Alte rügensche Bräuche und Sitten zur Jahreswende

(OZ v. 31.12. 1974)

Die Jahreswende nahm seit jeher im Leben der Menschen eine gewichtige Stellung ein. Sie galt als kritisches Datum in der Auseinandersetzung mit den Geistern des Unheils um ein neues, glückliches Sonnenjahr. Für den Bauern war das eine lebenswichtige Frage, und er versuchte durch magische Handlungen, diesen Prozess günstig zu beeinflussen. Auf Rügen scheint sich dieser Aberglauben besonders stark ausgebildet zu haben.

Als Vegetationszauber (Mehrung der landwirtschaftlichen Erzeugnisse) ist das Umbinden der Obstbäume mit Stroh und einer eingeflochtenen Münze zu verstehen. Dazu sprach man: „Appelboom ick bind di, nächstes Johr, da dienst du mi“. Die Hausfrau buk den „Nijohrskauken“ (Brotteig mit Anis und Backpflaumenfüllung), damit das Brot im kommenden Jahr nicht ausging. Als besonderes Neujahrsgebäck galten auf Rügen die noch heute bekannten Tollatschen (Kuchen mit Apfelmus, Pflaumen und Rosinen). Diese Bräuche waren mit dem „Herd abbacken“ in der Silvesternacht verbunden.

Pikant sind einzelne Liebesorakel: Ging ein Mädchen dreimal nackt ums Haus, so begegnete ihr ein Mann, der dem künftigen Ehemann ähnelte. Oder: Auf Wittow klopften die Mädchen einzeln an die Tür des Schweinestalles, antwortete ein junges Schwein, so bekam sie einen jungen Mann.

Jüngeren Datums sind einige von Haas im Jahre 1920 aufgezeichnete Bräuche: So sammelten in Bergen die Nachtwächter ein Silvestergeschenk für sich ein. Dasselbe geschah durch die Schornsteinfegergesellen am Neujahrstag.

Ein Brauch, der vermutlich katholischen Ursprungs war, hielt sich bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts auf Jasmund. Es war der Umzug der „Stirnkieker“, die mit weißen Hemden und Hüten bekleidet von Dorf zu Dorf zogen, eine längere Dichtung, teils gesprochen, teils gesungen, vortrugen und dafür Geld und Lebensmittel erhielten.

Dieses Brauchtum läßt sich noch ergänzen durch die Heischezüge, bei denen besonders die Jugend Eier, Kuchen und Geld erbat. Diese Umzüge erreichten in der Fastnacht ihren Höhepunkt und berühren damit einen anderen interessanten Themenkreis, das Frühjahrsbrauchtum.

Mag uns an diesem Brauchtum vieles unverständlich und kurios erscheinen, so müssen wir doch Verständnis für die damalige bäuerliche Lebensweise und die soziale Stellung unserer Vorfahren aufbringen. Sozialer Notstand, immerhin waren 1783 von den 21 000 Einwohnern Rügens 70 Prozent leibeigen – allgemeine Unwissenheit und andere Gründe bildeten einen günstigen Nährboden für diese Art von Aberglauben.

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