartige Steine in weiteren Orten sicher, dass die Steine für eine Person gesetzt wurde, die eines gewaltsamen Todes starb. Die heute erhaltenen Steindenkmale sind sicher der kärgliche Rest einer ursprünglichen Fülle von Sühnsteinen. Dazu kommt noch die Form des Steinkreuzes, die im Kreis Demmin und in der Uckermark zu finden ist (Hinrichs 1969, 15 ff.). Derartige Sühnekreuze sind zwischen 1 und 2 m hoch und stammen aus Ellingen (Kalkstein), Kruckow und Prenzlau. Die Risse des Kreuzsteines aus Ellingen wurden 1969 durch einen Polyester-Harzverguß geschützt (Rosteck 1969, 14 f.).

Etwas zur Mordwaffe

Die Mordwaffe in Gustow – so die Darstellung auf der Kalksteinplatte – wird also ein zweischneidiges Schwert gewesen sein. Das Schwert war in jenen Jahrhunderten – durchaus mit dem Dolch – allerdings nur Bestandteil der Adelsrüstung und nicht die der Bauernschaft: „Der Nierendolch ist im Mittelalter und der frühen Neuzeit die wichtigste Wehr, besonders bei den niedrigen Ständen. Beim Adel und bei den Patriziern ist er wohl hauptsächlich eine Zweitwaffe, wobei das Schwert selbstverständlich nicht zur alltäglichen Ausrüstung gehört“ (Schoknecht 1992, 202).

Das Waffentragen innerhalb der Städte war nicht gestattet (Schoknecht 1980, 214). Die Mordwange von Steinhagen zeigt jedoch ein Mönchsbild, mit einem Dolch in der Brust (Heyden 1957 I, 175).

Abb. 7. Stralsund. Verzierte Nierendolche aus den Grabungen im Stadtgebiet Stralsunds

 

Dazu hatte bereits der Historiker H. A. Knorr (1971, 131) für das 14. Jahrhundert ausgeführt: „Der repräsentierende Standesherr als Richter, Lehnsherr, die Ritter in Rüstung führen im Sachsenspiegel keine Dolche, sondern das Schwert als Symbol der herrschenden Klasse. Aber Vasallen, Knappen, Kriegsknechte, bewaffnete Diener, Schergen, Zollwächter werden mit dem Dolch dargestellt, also ein Personenkreis im Herrendienst. Dazu kommen einige Male Bürger und Bauern mit dem gleichen Dolch an der Tracht vor. Der Bereich des Dolchträgers umfasst also weitgehend nicht feudale Schichten“.

Sollte in Gustow die Mordtat durch Bauern vollführt worden sein, dann kämen nur Dolche in Betracht, oder die gesamte Geschichte mit betrunkenen Bauern als Täter wäre falsch überliefert.

Diese Mittelalterdolche, die nach der Griffgestaltung als „Nierendolche“ bezeichnet werden, wurden inzwischen durch den Prähistoriker Ulrich Schoknecht eingehend dargestellt und hauptsächlich dem 13. bis 15. Jahrhundert zugewiesen (Schoknecht 1980, 209 ff.; 1983, 223 ff.; 1992, 197 ff.). Wie sah ein derartiger Dolch aus? Auf der Dobbertiner Grabplatte des Heinrich Gloewe erkennt man den langen zweischneidigen Dolch mit der typischen Nierenform des hölzernen Griffabschlusses (Schoknecht 1992, 200, Abb. 3a). Ein Beispiel aus dem mecklenburgischen Wolfshagen bei Strasburg – ähnliche stammen aus den Altstadtgrabungen in Stralsund – zeigt uns, dass der Dolch in der Regel einschneidig war und zu den großen Messern („Stekemesser“ – Stichmesser; lat. cultellus fixoralis bzw. acutus) gehörte (Schoknecht 1992, 198, Abb. 1d).

Literatur:

Ende, H. 1973: Denk- und Sühnesteine in Mecklenburg. In: Informationen des Bezirksfachausschusses für Ur- und Frühgeschichte Schwerin 13, 56-67.

Haas, A. 1938: Oestlich der Halbinsel Drigge (2. Teil). Die Dorfgemeinde Gustow im Wandel der Geschichte. In: Sippe und Heimat Nr. 22.

Haselberg 1897: Baudenkmäler des Regierungsbezirkes Stralsund. Band 4: Kreis Rügen.

Heyden, H. 1956: Die Evangelischen Geistlichen des ehemaligen Regierungsbezirkes Stralsund. – Insel Rügen. Greifswald.

Heyden, H. 1957: Kirchengeschichte Pommerns. I. Band. Von den Anfängen des Christentums bis zur Reformationszeit. Köln-Braunsfeld.

Hinrichs, A. 1969: Die Flurkreuze des Kreises Prenzlau. In: Mitteilungen des Bezirksfachausschusses für Ur- und Frühgeschichte Neubrandenburg 16, 15-19.

Kantzow, Thomas (Nachdruck 1898): Chronik vom Pommern in hochdeutscher Mundart. Hrsg. von Georg Gaebel. Stettin.

Knorr, H. A. 1971: Messer und Dolch. Eine Untersuchung zur mittelalterlichen Waffenkunde in gesellschaftskritischer Sicht. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte 6, 121 – 145.

Lemcke, H. 1912: Mordkreuze und Mordwangen in Pommern. Monatsblätter der Gesellschaft für Pommersche Geschichte und Alterthumskunde 11, 174-175.

Neuber, D. 1981: Zu einigen Problemen des Steinkreuzsetzens. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 22, 225-227.

Ohle, W. und Baier, G. 1963: Die Kunstdenkmale des Kreises Rügen. Schwerin.

Rosteck, H. 1969, 14 f.:  Pflegearbeiten am Steinkreuz in Kruckow, Krs. Demmin. In: Mitteilungen des Bezirksfachausschusses für Ur- und Frühgeschichte Neubrandenburg 16, 14-15.

Saal, W. 1971: Das Steinkreuz von Axien, Kr. Jessen. In: Veröffentlichungen des Museums für Ur- und Frühgeschichte Potsdam 6, 147-149.

Schoknecht, U. 1980: Mecklenburgische Nierendolche und andere mittelalterliche Funde. In: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern 1979 (1980), 209-231.

Schoknecht, U. 1983: Nierendolche in Mecklenburg (Teil II). In: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern 1982 (1983), 223-246.

Schoknecht, U. 1992: Nierendolche in Mecklenburg-Vorpommern (Teil III). In: Bodendenkmalpflege in Mecklenburg-Vorpommern 1991 (1992), 197-210.

Wackenroder, E. H. 1730: Altes und Neues Rügen. Stralsund. Das ist: Kurtzgefaßte und umständliche Nachricht, von demjenigen, was sowol in Civilibus, als vornemlich in Ecclesiasticis mit dem Fürstenthum Rügen, von Anfang an, biß auf gegenwärtige Zeit sich zugetragen; nebst Richtigem Verzeichniß der IV. Praeposituren/mit denen einverleibten Pastoraten dieser Insel/auch umständl. Lebens-Beschreibung der Personen so Zeit der Reformation B. Lutheri im Lehr-Amt daselbst gestanden. Jetzo mit eiem Supplement von 2. Capitteln/von dem Pastorat zu Trent vermehret. Verlag Jacob Löffler.

Wiedemann, E. 1934: Kirchengeschichte der Insel Rügen. Stettin.

 

Die Gustower Feuerwehr und ihre Geschichte

Zur Geschichte des Feuerlöschwesens gibt es gegenwärtig für den Südwesten Rügens nur begrenzte Auskünfte. In einer fabelhaften Fleißarbeit haben die Gestalter der „Gustower Dorfchronik“ in den 1990-er Jahren viele Fakten zusammengetragen (Es handelt sich um die Frauen Tredup und Obal, die mit Auslaufen der ABM ihre Tätigkeit an andere „Chronistinnen“ abgaben, Auskunft Frau Tredup, Gustow).

Nach dem schwedischen Reglement vom 9. 12. 1776 hatte eigentlich jeder Guts-Hof mit Einschluss der Hofgebäude mit einer beachtlichen Versicherungssumme in Höhe von 7 000 Talern gegen Brand versichert zu sein (v. Platen 1870, S. 66). Die Höfe und jedes Dorf mit sechs und mehr Vollbauern hatten je einen „Feuerkufen“ zu halten, dazu viele Feuereimer nach der Zahl der Einlieger und Feuerhaken nach der Zahl der Knechte, dazu zwei große Feuerleitern. In den Dörfern hatte jeder Bauer zwei Feuereimer, zwei Feuerhaken und eine Feuerleiter zu besitzen. Nicht vorgesehen waren Feuerspritzen, deren Anzahl dann auch „für das platte Land eine äußerst geringe war“ (v. Platen 1870, 66). Weiterlesen

Die Entdeckung Rügens im beginnenden 20. Jahrhundert

Die Passagierschiff- und Eisenbahnverbindungen

Um 1900 setzte ein rasanter Bäder- und Reiseverkehr nach Rügen ein. Es waren nicht nur die einmaligen breiten Sandstrände, die vielgestaltige Landschaft, die gewisse Unberührtheit der dörflichen und städtischen Kultur sowie die relative Fülle der beeindruckenden vorgeschichtlichen „Hünengräber“, sondern das gesunde Klima Rügens, das von Ärzten u. a. „bei Schwäche und Empfindlichkeit der Haut, Rheumatismus, Neurasthenie und Migräne“ empfohlen wurde, das den Besuch besonders der Familien mit Kindern anregte (Albrecht 1906-1907, 7). Weiterlesen

Handwerk und Kaufmannschaft in Bergen

(OZ v. 9.1.1980)

Die Geschichte eines Ortes wird maßgeblich durch das Handeln seiner Einwohner bestimmt. Einen besonderen Anteil daran hatte der sogenannte mittlere Stand, das Handwerk und die Kaufmannschaft. Leider fehlen für Rügen zusammenhängende Untersuchungen.

Obwohl die Entwicklung Bergens als rügensches Wirtschafts- und Handelszentrum bereits am Ende des 12. Jahrhunderts einsetzte, blieb der Ort stets im Schatten der mächtigen Hansestädte Stralsund und Greifswald. Eine hemmende Rolle spielte auch das Bergener Nonnenkloster, dem die Einwohner u. a. zu Steuern und Abgaben verpflichtet waren und das die Gerichtsbarkeit besaß. Erst Jahrhunderte später, – im Jahre 1613 – konnten sich die Bürger davon befreien und das Stadtrecht erwerben. Ein eigentliches Patriziat mit Bürgerhäusern hat sich in Bergen nie herausgebildet. Es waren zumeist Ackerbürger, die neben dem Handwerk noch Acker und Vieh besaßen. Weiterlesen

Eine Keramikmanufaktur auf Hiddensee

(OZ v. 17.1.1980)

Der Stralsunder Joachim Ulrich von Giese, ein wohlhabender Armeelieferant der schwedischen Krone, erwarb im Jahre 1754 die Insel Hiddensee. Bei der Untersuchung des Bodens stellte er im nordwestlichen Uferteil des Dornbusches einen guten Ton fest. Giese beschloss, diesen industriell zur Herstellung von Töpfereierzeugnissen zu verwerten. So entstand die einzige Fayencenfabrik im ehemaligen Pommern und zugleich das älteste industrielle Unternehmen im Kreisgebiet Rügen. Weiterlesen

Die Entdeckung Rügens im 19. Jahrhundert

Die Passagierschiff- und Eisenbahnverbindungen

Bis zum Bau und der Eröffnung des Rügendammes im Jahre 1936 war Rügen nur mit einem Schiff erreichbar. Das hatte damals noch viele Reisende wegen der Seekrankheit – allerdings unnötig – abgeschreckt. Manche Reiseführer empfahlen dann: „Man halte sich auf dem Promenadendeck in frischer Luft, nicht in der Kajüte auf, vermeide in die Wogen zu sehen, richte vielmehr den Blick nach einem entfernten Gegenstand, sodass die schwankende Bewegung des Schiffes nicht zum Bewusstsein kommt. Es empfiehlt sich, dem Magen etwas Konstantes anzubieten, auch der Genuss eines Gläschen Portweins oder guten Cognacs ist nicht zu verachten“ (Schuster 1898, 10). Weiterlesen

Lobbe – ein kleiner Ort auf Mönchgut mit 700jähriger Geschichte

von Prof. Dr. Achim Leube, Berlin, Juli 2013

Das kleine einstige Fischerdorf Lobbe ist erst in den letzten 50 Jahren als Bade- und Erholungsort bekannt und bedeutend geworden. Eine traditionelle Gastwirtschaft und „Fremdenbeherbergung“, wie es früher hieß, zeichnet den hier gelegenen „Gasthof zum Walfisch“ aus. Er liegt direkt an der Dorfstraße und unweit des breiten Badestrandes, von dem man einen herrlichen Blick über die Ostsee zu der 15 km entfernten Greifswalder Oie mit ihrem Leuchtturm und auch nach Peenemünde hat mit dem markanten ehemaligen Heizwerk, das heute als Museum genutzt wird. Weiterlesen