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Erinnerungen an Rügen vor 40 Jahren – das Jahr 1977

Das Jahr 1977 war auch auf Rügen bereits von den Vorbereitungen auf den  30. Jahrestag der DDR-Gründung des Jahres 1979 geprägt. Der damalige SED-Kreissekretär Edwin Kasper – und wohl nur er war berechtigt, das auszusprechen – verwies auf die generell zu hohen Produktionskosten,  die zu niedrige Produktionsmenge in der Kreideproduktion, im Fischfang, in der Landwirtschaft (z. B. zu geringe Milchproduktion) und im Bauwesen. Hohe Produktionskosten ergaben sich aus viel zu niedrigen Abgabepreisen. Grundnahrungsmittel wurden enorm gestützt. Die niedrigen Mieten konnten die Kosten für die Werterhaltung nicht decken. Genaue Zahlenangaben hat die Kreisparteileitung der SED in all ihren Jahren nie gegeben. Man beschränkte sich auf undefinierbare Prozentzahlen. Wenn dennoch Ende 1977, vermutlich zu Recht, zahlreiche Betriebe mit Wanderfahnen, Urkunden und einem Porzellanteller ausgezeichnet wurden, so lag ihnen eine Fülle gering produzierter Betriebe gegenüber. Diese „Ehrentafeln“ sind ein „who is who“ der rügenschen Industrie. Nur wenige davon haben bis heute ihre Bedeutung und ihren Bestand.

Abb. 1. Auszeichnung rügenscher Betriebe (nach Ostsee-Zeitung vom 5. bis 6. November 1977).

Abb. 1. Ehrentafel der im November 1977 ausgezeichneten Betriebe. Unklar ist, ob sich die
Fahnen, Urkunden und das „Wettbewerbspräsent“ erhalten haben.

Ein besonderer Schwachpunkt Rügens war das Bauwesen, das umso mehr, als Häuser und Wohnungen bereits 1977 im Durchschnitt mehr als 60 Jahre alt waren. Erst die industrielle Bauweise, die nach 1961 einsetzte, führte zum Bau der „Plattenbauten“. „Beliebt“ war aber auch die Selbsthilfe im Rahmen des „Nationalen Aufbauwerkes“ und des „Mach-mit-Wettbewerbes“. Dazu gab es für junge Eheleute bescheidene Kredite, aber immerhin. Für ein Kind erhielt man etwa 1 000 Mark der DDR als Krediterlass und für drei Kinder sogar 5 000. Mark. Derartige Kredite und die Beibehaltung einer stabilen Preispolitik führten zu horrenden Subventionssummen, die in der DDR-Wirtschaft fehlten.

Öffentliche Ärgernisse waren die vielen Schließzeiten der Gaststätten und das gleichfalls niedrige „Versorgungsniveau“.  Dazu gab es viel zu wenige Gaststätten und „Verkaufsstellen“. Das Anstehen und „Sie werden platziert“ war in der Regel eine Zumutung für den Einzelnen. 1978 gab es auf Rügen bei den 48 HO-Gaststätten weniger als  1 000 Gaststättenplätze, davon mehr als 700 im „Außenbereich“.

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Abb. 2. Bergen. Gebäude der Kreisleitung der SED. Bahnhofstr. 33. Aufnahme: A. Leube 2005.
Auch heute sind hier Verwaltungen untergebracht.

Vor etwa 40 Jahren wurde Rügen innerhalb der Leichtathletik der beste Landkreis im Bezirk  Rostock und erkämpfte 25 Goldmedaillen. Es gab damals 46 Sportgemeinschaften mit 8 103 Mitgliedern. Geht man davon aus, dass die Ballspiele erst nach dem I. Weltkrieg auf Rügen eingeführt wurden, war das eine bravouröse Entwicklung. Dabei fehlte es an Turn- und Schwimmhallen. Zu den Bezirkssiegern der Jahre 1976 und 1977 gehörte von der SSG Poseritz der Hammerwerfer Matthias Wewetzer. In regelmäßigen Abständen fanden auf Rügen Kreis-Spartakiaden der Kinder und Jugend statt. Sieht man von den üblichen Reden der SED-Funktionäre ab, bemühte man sich dabei um eine feierliche Atmosphäre. 1976 erklang das alte Lied „Turner auf zum Streite“, wobei Hunderte Tauben in den Himmel aufstiegen.

Die Schwerpunkte sportlicher Ausbildung befanden sich in Dranske, in Sassnitz, Bergen und Göhren. Der Südwesten Rügens mit Gustow, Altefähr und Poseritz fiel deutlich ab. Immerhin gewann bei den 15jährigen Mädchen 1978 Elvira Guse von der „POS Poseritz“, also einer 10-Klassenschule, das Diskuswerfen mit 23,75 m und der 15jährige Winfried Wilken von der gleichen Schule das Diskuswerfen mit 33,34 m.   Nicht zu vergessen sei der damals 13jährige Hammerwerfer Frank Schumacher von der „SSG Gustow“. Er siegte in seiner Altersklasse mit 24,72 m.

Abb. 3. Das Jahr 1976  mit dem Bobfahrer Meinhard Nehmer

Abb. 3. Das Jahr 1976 mit dem Bobfahrer Meinhard Nehmer (links) aus Varnkevitz (nach
http://www.ndr.de/sport/legenden/Nehmer-Vom-Spaetstarter-zur-Bob-Legende,nehmer103.html).

Bekanntester Sportler wurde in diesen Jahren der Bobfahrer Meinhard Nehmer (geb. 1941) aus Varnkevitz auf Wittow. Er holte dreimal Olympia-Gold und vier Weltmeistertitel. Nehmer wurde nach der Wende Mannschaftstrainer der USA und Italiens.

Man hat den Eindruck, dass der Südwesten Rügens an der sportlichen Entwicklung Rügens nur geringen Anteil hatte. So nahm im Fußball die Gemeinde Gustow keine besondere Rolle ein. Die Mannschaft „Traktor Gustow“ spielte damals in der II. Kreisklasse und belegte meist hintere Plätze.

Daher konzentrierten sich im rügenschen Fußball die Hoffnungen vieler Enthusiasten auf die Mannschaft von „Lok Bergen“ unter dem Trainer Bodo Satzel. Bodo Satzel, Berthold Lepschies und Günter Nogga wuAbb. 4.  Fußball auf Rügen. Lok Bergen spielte in der Bezirksliga Ost - so die Ostsee-Zeitung v. 31. 10. 1977rden am 1. 5. 1976 als Stammspieler verabschiedet. Wer wird sich daran noch erinnern?

Lok Bergen spielte nun in der „Bezirksliga-Ost“ mit Lewandowski im Tor, mit den Brüdern H. und P. Marschmann, mit Rubin, Klawonn und W. Hermerschmidt im Sturm.

1977 besiegte Lok Bergen eine „TSV Fortuna Sachsenroß“ in Hannover und 1978 reiste diese Bergener Mannschaft sogar nach Kopenhagen. Dort ertrotzte man im Valby-Sportpark gegen „Syd-West Kobenhavn“ ein Unentschieden.

Abb. 4.   Fußball auf Rügen. Lok Bergen spielte in der Bezirksliga Ost – so die Ostsee-Zeitung vom 31. 10. 1977

Die Abkürzung „KKW“ (siehe Abb. 4) heißt „Kernkraftwerk Wusterhusen“ – diese Mannschaft verlor recht oft und so hieß es „Keiner Kann Was“ (auch KKW).

Abb. 5.  Die DDR-Volleyballmannschaft wurde 1983 Europameister Zeitreise_1983_05_Titel

Aus Rügen stammen viele der besten DDR-Volleyball-Spielerinnen, wie die in Bergen geborene Andrea Heim (geb. 1961), heute eine verheiratete Frau Markus. Sie wurde 1977 entdeckt und errang bereits 1980 die Silbermedaille auf der Olympiade in Moskau.

Abb. 5. 1983 wurde die DDR-Volleyballmannschaft Europasieger und Andrea Heim war dabei (http://volleyball.de/zeitreise/details/datum/2013/09/18/1983-em-titel-fuer-ddr-frauen).

Außerordentlich stark war die 1956 gegründete Akrobaten-Gruppe in Göhren. Sie blickte 1976 u. a. auf 33 DDR-Meistertitel zurück.

Abb. 6. Göhren. Akrobatik-Gruppe im Jahre 2011

Abb. 6. Göhren. Akrobaten auf der Göhrener Poststraße im Jahre 2011,
im Hintergrund das von Frau Ruth Bahls gegründete Heimatmuseum
(http://www.goehren-ruegen.de/?page=news&archive=082011).

1977 verkündete die Sassnitzer Lehrerin Heide Rütting, dass man bei allen Lehrern „die Überzeugung durchzusetzen (habe), daß jedes gesunde Kind in der Lage ist, das Ziel der 10. Klasse zu erreichen“. In diesen Jahren wurden 11 Polytechnische Oberschulen gebaut und damit der Übergang von der 8. Klasse zur 10. Klasse nahezu abgeschlossen.

Abb. 7. Gager. Blick auf die einstige Zentralmönchgut, die Verf. von 1946 bis 1950 mit Unterbrechungen besuchte.  Aufnahme im Mai 2016.

Abb. 7. Gager. Blick auf die einstige Zentralschule Mönchgut, die der Verf. von 1946 bis 1950 mit
Unterbrechungen besuchte. Aufnahme: A. Leube im Mai 2016.

Natürlich wurden nahezu alle Pläne erfüllt. Da aber nur Prozentzahlen, und dazu kommentarlos, angegeben wurden, ist die rügensche Entwicklung dem Außenseiter schwer zu vermitteln.

Abb. 8. Planerfüllungen. Oz v. 20. 5. 1977 Planerfüllung IIAbb. 8. Planerfüllung am 20. Mai 1977 (nach der Ostsee-Zeitung, die der SED-Kreisleitung unterstand).

Der Viehbestand im Vergleich der Jahre 1938 und 1977:

Viehbestand

1938 1977

Rinder

30 549

  45 571

Schweine

39 008

100 264

Schafe

25 018

    9 645

Legehennen 115  278

230 722 (1966!!)

Lediglich für die Viehbestände gab man 1977 – vielleicht leichtsinnigerweise – eine absolute Zahl, wie das Diagramm in Tab. 1 zeigt. Sie weist auf eine Stagnation hin im Rinderbestand, wie auch ein Rückgang bei den Schafen und Legehennen zu verzeichnen ist.

Tab1 Viehbestände1956bis1977

Tab. 1.  Entwicklung der Viehbestände auf Rügen zwischen 1956 und 1977.

So ist es auch kein Wunder, dass stets „Milchschulden“ auftraten, 1977 sogar noch in 14 landwirtschaftlichen Genossenschaften.
Nichts erfuhr man über das Handwerk, über die Forstwirtschaft und die übrige Industrie. Man verlagerte die Diskussion in Nebenplätze, z. B. in die Erfassung der „Sekundärrohstoffe“ – so wichtig diese auch war und auch heute noch ist .

 

Die schwedische Landvermessung und die Landwirtschaft des Jahres 1695

Eine recht genaue Beschreibung der Landwirtschaft auf Jasmund ist der schwedischen Land- und Steuervermessung durch den Vermesser Peter Wierling des Jahres 1695 zu verdanken. Rügen gehörte seit 1648 zum schwedischen Königreich,  und das schwedische Königreich wollte eine effektive Steuerpolitik nach den Grauen des 30jährigen Krieges (1618-1648) erreichen.

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Abb. 1. Blieschow bei Sagard. Alter Landweg nach Prora. Aufnahme: A. Leube, Mai 2006.

 Schwedische Landvermesser – wie Peter Wierling – reisten auf Rügen im Jahre 1695 mit zwei Gehilfen von Ort zu Ort. Neben den genauen Einmessungen erfragten sie die Eigentums- und Besitzverhältnisse, die Abgabe- und Dienstverhältnisse, die Aussaaten und Erträge der Äcker, Wiesen, Weiden und Holzungen. Sie erstellten daraus für jeden Ort eine eigene „Matrikel“ (lat. matricula – Liste, Verzeichnis).  Daher erfolgte die Bezeichnung „Matrikelvermessung“.

 Ackermaße, Betriebsgrößen und Eigentumsunterschied

Eine detaillierte Betrachtung der folgenden drei Jahrhunderte zwischen 1695 und heute würde zeigen, wie zunehmend die Waldungen (u. a. der Stubnitz) eingeengt und abgeholzt wurden und auch die zunächst nicht beackerten Kuppen und Niederungen erschlossen wurden. Am Beispiel des Ortes Rusewase konnte der Schwede Peter Wierling durch den hier lebenden Landsmann Oluff Bengtson auch die schlichten Lebensverhältnisse der in der Regel leibeigenen Kleinbauern, Pächter und Kossaten und den inhumanen Umgang des Gutsherrn von Dubnitz mit seinen Untergebenen darstellen.

Die Vermessung Wierlings diente also einer präzisen Steuererhebung. 1695 wurden z. B. in Promoisel auf einem (pommerschen) Morgen 2 Scheffel Roggen, 2½ Scheffel Gerste, 3½ oder vier Scheffel Hafer eingesät. Man düngte den Acker nur jedes viertes Jahr. Auch in Sehlitz wurden die gleichen Aussaatmengen gebraucht (Kalähne 1952, S. 58). Heute sät man etwa 150 kg Getreide pro Hektar, d. h. pro (Magdeburger) Morgen 37,5 kg. Da ein pommerscher Morgen aber 0,6550 qm Fläche besaß und der Scheffel etwa 25 kg entsprach, wurde damals wesentlich weniger ausgesät und auch weniger geerntet.

Abb. 2  Dubnitz. Eingangsporal eines ehemaligen Bauernhofes. Aufnahme Juni 2010

Abb. 2. Dubnitz. Eingangsportal eines ehemaligen Bauernhofes. Aufnahme: A. Leube Juni 2010.

Die Landbevölkerung war bereits 1695 deutlich sozial gegliedert. Nur wenige Landwirte besaßen 30 pommersche Morgen, die eine „Landhufe“ ausmachten und das Charakteristikum eines „Vollbauern“ bildeten. Daneben gab es die „Hakenhufe“ mit 15 Morgen Größe (Grümbke 1819 II, S. 97). Ein „Vollbauer“ besaß etwa 28 bis 32 Morgen, ein „Halbbauer“ bewirtschaftete kleinere Flächen. Der Kossat bearbeitete sogar nur wenige Morgen. Der Häusler hatte nur Gartenland. In den damaligen Dörfern gab es meist nur noch ein bis zwei Bauern.

Viele der einstigen Orte sind „wüst“ gegangen, so auch die Siedlung Dameritz bei Polkvitz, die erst kürzlich von Frau Heide Großnick, Glowe, wieder entdeckt wurde. Es war 1695 eine recht extensive Landwirtschaft, die noch an den Folgen des 30jährigen Krieges zu leiden hatte. Viele Hofstellen waren nicht wieder aufgebaut. Man konnte nur sparsam aussäen, düngte kaum, besaß größere Brachen zur Regenerierung des Ackerbodens und verfügte über zu wenige Grünflächen zur Heugewinnung. So nutzte man die Waldungen der Stubnitz im beachtlichen Maße zur Waldweide und Eichelmast. Der häufige Anbau von Erbsen und die Erwähnung von „Kohlgärten“ belegen eine einfache Ernährung. Das bestätigt auch den geringen Anbau von Weizen.

Offenbar hielt man nur wenig Kleinvieh, wie die Matrikel-Angaben aus Rusewase andeuten. Der regelmäßige Leinanbau, der 100 Jahre später bei Grümbke in seiner Beschreibung der Landwirtschaft fast fehlt, diente dem eigenen Bedarf, dem Verkauf und galt auch als Abgabe (z. B. an die Herrschaft Spieker). Der Anbau von Buchweizen wurde bei Peter Wierling nicht erwähnt, wie er auch auf die Aussaat von Klee, Wicken und weiteren Zwischenfrüchten nicht einging.

                               Anbau und Eigentumsverhältnisse im Jahre 1695 um Sagard

Hier seien einige Dörfer und Gutshöfe im Umfeld Sagards vorgestellt, die der Schwede Peter Wierling 1694 bis 1695 aufsuchte. Zu vielen Angaben war er auf die Auskünfte der nicht immer hilfsbereiten Jasmunder angewiesen. Die schwedischen Texte wurden 1952  durch die Historikerin Frau Dr. Kalähne ins Deutsche übertragen.

Abb. 3.  Getreidefeld mit Hocken bei Bergen. Aufnahme A. Leube 1960

              Abb. 3. Getreidefeld mit Hocken bei Bergen. Aufnahme: A. Leube Sommer 1960.

In den Dörfern Promoisel, Sehlitz, Drosevitz, Groß und Klein Volkssitz gab es noch selbständige Bauernwirtschaften – meist war es nur noch ein Bauernhof. Sie bauten relativ häufig Roggen, Gerste, Hafer und Erbsen an. Lediglich der Weizenanbau differierte. Vermutlich hatte der Bauer von Klein Volksitz sein Weizenmehl nach Sagard verkauft. Alle bauten gern und viel Erbsen an.

Die Erbsen waren ein pommersches Lieblingsgericht (Fritz Reuter, Läuschen un Riemels):

„De pommersch Bur, dei is tau kenn‘
wenn hei’t Gewehr fött bi dat Enn‘,
wenn hei den Kolben fluschen lett
un wenn hei dicke Arwten frett“

Stand

Weizen Roggen Gerste Hafer Erbsen Lein

Bauer/Promoisel

3 15 18 12 6

½

Bauer/Falkenberg

3 12 12 10 5 ½
Bauer/Poissow 3 30 30 20 12

1

Bauer/Gr. Volksitz

4 14 18 24 8 ½

Bauer/Pluckow

5 7 15 10 6 ½

Bauer/Kl. Volksitz

10 8 18 24 8

½

Bauer/Sehlitz 12 14 14 6

½

Bauer/Drosevitz   20 12 12 1

1

Kossat/Promoisel

    3 3-4    

Kossat/Rusewase

  4 4 3 1 ½ ½ – 1/6

Kossat/Quatzendorf

  2 2 ½ 4    
Kossat/Klementelvitz   24 24 30 3

1/2


Tab. 1.
Aussaatmenge der Bauern und Kossaten 1695 nach Scheffeln: ausgewählte Beispiele (nach Kalähne 1952, S. 28 ff.).

Die bebaute Ackerfläche wurde von Peter Wierling nach den Bodenwerten gegliedert, kartiert und danach besteuert. Der schlechtere Acker (schwed. öder, also „trist“) wurde besonders beachtet. Auch die oft sehr geringe Heuernte zur Viehversorgung über Winter fand gezieltes Interesse. Es gab sogar Vorschläge des Schweden, wie man die Heuernte erhöhen könnte. 1695 gab es noch eine beachtliche Wald- und Viehweide. In Rusewase, Sehlitz, Falkenberg und Wesselin erreichte sie Höhen von mehr als 50 Morgen (Tab. 2).  Die Hofstelle Beustrin war 1695 noch „wüst“, d. h. nicht bewohnt.

Ort Acker Öder Acker Wiese Heu-fuhren Wald- und Viehweide. Hofstelle Gesamt
Sehlitz 104:216 3 16:295 20 73:80 3:9 306(200 ha)
Mönkendorf 96:187 12 1:228 2 22:75 1:80 132(86 ha)
Klementelvitz 79:00 1:150 2:190 4 29 0, 276 111(73 ha)
Poissow 62:235 8:285 1 2 116 0, 80 187 (123 ha)
Groß Volksitz 61:196   7:170 10 25 11 104(68 ha)
Quatzendorf 55:188   0, 262 1 17 0, 160 73(48 ha)
Drosevitz 48:226   5 3 46:112   99(65 ha)
Falkenberg 31:150   4:80 8 55:220 0, 80 90(59 ha)
Pluckow 30:156   2:154 3 10 1:75 43(28 ha)
Wesselin 27:150   1:150 1 58   86(56 ha)
Beustrin 18:114 2 8:70 12 35:150 Wüst 63(41 ha)
Rusewase 12:232 12:80 9:225 8 88 2:40 123(81 ha)

Tab. 2. Sagard und Umgebung. Ausgewählte Acker- und Hofflächen des Jahres 1695  in pommerschen Morgen und Quadratruten gemessen (nach Kalähne 1952, S. 33 ff.).

Promoisel im Jahre 1695

Der Acker der von abhängigen Bauern und Kossaten bewirtschafteten Domäne Promoisel wurde in 5 Schlägen bewirtschaftet. Der Acker bestand aus Lehmboden mit Humusgehalt, so dass er auch in mittelmäßigen Jahren ziemlich gute Winter- und Sommersaat trug (nach Kalähne 1952, S. 27, Folie 257). Außerdem betrieb man zur Landwirtschaft noch eine Imkerei.

In Promoisel waren einige Flächen hügelig und konnten 1695 nicht gut bestellt werden, so dass sie als Viehweideland genutzt wurden: „Dieses Weideland ist an verschiedenen Stellen mit kleinen Büschen bewachsen, so dass die Erbpächter davon notdürftig Zaunsträucher und Backofenholz haben, aber zum Brennen nehmen sie aus der Stubbenitz, welche von hier nicht weit entfernt ist. Die Hofstellen sind mit kleinen Kohlgärtchen (ausgestattet), aus welchen sie Kohl für den eigenen Bedarf bekommen“ (übersetzt nach Kalähne 1952, S. 27 f., Folie 257). Von den Wiesen konnten in Promoisel jährlich 18 Fuhren Heu geerntet werden. Die Fuhren wurden von einem Vierergespann mit Pferden gezogen.

Sehlitz/Seeltze im Jahre 1695

Der Boden von Sehlitz wurde als „ziemlich guter lehmig-humoser Boden, welcher gutes Winter- und Sommergetreide trägt“, beschrieben (Kalähne 1952, S. 55). Das waren etwa 46 (pommersche) Morgen. Dazu kam in Sehlitz ein „Lehmboden, welcher aus Hügeln und Tälern besteht“. Da er aber auch mit Sand vermischt ist, trägt er nur bei „nicht so großer Hitze ziemlich gut Getreide von allerhand Art“. Das waren dann 54 Morgen (vgl. Tab. 2). Als Lehmboden wurde das Flurstück „Lesenick“ am Kossen-Haus (Kossäten-Haus) bezeichnet – das waren etwa 4 Morgen.  Hier lagen auch drei Wiesen mit nur einem Morgen sowie weitere acht Wiesen am Ackerfeld mit 15 Morgen (Tab. 2; Kalähne 1952, 55). In Sehlitz wurde wie in Promoisel der Acker jährlich bestellt, allerdings wurden „8 oder höchstens 9 Morgen jährlich als Brache liegen gelassen, aber wenn das Dorf bewohnt ist wie ehemals, so können hier nicht so viele Morgen brach liegen, sondern müssen zumeist besät werden“ (Peter Wierling nach Kalähne 1952, S. 55).

Abb. 4. Goldberg. Neu angelegter Kreidebruch. Aufnahme Fr. Biederstädt. 2015.

Abb. 4. Goldberg. Neu angelegter Kreidebruch. Aufnahme: FR. Biederstädt, Sassnitz.
Sommer 2015.

In Sehlitz erntete man jährlich 12 „gute Fuhren Heu“ und der Vermesser ergänzte: „Wenn diese Wiesen in Acht genommen werden, so können wohl von ihnen 20 Fuhren eingebracht werden“ (Kalähne 1952, S. 55). Daher besteuerte er auch 20 Heufuhren und nicht die bisherigen 12 Fuhren (Tab. 2).

Dazu kam in Sehlitz ein recht großes Viehweideland „ringsherum und im Ackerfeld, meist mit kleinem Gebüsch bewachsen“ – im Umfang von 73 Morgen. Dazu wurde noch vermerkt: „Viehweide ist so ziemlich bei diesem Dorf, und wenn sie etwas abgeweidet worden ist, so können sie ihr Vieh in den Stubbenitz-Kronwald zur Weide treiben, welcher nicht weit von hier gelegen ist. Wald ist bei Seeltze nicht nur für der Bauern eigenen Bedarf, sondern sie können auch jährlich etwas Frischholz oder Trockenholz samt Zaunsträuchern verkaufen“ (Kalähne1952, S. 55 f.). Die Dorfstelle von Sehlitz war mit 3 Morgen recht groß.

Rusewase/Russewase im Jahre 1695

In Rusewase wurden 12 Morgen guten und die gleiche Größe „tristen“ Ackers bestellt und jährlich besät: „Jeder Kossat pflegt 5 Morgen zu haben, um zu bebauen, und es besteht der Acker aus lehmvermischtem Sand, der jetzt sehr mager ist und schlechtes Getreide trägt, aber wenn er richtig bebaut und gedüngt wird, so könnte er schließlich mittelmäßig gut Winter- und Sommersaat tragen. Der ganze Umfang mit Olufs Acker beträgt  12 Morgen“ (nach Kalähne 1952, S. 31 f.). Peter Wierling meinte mit „Oluf“ den Schweden Oluf Bengtson, der ihm sehr behilflich war.

Abb. 5. Maße und Gewichte (nach dem Rügenschen Heimatkalender 1938, S. 32)

Abb. 5. Maße und Gewichte (nach dem Rügenschen Heimatkalender 1938, S. 32).

Zu dieser Zeit waren noch nicht alle Berge und Anhöhen Jasmunds zu Ackerflächen umgewandelt worden. So hieß es bei Wierling: „Bei Russewase ist gutes Viehweideland mit Wald bewachsen; und es kann hier genug Vieh über Sommer gegen Geld in Weide genommen werden, denn Russewase hat nicht nur selbst Weideland sondern hat auch den danebengelegenen Kronwald Stubbenitz, worin gute Viehweide ist und das Vieh dort allzeit eingetrieben werden kann“ (nach Kalähne 1952, S. 33).

Der Landvermesser empfahl aber, diese „zu Acker umzupflügen“, denn „wenn sie recht bearbeitet werden“, würden sie Getreide tragen (Kalähne 1952, S. 32). Das galt dann auch für fünf kleine Wiesen, „welche sumpfig und naß von geringem Graswuchs sind“. Sie waren neun Morgen groß. Sie brachten jährlich 4 Fuhren Heu ein – „aber wenn die Wiesen in Acht genommen werden, so kann wohl beim ganzen Dorf in allem 8 wohlbehaltene Fuhren bekommen“ (Kalähne 1952, S. 32). Auch hier besteuerte Wierling die gewünschte Heu-Menge mit acht Fuhren.

Die Ernteerträge waren stets in Rusewase zu gering, so „daß die Einwohner bei diesem Ackerbau nicht ihre jährliche Nahrung haben könnten, sondern sie müssen durch den Wald etwas verdienen, auch durch ihr Vieh, welches sie mit anderem Vieh über Sommer in Weide nehmen“ (Kalähne 1952, 33 f.).

Der Viehbestand 1695 auf Jasmund

Im Jahre 1695 wurde auf Jasmund noch ein geringer Tierbestand gehalten. Ob diese Angaben den Realitäten entsprachen oder bewusst niedrig angegeben wurden, muss offen bleiben.

Stand

Pferde Milchkühe Jungrinder Schafe Ochsen Schweine Hühner Gänse

Bauern/Promoisel

8 4 – 5 3 4 – 5        
Kossat/Promoisel

2 – 3

2

           
Kossat/Rusewase

2

1 1   1 1 Sau;
4 Ferkel

2

 
Kossat/Rusewase   2       1 Sau;
2 Ferkel
  2
Oluf Bengtson/ Rusewase   3 2 Bullen,
Kälber,
1 Färse
    2 Sauen,
2 Ferkel

2 und
1 Hahn

 

Klementelvitz/
Pächter Wewetzer

8

10

?

8-10

       
Quatzendorf/Kossat 2-4              

Tab. 3. Viehbestand der Bauern und Kossaten im Jahre 1695 nach ausgewählten Beispielen (nach Kalähne 1952, S. 28 ff.).

Die Vielzahl der Pferde erklärt sich, dass „ihr Acker manches Jahr sehr schwer zu bearbeiten ist, da er zumeist Lehmboden ist“ (Kalähne 1952, S. 28). Die Schafe wurden im Sommer geweidet bzw. sie nehmen Schafe zur Weide und bekommen „Weidegeld“ bzw. einen Teil der Lämmer.

1909 vermerkte der „Rügensche Heimat-Kalender“ für diese harte landwirtschaftliche Arbeit:

„Jede Scholle muß man pflegen,
denn im Boden liegt der Segen,
der, geweckt durch Müh und Fleiß,
alles lebend gibt zu leben“.

Die Steuern, Abgaben und Leistungen im Jahre 1695

Die jährlichen Abgaben dieser Bauern und Kossaten waren 1695 beachtlich, wie das Beispiel Promoisel belegt:

  1. „Waldhafer“ als Abgabe für die freie Nutzung der Stubnitz gab das gesamte Dorf Promoisel in Höhe von 17 ¾ Scheffel.
  2. Jeder Bauer gab in Promoisel jährlich 2 Scheffel Bischofsroggen.
  3. Jeder Bauer gab vierteljährlich 28 Schillinge an Akzise, jeder Kossat 9 ½ Schillinge und ein Einlieger 7 Schillinge.
  4. „Reutergeld“ in Höhe von 30 Schillingen gab das gesamte Dorf.
  5. Regierungsdeputat in Höhe von 12 Schillingen musste jährlich gezahlt werden.

Die schwedische Steuervermessung nannte für den Kossaten Ties Lokewitz (aus Promoisel?) an Abgaben:

  1. Reutergeld pro Monat in Höhe von 4,9 Schillingen
  2. Gerichtsgeld zweimal im Jahr in Höhe von 3 Schillingen
  3. Abgabe für die Hufe 12 Schillinge im Jahr
  4. Kopfsteuer in Höhe von 18 Schillingen
  5. Akzise in Höhe von 40 Schillingen
  6. Dienstgeld in Höhe von 2 bis 3 Reichstalern
  7. Regierungsdeputat-Holz 2,6 Schillinge
  8. Viehsteuer in Höhe von 15 Schillingen

In Rusewase lebten zwei Kossaten, auf jeden kamen folgende Dienste: „Der Kossat diente 3 Tage in der Woche auf Dubbenitz (Dubnitz) mit einer Person zu Fuß, aber in der Ernte diente er alle Tage in der Woche mit einer Person zu Fuß, doch bekommt er Essen und Trinken auf dem Hofe, wenn er dort arbeitet“ (Kalähne 1952, S. 31).

Für Nipmerow heißt es: „Der Bauer dient 3 Tage in der Woche mit 4 Stück Pferden und 2 Personen, dazu einen Tag in der Woche mit einer Person zu Fuß. Kossaten sind 6 Stück hier im Dorf und jeder dient 3 Tage in der Woche mit einer Person zu Fuß. In der Ernte dienen sowohl der Bauer als auch die Kossaten alle Tage in der Woche mit den üblichen Leuten und Vieh, wie es nötig ist“ (Kalähne 1952, S. 83).

Für Groß Volksitz und Klein Volksitz wurde genannt: „Die anwesenden Einwohner sind untertänig und leisten jetzt auf dem Spiekerschen Ackerhof Polkewitz (Polkvitz) Dienst; jeder Bauer dient drei Tage in der Woche mit 4 Stück Pferden und 2 Personen, dazu einen Tag in der Woche mit einer Person zu Fuß; aber in der Ernte dient jeder Bauer alle Tage mit Leuten und Vieh, wie es auf dem Ackerhof notwendig ist“ (Kalähne 1952, S. 69).

Der Bauer hatte immerhin eine halbe Landhufe (also 15 pommersche Morgen) zu bebauen, der Kossat dagegen 7½ Morgen.  Die Bauern auf Jasmund waren Erbpächter. Einige hießen:

  1. Georgen Kaal (später: Kahl)
  2. Petter Lockewitz (später: Lokenvitz und daraus Looks)
  3. Joicom Mugge (später Mücke)
  4. Claus Hafmann (später: Hofmann)
  5. Claus Pentz (später: ?)
  6. Paul Hagmeister (später: Hagemeister)

Das sind zugleich die ältesten Familiennamen auf Jasmund.

Person

Akzise Kopfsteuer Tribunal-
steuer
Magazin-
Korn
Wald-
Hafer
Reuter-
Steuer
Bischofs-
Roggen
Hufen-
Steuer
Drevis Möller/
Rusewase

38 Schillinge

18 Schillinge 3 Schillinge 2 Scheffel  4Scheffel 72 Schillinge    

Oluf Bengtson/
Rusewase

28 Schillinge              
Sehlitz/gesamt         8 Scheffel   3 ¾ Scheffel  

Drosevitz/
1 Bauer

84 Schillinge         38 Schillinge   X
je
Groß Volksitz und
Klein Volksitz

84

Schillinge

    8 Scheffel   468 1 ¼  
Poissow/
1 Bauer
56 Schillinge         240 Schillinge 1 ½ Scheffel  
Falkenberg             1 Scheffel  

Pluckow

            1 Scheffel  

Klementelvitz/
Pächter

2 Reichstaler       6 Scheffel  

6 Scheffel

Tab. 4.  Jährliche Abgaben der Bevölkerung: ausgewählte Beispiele  (nach Kalähne 1952, S. 34 ff.).

Auch in Rusewase wurden „Magazinkorn“ und „Waldhafer“ gemeinsam in Höhe von zwei bzw. vier Scheffeln gegeben. Dazu kamen noch weitere Abgaben, wie sie für Sehlitz und Klein Volksitz  bzw. Groß Volksitz belegt sind: „An Spicker (Schloss Spyker) gibt jeder Bauer jährlich 4 Stück (Pacht-) Hühner und der Kossat 2 Stück. Jeder Bauer lässt jährlich für Spicker für 6 Mark Lein spinnen und der Kossat für 10 Mark Werg (Hede)“ (Kalähne 1952, S. 57). Auch aus Poissow, Falkenberg und Pluckow hat jeder Bauer jährlich vier Pachthühner an Spieker zu geben, dazu noch jährlich für 6 Mark Lein zu spinnen (Kalähne 1952, 82).

Ein Fazit – „de Knubbenbieters“

Die Matrikelvermessung des Jahres 1695 durch den schwedischen Landvermesser Peter Wierling gibt uns einen deutlichen Einblick in die Zeit vor mehr als 300 Jahren. Es folgte nun im 18. Jahrhundert eine weitere Besteuerung der Bevölkerung mit zahlreichen Angaben zur Sozialstruktur, zur Landwirtschaft und Kulturgeschichte Jasmunds.

Jasmund war lange Zeit eine vom Inselkern isolierte Landschaft. Nach dem Volkskundler und Historiker Alfred Haas (1860-1950) bildete sich auf Jasmund sogar ein eigentümlicher plattdeutscher Dialekt heraus, in dem „die Vokale vielfach dumpfer als die übrigen Rügianer ausgesprochen wurden“ (Haas 1920, S. 19). Auch erfolgte eine stärkere Verschleifung der Endsilben. So hieß es noch 1849: „dat Füür will nich baan“ (also „barnen“ für „brennen“), „de Wind weijt so houhl“ (hohl), „de Kreijen sitt’n up Poul“ (Pfahl) oder „dat wad (wird) doin“ (statt plattdeutsch „däujen“ für tauen).

Wie uns Haas berichtete wurden die Jasmunder früher als „Knubbenbieters“ bezeichnet (Haas 1920, S. 19). Das Wort bedeutet „Knotenbeißer“ und besagt, die Jasmunder sind Leute, die sich nicht erst lange Mühe geben, einen Knoten aufzulösen, „sondern ihn kurzweg durchbeißen, also Leute, die gerade darauf losgehen“ (Haas 1920, S. 19).

Vielleicht kann man das hier Dargestellte einmal vertiefen und eine geordnete und wahrhafte „Geschichte Jasmunds“ ausbauen.

200 Jahre „Seebad Putbus“

Gegenwärtig begehen wir auf Rügen ein bemerkenswertes Jubiläum. Es ist die Entstehung des Bäderwesens an der offenen See.

Abb. 1. Goor. Das 1818 errichtete Badehaus (nach Ewe, Rügen, 1986, S. 49)

 

Abb. 1. Goor bei Lauterbach. Das 1818 errichtete „Friedrich-Wilhelms-Bad“ (nach Ewe,          Die Insel Rügen 1986).

1816 wurde in Neuendorf bei Putbus die erste Seebade-Anstalt durch die Putbusser Fürstenfamilie eingerichtet und 1818 durch den Bau des „Friedrich-Wilhelms-Bades“ in der Goor erweitert. Einige Jahre zuvor begann der Fürst Wilhelm Malte I. (1783-1854) mit dem klassizistischen Auf- und Ausbau des Ortes Putbus. Das sind jetzt 200 Jahre rügensche Badegeschichte, denn hier in und um Putbus begann alles das, was gegenwärtig in Binz, Sellin, Baabe und Göhren einen Höhepunkt des Tourismus erlebt.

Baden in der offenen See

Über diesen frühen Beginn scheint in der Allgemeinheit wenig bekannt zu sein und die jüngsten Reisebeschreibungen gehen gleichfalls darauf nicht ein. Richtig ist, dass der Beginn des Seebadens in Neuendorf bei Lauterbach im flachen und wellenberuhigten „Rügischen Bodden“ – einer Ausbuchtung des „Greifswalder Boddens“ – lag.

Abb. 2. Neuendorf. Umgebautes Bauernhaus mit Walmdach

Abb. 2. Neuendorf bei Putbus. Umgebautes rohrgedecktes Bauernhaus mit abgewalmtem Dach. Der Ort zeichnet sich durch eine Anzahl gepflegter alter Bauernhäuser aus und wurde in DDR-Zeiten mehrfach preisgekrönt.

Blicken wir zurück. Nach unserem aus Bergen stammenden zeitgenössischen Gewährsmann und Historiker Johann Jacob Grümbke (1771 – 1849), der 1819 die beste Rügen-Historie verfasste, entstanden „etwa seit 1810“ in der Linden-Allee die ersten „Colonistenhäuser“. Bis 1817 waren bereits 16 Gebäude inklusive des Gasthofes „Fürstenhof“ errichtet. In einem dieser „Colonistenhäuser“ hatte der Fürst Malte I. bereits ein Badehaus mit vier Wannenbädern eingerichtet, in denen „schwache Personen, denen das Seebad nicht zuträglich seyn mögte, warm und kalt baden konnten“ – so berichtete Grümbke. 30 Jahre später gab es bereits mehr als 70 Häuser u. a. in der Linden-Allee, dem Marktplatze und der Luisenstraße.

Der Bau des Friedrich-Wilhelms-Bades im Jahre 1818

Ausschlaggebend für diese Entwicklung war der Besuch der Putbusser Fürstenfamilie 1809 bis 1811 im Seebad Doberan und der Putbusser Besuch des kulturinteressierten Karl Graf von Hahn (1782-1857), der die Fürstenfamilie ermutigte ein Seebad anzulegen. Es war also jene Zeit, da in Putbus ein regelrechter Bauboom herrschte und die Fürstenfamilie zu Putbus auch nach neuen Finanzierungsquellen suchte. Eine davon war das Baden im Ostseewasser, das offiziell 1815 einsetzte. Grümbke berichtete weiterhin, dass bei Neuendorf „zu diesem Zwecke Leinwandzelte am Strande aufgeschlagen wurden für die badenden Herren, während die Badekarren für die Damen in das tiefere Wasser hinausgefahren wurden“.

Abb. 3. Badekarren nach Ewe Rügen S. 45

 

Abb. 3. Badekarren des frühen 19. Jahrhunderts (Abb. nach Ewe, Die Insel Rügen 1986).

Am Geburtstag des preußischen Königs Friedrich Wilhelm III. (1770-1840) im Jahre 1818 – also am 3. August 1818 – wurde der Grundstein zum „Badehaus“ in dem herrlichen Buchenwald, der Goor, gelegt. So zählte vor dem I. Weltkrieg das „Friedrich-Wilhelms-Bad“ wegen „seiner idyllischen Lage zu den schönsten Plätzen Rügens“.

Das Badehaus in der Goor. Die Jahre 1819 – 1840

1819 wurde das große elegante Badehaus in der Goor errichtet, das durch Kabinettsordre vom 13. August 1818 den Namen des preußischen Königs „Friedrich-Wilhelms-Bad“ erhielt. Vier Jahre zuvor – im Jahre 1815 – war Rügen aus dem schwedischen Staat ausgeschieden und preußisch geworden. Schon im April 1820 warb die „Fürstliche Bade-Direction“: „Friedrich- Wilhelms-Bad zu Putbus. Die hiesigen Seebäder werden zu Mitte Juny eröffnet, die billigen Preise der vorigen Jahre bleiben unverändert und werden wir Sorge tragen, daß wegen des Essens die nämliche allgemeine Zufriedenheit herrschen soll, wie in der vorigen Saison“ (Stralsundische Zeitung Nr. 40 v. 4. 4. 1820).

Abb. 4. Goor. Historische Badewanne. Aufbahme  A. Leube 1988

Abb. 4. Goor. Historische Badewanne. Aufnahme: A. Leube 1988.

1824 wurde das Badehaus umgebaut und erhielt das heutige Aussehen. Die Vorderseite wurde als Säulenhalle mit 18 mächtigen Säulen im griechisch-dorischen Stil erbaut. Das Innere erhielt eine Kassettendecke. Granitene Stufen führten hinauf, deren mittlere von zwei in Bronze gegossenen Löwen (nach dem Bildhauer Rauch) flaniert wurden: „Die nach hinten gehenden Seitenflügel waren unter sich verbunden und bildeten zwei geräumige Höfe, in denen Pyramidenpappeln und Blumenbeete einen stilvollen Schmuck bildeten. Das Gebäude enthielt zehn Badezimmer, von denen zwei mit in Florenz gearbeiteten weißen Marmorwannen und zwei andere mit Fayence-Wannen ausgerüstet waren“. Die „Badezellen“ waren luxuriös mit Sofas, großen Spiegeln, Tür- und Fenstervorhängen, Toiletten und Fußteppichen sowie einer Glocke zum Herbeirufen des Badepersonals sowie einem Thermometer eingerichtet.

Abb. 5. Sassnitz. Historische Badewanne. Aufnahme  A. Leube 2010.

Abb.5. Sassnitz. Historische Badewanne – heute vor der Schwimmhalle stehend. Aufnahme: A. Leube 2009.

Das kalte Seewasser wurde in hölzernen Röhren aus der See ins Badehaus und hier durch eine Reinigungsanlage in metallenen Röhren zu den Zellen geleitet. „Ein Teil des Wassers wurde erhitzt, so dass in den Zellen heißes und kaltes Seewasser aus zwei über den Wannen befindlichen Messinghähnen entnommen werden konnte“.
Auch das von einem Fürsten betriebene Bad war vor Dieben nicht gefeit. Im Winter 1828 wurde in der Goor aus der „hiesigen Bade=Restauration“ im Februar 1828 „ein großer eingemauerter kupferner Kessel ausgebrochen und entwendet worden“ (Stralsundische Zeitung Nr. 24 v. 23. 2. 1828).

Das Badehaus wurde mit einer geraden Alleen-Straße mit Putbus verbunden. Diese Straße hat die Zeiten bis heute überdauert.

Das alles hatte sich nach dem Zusammenbruch des deutschen Kaiserreiches geändert. Nun gehörten Lauterbach und Neuendorf zu den billigsten Seebädern Rügens und hatten im Jahre 1924 nur 600 Urlauber. Seit 1924 legten auch die Dampfer aus Greifswald nicht mehr in Lauterbach an. Allerdings bestand seit 1895 eine Eisenbahnverbindung und man erreichte Lauterbach vor 1936 (Bau des Rügendammes!) vom Berlin-Stettiner Bahnhof aus in 5 1/2 Stunden.
Während des I. Weltkrieges diente das „Friedrich-Wilhelms-Bad“ als Lazarett und wurde nach 1918 zu Notwohnungen umgerüstet.

Abb. 6. Lauterbach. Werbung des Besitzers des Badehauses (Grieben Nr. 65, 1900)

Abb. 6. Lauterbach. Friedrich-Wilhelms-Bad. Werbung des Jahres 1900 (Griebenreiseführer Nr. 65, 1900).

In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts wurde Rügen und seine landschaftliche Schönheit entdeckt. Bildungsbürger, Fernreisende und Handelsreisende suchten nun die Insel auf und gaben die ersten Reiseberichte heraus. Sie waren sich in einem einig – in ihrem Lob zum damaligen Seebad Putbus. 1846 schilderte der Reisende Friedrich von Schönherr Putbus überschwänglich, denn „es steht eben so unter den übrigen Seebädern der deutschen Nordküste unübertroffen, ja selbst unerreicht da“. Man war sich aber auch in der Schönheit des Ortes, der schönen Lindenallee, des im regelmäßigen Viereck angelegten Marktplatzes und der nördlichen Luisenstraße, einig.

Abb. 7. Haus Goor im Jahre 1993 (Ostsee-Zeitung v. 12. 2. 1993, 11).

Abb. 7. Das Haus Goor im Jahre 1993 (Ostsee-Zeitung v. 12. Februar 1993, S. 11).

Heute ist es im Besitz der Raulffs Hotels (https://www.booking.com/hotel/de/badehaus-goor.de.html). Im Jahre 2007 wurde alles umgebaut zu einem Restaurant und Hotel. Der angrenzende Buchenwald wurde auf Betreiben von Prof. Dr. H. Knapp 1990 als Naturschutzgebiet gesichert und ist seit 2003 im Besitz der Michael-Succow-Stiftung.

Abb. 8.  Goor. Die Hotelanlage heute.

Abb. 8. Goor. Die Hotelanlage heute (nach http://www.hotel-badehaus-goor.de/).
Links das alte Badehaus.

Die weitere Badeentwicklung in Binz

1825 standen in Binz die ersten Badehütten und Badekarren. Im Jahre 1836 besuchte ein Reisender Binz und sah im Strand bei Ahlbeck ein „Landschaftsstück und Stelle einer Seebade-Anstalt“.

Abb. 9. Binz. Der Kleinbahnhof 1977. Aufnahme Kurt Leube, Bergen.

Abb. 9. Binz. Der Kleinbahnhof im Jahre 1977. Aufnahme: Kurt Leube, Bergen.

Und weiter: „In diesen mit Sandhafer, spärlichem Tannenwuchs und dem wilden Brombeerstrauche bestandenen, öden Dünen stehen einige Hütten, worin der Bademeister wohnt, und weiter draußen am äußersten Strande einige Schilderhäuser und Badekarren, zum trefflichen Genuß des Bades in der offenen, stets bewegten, kräftig brandenden See auf sammetweichen Grunde, im Rücken geschützt von schroffen waldigen Bergwänden, entfernt vom Geräusche des geselligen Treibens, im innigsten Verkehr mit romantisch-wilder Natur-Einsamkeit, ihren ungeschminkten Reizen und ungestörtem Frieden. Wer für seine Kur zugleich Erquickung der Seele, Zurückgezogenheit und Ruhe sucht, der kann es nicht schöner und behaglicher finden“. 1870 zählte man im Sommer in Binz erst 80 Gäste und 1874 bereits 500 Gäste.

Garz auf Rügen – die älteste Stadt Rügens

Die Anfänge der Stadt Garz – vor fast 700 Jahre begann alles!

Es ist wohl wenig bekannt, dass der ländliche Ort Garz im Südwesten Rügens die älteste Stadt Rügens verkörpert. Die Stadt Garz besaß bereits 1319 – sie hat demnach ihr 700jähriges Stadtjubiläum in zwei Jahren vor sich – einen städtischen Rat und eigene Gerichtsbarkeit. Einen Markt, Stadttore oder eine Stadtmauer hatte Garz nie. Man nutzte aber die Lange Straße/Ecke Lindenstraße als Markt. Das älteste Garzer Stadtbuch der Jahre 1351 bis 1586 ist nicht nur für Garz eine einmalige Geschichtsquelle.

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Abb. 1. Garz. Blick vom Süden auf die Backsteinkirche. Aufnahme: A. Leube 2006.

Seit dem Jahre 1353 sind eine Fülle von Handwerkern, wie Schuster, Schneider, Bierbrauer, Müller, Gerber, Schlächter, Schmiede, Töpfer, Maurer usw., die sich später in mindestens sechs Gilden organisierten, nachgewiesen. Seit 1438 durfte auch Tuchhandel betrieben werden. An das enge Zusammenleben von Handwerkergruppen erinnern die Schmiede- und Töpferstraße sowie der „Kütergang“ (Fleischerstraße). Die Fleischer-Innung umfasste im Jahre 1901 allein 19 Meister, die fünf Gesellen ausbildeten. So richtete 1873 Carl Pieck in der Lindenstraße eine Fleischerei ein. Diese einst handwerklich orientierte Stadt hatte recht früh eine sozialdemokratische Ausrichtung. 1874 wählten von etwa 210 Wählern nahezu 170 – also etwa 80% der abgegebenen Stimmen – den Sozialdemokraten Carl Hirsch.
Im gleichen Jahr 1873 wurde der Amtsbezirk Garz gebildet, der fast 2 000 Einwohner in mehr als 20 Ortschaften umfasste. Die Stadt Garz selbst hatte 1893 1 918 Einwohner und war 1925 mit 1 933 Bürgern nur wenig größer. Dabei wurden vor 1900 jährlich in der Kirchgemeinde Garz etwa 100 Kinder geboren. Jedoch verzogen viele Garzer Einwohner, wie auch die Kindersterblichkeit hoch war.

„Friede ernährt – Unfriede verzehrt“

Dieses alte deutsche Sprichwort gilt auch für die Entwicklung der Stadt Garz. Der dreißigjährige Krieg der Jahre 1618 bis 1648 und der Nordische Krieg von 1700 bis 1715 sowie die Stadtbrände in den Jahren 1701 und 1724 führten nach einer Blütezeit zum städtischen Niedergang, der erst um 1815 sein Ende fand. So bestand die Stadt Garz 1743 mit etwa 700 Einwohnern aus etwa 120 strohgedeckten Häusern an acht ungepflasterten Gassen. 1954 schrieb dazu der Garzer Heimatforscher Ernst Wiedemann (1883-1958): „Ein ‚Strafpfahl‘ und ein ‚wohlgemauertes Gefängnis‘ waren (daneben) vorhanden. So sah also die Stadt nach den schweren Katastrophen aus. Der Wohlstand ihrer Einwohner war dahin“ (Ostsee-Zeitung/Ausgabe Kreis Putbus, Nr. 12 v. 15. 1. 1954).
Besonders verhängnisvoll war die große Feuersbrunst vom 8. Mai 1765, in der mehr als 50 Häuser in Garz niederbrannten. Ein starker Wind hatte somit die Hälfte der Stadt durch einen Feuersturm vernichtet.
Mit Sagard, Gingst, Putbus, Altenkirchen und Bergen gehörte Garz im Jahre 1874 zu den sieben traditionellen Marktorten Rügens. Garz hatte regelmäßig im Frühjahr, Sommer und im Herbst seinen „Krammarkt“ mit zugehörigen Würfel- und Schaubuden sowie Karussells und Schaukeln.
1890 wurde in Garz eine der acht rügenschen Molkereien mit Käsefabrikation gegründet. Um 1900 begann aber auch die Konkurrenz der Großbetriebe, die vornehmlich von den Städten Stralsund, Greifswald und Stettin aus über Rügen ihren wirtschaftlichen Einfluss ausdehnten. Sie leiteten den zeitweiligen Niedergang der Wirtschaft in Garz ein. Zwischen 1936 und 1939 gab es wenigstens 22 größere Geschäfte, Handwerksbetriebe und Gaststätten, so das Kaufhaus Wenzel, den Kaufmann Paul Kasten, den Tischlermeister Paul Franz, die Elektromeister Willy Puppe und Hermann Ohlrich, die Fleischermeister Walter Behnke, Kurt Siegbrecht und Ulrich Schade, den Autobetrieb Otto Sandhop, das Baugeschäft Richard Wilde, die Schuhmachermeister Walter Götz und Paul Papenbrock sowie den Schneidermeister August Knöppel.
An diese verheißungsvolle Entwicklung konnte auch in der DDR-Zeit nur begrenzt angeknüpft werden. Im November 1989 brach sich daher auch in Garz der allgemeine Unmut Bahn. Man vermisste u. a. ein Kino, eine Gaststätte, „in der man sich verwöhnen lassen kann“, eine Turnhalle usw. Bärbel Wolfgram berichtete darüber in der „Ostsee-Zeitung“.
1992 und 1993 begann dann die Garzer Stadtsanierung auf einer Fläche von 27 ha Größe. Sie umfasste die Wasser-, Energie- und Abwasserleitungen inklusive den Bau einer Kläranlage. Ja, Bürgermeister Klaus Koesling – ihm folgte 1995 Klaus Meißner – schätzte damals einen Bedarf in Höhe von 60 Millionen DM und eine Bauzeit von 20 Jahren, also bis 2012. Im August 1993 war die Rekonstruktion der Hunnenstraße mit den Nebenstraßen unter Lübecker Bauleitung für drei Millionen DM abgeschlossen und man sprach von der „schönsten Straße Mecklenburg-Vorpommerns“. Die Kläranlage wurde 1994 für immerhin sechs Millionen Mark in Betrieb genommen.

Garz – Verkehrsknotenpunkt seit dem 10. Jahrhundert

Die Bedeutung des Ortes erwuchs u. a. daraus, dass in Garz die Ost-West-ausgerichtete Landstraßen Altefähr – Garz – Putbus – Mönchgut sowie die Nord-Süd-verlaufende Straße von der Glewitzer Fähre – Garz – Bergen – Trent – Wittow aufeinander trafen. Damit umgingen sie das Moorgebiet im Bereich der „Schleuse“ westlich der Stadt. Möglicherweise hatte Garz über den Garzer See sogar eine Verbindung zum Strelasund. An der „Schleuse“ (de Slus‘) fand man vor drei Jahrhunderten Reste eines Bollwerks und Eichenstämme als eine Art Schiffs-Anlegestelle – vielleicht seit dem 12. Jahrhundert. Auch der Name der „Poggenstraße“ – d. h. „Froschstraße“ – erinnert an dortige Sümpfe.

Abb. 2. Garzer Stadtwappen (nach Ostsee-Zeitung v. 28. bis 29. Januar 1989

Abb. 2. Stadtwappen von Garz, das einem Stadtsiegel des 14. Jahrhunderts nachgebildet wurde.

Wir erkennen auf dem älteren Stadtwappen, das 1994 von dem Sagarder Gerhard Koggelmann modifiziert wurde, eine Burg mit geöffnetem Tor, mit einem breiten Zinnen-Turm und zwei runden Kuppeltürmen. Auf dem Mittelturm weht eine weiße Kirchenfahne mit dem roten Greif.

„Vereint im Vereine“ – das einstige gesellige Leben in Garz

Die Stadt nahm im 19. Jahrhundert und den folgenden Jahren bis 1914 eine größere Bedeutung als Handwerks- und Handelszentrum, wie auch als Zentrum der Geselligkeit, im Südwesten Rügens ein. So gab es eine Fülle an Hotels und Gasthöfen, in denen sich die Städter und die Landbevölkerung trafen. Am bekanntesten war das „Hotel du Nord“ – heute steht hier EDEKA. 1902 legte der damalige Besitzer Seelow – Vorbesitzer war der aus Berlin stammende Karl Tiedt – im „Hotel du Nord“ (später „Nordischer Hof“) das Acetylen-Licht, eine Art von Kunstlicht, an. Das war der Beginn der Elektrifizierung in Garz. Daneben gab es das „Hotel Prinz von Preußen“, „Sander’s Gasthaus“, den Gasthof „Zur Insel Rügen“ (an der Schleuse) und den „Gasthof zum Deutschen Kaiser“. 1896 wurde das „Bahnhofs-Hotel“ unter Gastwirt Rathke gebaut. Die Gaststätten wurden recht oft verkauft und wechselten dabei auch ihre Namen. 1932 gab es neben dem „Hotel Nordischer Hof“ den „Lindenhof“ (erbaut vom Schlächtermeister Wilhelm Segler), „Pankows Gasthof“, „Giertz‘ Gasthof“ und „Juhls Gasthof“.
Im 19. Jahrhundert war die Bevölkerung gleichfalls gesellig und aktiv. Der Wahlspruch „selbst ist der Mann“ war eben verbreitet. Es gab mit dem Seilermeister Heinrichs, dem Kaufmann Kasten und dem Schneidermeister Töllner um 1900 geeignete Persönlichkeiten, die zu mobilisieren verstanden. Dafür sorgten auch ein „Bürger- und Arbeiterverein“, dessen „Sterbekasse“ („de Doden-Beliewung“) – eine Art Sterbeversicherung – allein im Jahre 1902 126 Mitglieder besaß, und ein 1876 gegründeter „Gewerbe-Verein“.
Bekannt und beliebt waren der Männergesang-Verein und die 1747 gegründete Schützen-Gilde. Dazu gab es auch in Garz die militanten und nationalistischen Veranstaltungen des 1877 gegründeten „Krieger- und Militärvereins“.

Abb. 3. Garz. Erfolg der touristischen Mehrkämpfer - Ostsee-Zeitung v. 2. 12. 1976 Abb. 3. Erfolg der touristischen Mehrkämpfer im Jahre 1976 (Ostsee-Zeitung v. 2. 12. 1976).

Im Februar 1900 hatte sich eine Freiwillige Feuerwehr mit 33 aktiven Mitgliedern gebildet. Sie hatte genug zu tun, da es früher mehr Brände und auch Brandstiftungen gab als heute. Allein im Herbst 1889 brannten die Gutshäuser von Berglase und Tangnitz ab, wie auch der 14jährige Garzer Einwohner Johannes Witt ein rohrgedecktes Wohnhaus anzündete. Er bekam dafür eine neunmonatige Gefängnisstrafe. 1893 brannte in der Schmiedestraße das älteste Garzer Haus ab – einige Tage zuvor war es mit 800 Talern versichert worden. Welch ein Zufall, welch ein Glück?
Dazu kam eine sehr rührige Sportbewegung in Garz. Der 1883 gegründete Garzer Turnverein hatte 1893 63 Mitglieder und trat allein im Jahre 1901 an 103 Abenden öffentlich mit einem Schauturnen auf! 1896 hatte sich sogar ein bescheidener Radfahrer-Verein gebildet. Seit 2010 gibt es die „Garzer Radsporttage“ in der indirekten Fortsetzung dieser Tradition, die wie in „alten Zeiten“ mit einem Radler-Ball ausklingen.
Die Garzer organsierten in allen ihren verschiedenen Vereinen Theateraufführungen, Konzerte, Liederabende. Alle Veranstaltungen klangen mit dem heiß begehrten Tanzvergnügen aus – der Eintritt kam zum Teil sozialen Zwecken zugute.
Übrigens gibt es heute 13 Vereine in Garz mit 700 Mitgliedern – davon gehören 300 Aktive der Sportbewegung an. Der größte Verein ist die „Ernst-Moritz-Arndt-Gesellschaft“ mit 160 Personen.

De Doden-Beliewung (Toten-Beerdigung)

In seinen Lebenserinnerungen beschrieb Ernst Wiedemann die Einführung dieser neuen Bestattungssitte: „Späder würd de Doden-Beliewung gründt un een Liekenwagen anschafft. Dat wier för uns Kinner een grot Schauspill: De vier Pierd mit de groten schwarten Decken un de schwarten Fedderbüsch up den Kopp. Vier Pierd geew dat äwers blots bi’n ‚geihrten Doden‘, süss blots twee Pierd. Frugenslüd harrn bi det Begräbnis nicks to söken. Blots Mannslüd ‚folgten‘“. In Garz wurde dazu von den „Dodensängers“ ein bestimmter Choral angestimmt, der heute noch üblich sein soll.

 

Abb. 4. Garz. September 1979. Haus Nr. 4

Abb. 4. Garz. Altes Bürgerhaus. Erbaut in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Aufnahme A. Leube im September 1976.

Das erste Armenhaus auf Rügen in Garz

Am 6. November 1844 entstand auf Initiative des Garzer Superintendenten Otto an der Putbusser Chaussee das erste Armenhaus „zur Rettung armer Kinder der Insel Rügen“. Das waren meist Waisenkinder. Es nannte sich 1889 „Rettungshaus zur Erziehung verwahrloster Kinder“. Im Jahre 1878 nahm das Rettungshaus auch Zwangserziehungs-Zöglinge auf. Durch die Initiative des Hausvaters Roll konnte 1913 ein weiterer Neubau durchgeführt werden und 55 Kinder aufgenommen werden. Herr Roll fügte Unterkunftsräume und Schulklassen hinzu, so dass vor dem I. Weltkrieg 90 Knaben untergebracht wurden. Der Hausvater Roll hat mit seinen Zöglingen für die Stadt Garz sehr viel Gutes geschaffen, so berichtete der Ortschronist Ernst Behrend (Ostsee-Zeitung/ Beilage „Insel-Rundschau“ vom 6. 2. 1964). Er legte die Kirschenallee zum „Kanonenberg-Wald“ an, pflanzte Straßenbäume und verschönerte die Anlagen am Burgwall. Auch Bademöglichkeiten am „Garzer See“ entstanden durch ihn und seine Schüler. Nach 1918 konnte sich die Anstalt finanziell nicht halten.
1930 wurde das erste deutsche Diabetikerheim in Garz ausgebaut. Diese als „Arndt-Stiftung“ bezeichnete Anlage trug den Charakter einer Anstalt der Inneren Mission. In der DDR-Zeit wurde daraus ein „Institut für Diabetes“.
Heute befindet sich hier eine Fachklinik für Kinder und Jugendliche. Träger ist das „Christliche Jugenddorfwerk Deutschland“.

Garz – heute

Nachdem kurzfristig nach 1990 ein „Verwaltungsamt Garz“ für einige Landgemeinden des südwestlichen Rügen entstand, wurde am 1. Januar 2005 die gleiche Verwaltungszone nun zu dem ungewöhnlich großen „Amt Bergen“ mit zwei Städten (darunter Garz), neun Gemeinden und mehr als 20 000 Einwohnern vereinigt.
1989 hatte die Stadt noch 2 400 Einwohner. Diese Zahl hat sich nach 1990 verringert, betrug am 31. Dezember 2015 noch 2 213 Garzer Bewohner. Das Jahr 1936 zählte mit 2 543 Personen die höchste Einwohnerzahl in Garz.
1750 hatte Garz nur 705 Einwohner, im Jahre 1800 erst 1 042 Bewohner und 1862 fast 2 200 Einwohner. Die Geburtenrate mit etwa 100 Geburten pro Jahr um 1900 war recht hoch, wie aber auch jedes fünfte Kind unehelich geboren wurde. Aus Garz stammte bis 2014 die älteste Deutsche – es war Gertrud Henze, die am 8. Dezember 1901 in Garz geboren wurde und somit 112 Jahre alt wurde.
1896 wurde der Anschluss an die Eisenbahn geschaffen. Diese Bahnlinie wurde aber bereits 1967 geschlossen. Die erhaltene Bahntrasse dient heute als touristische Radtour.
In der DDR-Zeit kam es zu einem wirtschaftlichen Aufschwung. So gab es neben der Landwirtschaft (LPG „Charenza“ am 5. Dezember 1955 gegründet) auch ein modernes Betonwerk mit mehr als 100 Werktätigen. Die „LPG Charenza“ hatte 1974 83 Mitglieder und bildete 1969 die erste „KAP“ („Kooperativ Abteilung Pflanzenproduktion“) auf Rügen. Erinnert sei auch an die „PGH Auf- und Ausbau“ mit 44 Berufstätigen bereits 1974 und an das 1968 geschaffene Stadtambulatorium. Vor 1979 wurden außerdem eine Abteilung eines überregionalen Energiekombinates und eine Wasserwirtschafts-Direktion nach Garz mit entsprechenden Arbeitsplätzen verlegt. Auch daran sei erinnert.
Heute hat sich natürlich manches verändert. Seit 1991 wurde der Stadtkern, wie bereits erwähnt, im Rahmen der Städtebauförderung gründlich saniert. Dazu gehören nahezu alle Straßen, wie auch der Bau einer Kläranlage für die Stadt. 1993 errichtete die Deutsche Telekom AG in Garz eine Sendeanlage. Es ist ein 190 m hoher Stahlfachwerkmast, der dem UKW-Hörrundfunk und dem Fernseh-Rundfunk dient. Aber erst 1997 wurde in Garz eine Turnhalle gebaut – trotz der mehr als 100jährigen Tradition.
Zwischen 1990 und 2009 wechselten sich fünf Bürgermeister ab und gegenwärtig hat mit Frau Gitta Gohla erstmalig eine Frau das Zepter in der Hand. Erneut haben sich Garzer unter Herrn Werner Beug gefunden und 1992 einen „Heimatverein“ gebildet, der sich nicht nur der Frühzeit von Garz widmet (Ostsee-Zeitung am 12. Februar und 6. März 1993). 2009 hatte der Verein 110 Mitglieder. Seit 2008 ist Garz Mitglied des „Gesunde-Städte-Netzwerkes“ und schließt damit an die bereits in den 1920er Jahren gewünschte Prägung als „Luftkurort“ an.

Der 1000jährige Birnbaum auf dem Garzer Burgwall

Einer der markantesten Ansichts- bzw. Besichtigungspunkte ist der slawische Burgwall des 11. und 12. Jahrhunderts mit seiner Länge von 200 m und einer Breite von 140 m. Bereits im 14. und 15. Jahrhundert stand ein uralter wilder Birnbaum (Pirus communis) auf den Wällen des Burgwalles. Er wird 1402 erstmalig erwähnt. Erst nach 1945 vernichtete ihn ein Blitzschlag. Eine 200jährige Esche stand im Pfarrhaus-Garten – und hielt sich bis zum 20. Juni 1987. Nun zerbrach sie, wurde gerodet und durch einen Jung-Baum ersetzt.

Abb. 5. Garz. Innenfläche des seit 1954 unter Denkmalschutz stehenden Burgwalles. Aufnahme A. Leube 2012.

Abb. 5. Garz. Blick in das Innere des seit 1954 unter Denkmalschutz stehenden slawischen Burgwalles. Aufnahme: A. Leube, 2012.

Nach dem I. Weltkrieg wurde in der Nähe des Burgwalls ein mächtiges „Kriegerdenkmal“ errichtet, denn allein die Stadt Garz hatte 119 gefallene Soldaten.
In diesem denkmalgeschützten Burgwall des 9. bis 12. Jahrhundert fanden bereits 1928 archäologische Ausgrabungen statt, deren damalige Ergebnisse, wie die Vermutung, im Burgwall den im Jahre 1168 historisch bezeugten Ort „Charenza“ zu sehen, heute bestritten werden.
In den letzten Jahren fanden am und im Burgwall zahlreiche Erdarbeiten durch die Bevölkerung statt. Das ist sicher lobenswert, aber es sei erinnert, dass die Burganlage unter generellem Denkmalschutz steht und jegliche Erdeintiefungen genehmigungspflichtig sind. Dabei kann man u. a. auch Scherben von Schalen mit Innenfurchen finden. Sie wurden von Archäologen zum Typ der „Garzer Schale“ rekonstruiert – und dieser Gefäßtyp gilt im heutigen Garz als Symbol der Auszeichnung fleißiger Garzer Einwohner.

Weitere Stadt-Jubiläen

Einer der Anziehungspunkte der Stadt Garz ist das 1929 als „Rügensches Heimatmuseum“ eingerichtete Museum. Dieses Museum begeht also 2019 seinen 90. Geburtstag. Gründer und Initiator des Museums war der Lehrer und Kantor Ernst Wiedemann, dessen 60. Todestag wir 2018 begehen. 1937 erfolgte der heutige Museumsbau, der auch der Erinnerung an den unweit in Groß Schoritz geborenen Ernst Moritz Arndt (1769-1860) – in zwei Jahren ist sein 250. Geburtstag! – gewidmet ist. 2015 wurde ein neuer Erweiterungsbau eröffnet. Dazu erschien ein Urenkel von Ernst Moritz Arndt aus der Schweiz.
Nach Wiedemann waren es Wolfgang Rudolph, Herbert Hampel, Walter Schulz, Sylvia Knöpfel und nun Frau Katharina Venz-Weiße, die sich als Museumsverantwortliche um das Museum und das kulturelle Leben in Garz verdient machten und machen. Erinnert sei auch an den Garzer Ortschronisten Ernst Behrend.
Das Museum ging 1951 in „Volkseigentum“ über, wie auch zum 200. Geburtstag Arndts ein bronzenes Reliefbildnis des Dichters enthüllt wurde (vgl. Ostsee-Zeitung v. 12. und 22./23. Dezember 1979). Damals sang der Garzer Volkschor das Ernst-Busch-Lied „Gesang vom Lernen“: „Wir wollen das Schöne uns machen zu eigen und dienen dem Wahren mit ganzer Kraft!“. Dieser Chor erhielt unter seinem Dirigenten Ernst Pranke (1928-2013) 1969 als erster Chor Rügens den Titel „Hervorragendes Volkskunstkollektiv“.
Damals wurde auch viel „gedichtet“ und gereimt, wie das Gedicht „Abschied“ belegt:

„Uns‘ Lewen gliekt ‚ne Isenbahn
mit männige Statschon:
Man kümmt, stigt in, führt up’n Plahn
kümmt an un geht dorvon.

Hüt trefft man veele gaude Lüüd,
un morgen hundgemeen:
lütt hübsche Mäkens süht man hüt,
is morgens ganz alleen.

So geiht dat furt von Urt tau Urt,
bet dat uns‘ Reis‘ gedahn,
bet dat wi in den letzten Purt,
dei hüt, dei morgen gahn“.

Der Garzer Ernst Wiedemann (1883-1958, nicht wie in seinem Nachruf aufgeführt 1948) gab dem damaligen, Abb. 6. Ernst Wiedemann verstarb 1958von ihm herausgegeben „Rügenschen Heimat-Kalender“ mit auf den Weg:
„Möge er einen jeden von uns erfüllen mit Freude und Stolz auf unsere geliebte rügensche Heimat, auf ihre reich bewegte Geschichte und auf ihre einzigartige Schönheit!“
Die Garzer Geschichte gehört unbedingt dazu.

Abb. 6. Nachruf für Ernst Wiedemann – den Garzer Lehrer, Schulleiter, Kantor, Heimatforscher, Chordirigenten und Komponisten

Abb. 7. Burgwall Garz. Verfasser vor dem von ihm 1966 angebrachten Schutzschild unterhalb des Burgwalles. Das Schild ist heute eingewachsen.

                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                                    Abb. 7. Burgwall Garz. Verfasser vor dem von ihm 1966 angebrachten Schutzschild des Burgwalles. Das Schild ist heute eingewachsen.

200 Jahre Tierzucht in Gustow

An der Bäderstraße von Stralsund über Garz und Putbus zu den Ferienzentren in Binz, Sellin, Baabe und Thiessow erreicht man wenige Kilometer nach der Überquerung des alten Rügendammes die kleine Kirchgemeinde Gustow mit ihrer ehrwürdigen um 1250 entstandenen Kirche, einer Mordwange von 1510 und einigen noch erhaltenen niederdeutschen und rohrgedeckten Hallenhäusern (Katen).

Mitten im Ort befindet sich der gerade rekonstruierte Gutshof Gustow. Das im englischen Tudorstil um 1850 errichtete „Herrenhaus“ erregt einige Aufmerksamkeit historisch interessierter Reisender dann doch. Der Gutshof existierte bereits 1314 und war dann bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts im Besitz der Familie von der Osten. Das in weiß durchschimmernde Gustower „Herrenhaus“  wird gerade anerkennenswert  im alten Baustil rekonstruiert.

Abb. 1. Gustow. Gusthaus im Sommer 2015. Aufn. A. Leube.

Abb. 1. Gustow. Das um 1850 im englischen Tudorstil errichtete Gutshaus in der Rekonstruktion durch den neuen Besitzer. Aufn. A. Leube 2015

Im Herbst 1945 wurde das Gut mit seinen etwa 2 000 Morgen landwirtschaftlicher Nutzfläche, Waldungen und Ödländereien innerhalb der Bodenreform auf mehr als 30 Familien aufgeteilt. 1949 entstand zunächst in Warksow und dann in Gustow eine der ersten „Maschinen-Ausleih-Stationen“ (MAS) Rügens und am 2. Oktober 1954 vollzog sich die Gründung der LPG „7. Oktober“ in Gustow, d. h. man beging noch im Sommer 1989 den 35. Jahrestag der Gründung.

Daraus wurde im Rahmen der Großraumbewirtschaftung 1977 eine der bedeutendsten landwirtschaftlichen Genossenschaften Rügens, die sich nur der Tierproduktion verschrieb. Es entstand eine „LPG (T)“ – eine landwirtschaftliche Genossenschaft der Tierproduktion.

In Gustow und der Nachbarschaft wurde bis 1991 eine Groß- bzw. Massenviehhaltung, in der z. B. die Gustower Melker am 30. September 1977 allein einen Planvorsprung von 26 276 kg Milch erreichten (OZ v. 2. 11. 1977). Dabei strebten sie erst eine Milchleistung von 4 000 kg Milch pro Kuh an. Man ahnt, dass sich dahinter eine riesige Rinderherde verbirgt.

Auch das war nicht das Ende der Entwicklung, denn nach 1990 wurde die „Agrargesellschaft Gustow mbH“ geschaffen, die wieder um 2013 fast 800 000 Euro Subventionen aus dem EU-Agrarfond für Landwirtschaft und Fischerei erhielt. 2013 besaß sie in Saalkow eine Anlage zum Halten von 750 Rindern.

Parallel dazu baute man in Gustow und Poseritz eine „Sektion Reit- und Pferdesport“ auf, die heute noch ihre Bedeutung besitzt.  Das alles ist sicher den meisten Gustowern und Poseritzer in bester Erinnerung.

Die Anfänge der rügenschen Pferdezucht in Gustow

Der Reitsport hat im Südwesten bzw. Süden Rügens seine Bedeutung behalten. So kamen zu einem Turnier in Altkamp im März 1995 110 Reiter mit fast 80 Pferden (Ostsee-Zeitung v. 6. 3. 1995, 10). Damals stammten von den 21 angetretenen Vereinen 20 aus Mecklenburg-Vorpommern. Allerdings gewann kein Rügener Reiter einen Preis.

Dennoch hat der Reit- und Pferdesport erneut auf Rügen große Bedeutung. Es ist daher von Interesse zu erfahren, wo waren die Anfänge und wann setzten sie ein.

Die Familie Stuth und ihre Pferdezucht seit 1815

Weniger bekannt ist, dass gerade auf dem Gutshof Gustow unter der Gutsbesitzerfamilie Stuth ein Zentrum pommerscher Tierzucht bestand. Die Familie Stuth, die vermutlich aus dem Stralsunder Raum stammte, kaufte 1815 – also vor 200 Jahren – das mehrfach in Konkurs gegangene Rittergut Gustow. In dieser Zeit war 1806 und 1810 die Leibeigenschaft aufgehoben und der preußische Staat hatte Rügen von den Schweden durch komplizierte Verhandlungen zurück erworben. Damit endete die „Schwedenzeit“ auf Rügen.

Abb. 2. 2012 im Juni Pferdestall

Abb. 2. Gustow. Blick von der Landstraße auf den erhaltenen und verbauten Gutshof, im Hintergrund das Gutshaus und rechts die Reste des ehemaligen Pferdestalles (einst rohrgedeckt). Aufn. A. Leube 2012

 

Die neue Besitzerfamilie Stuth hat in den Jahren 1815 bis 1945 in vier Generationen das Gut über alle Krisen und Kriegszeiten hinweg gehalten und ausgebaut. Sie war Arbeitsgeber für die meisten Einwohner der Kirchgemeinde Gustow, wie sie auch verantwortlich war für die Infrastruktur (Katenbau, Wege- und Straßenbau), die „Armenpflege“ (d. h. für soziale Ausgaben), den Erhalt und Ausbau der Kirche selbst und die eigentliche Gemeindeverwaltung.

Man kann sich zwar darüber streiten, ob die Stuths diese Aufgaben immer verantwortlich wahrnahmen, darf aber diese kommunale Tätigkeit verbunden mit finanziellen Ausgaben nicht ignorieren. Nicht vergessen darf man aber auch, dass nahezu alle männlichen Stuths der vierten Generation sich der nationalsozialistischen Bewegung und Idee aktiv verschrieben hatten. Die Gustower und Saalkower Stuths endeten 1945 durch Freitod, wie die Grabstätten auf dem Gustower Friedhof mahnend erinnern. Diese Gräber sind damit Geschichtsdenkmale und sollten von der Kirchgemeinde erhalten bleiben.

Die Gustower Pferdezucht seit 1929

1923 übernahm Erich Stuth in der vierten Generation den väterlichen Gutshof in Gustow. Bereits sein Vater Friedrich Stuth (1855-1929) war durch die Kaltblutzucht bekannt geworden. Schon 1929 erhielt Erich Stuth die ersten pommerschen Landespreise und machte damit die rügensche Pferdezucht bekannt. Bei einer „Vorpommerschen Kaltblutschau“ in Stralsund im Juli 1929 erhielt er einen „1b – Preis“ für die selbstgezogene dreijährige Stute „Xenia“ und die selbstgezogene zweijährige „Blondine“. Außerdem erhielt er einen 2. Platz für sein Fohlen „Martha“. 

Drei Jahre später konnte Erich Stuth weitere Zuchtpreise „einheimsen“, so 1932 auf der „3. Vorpommerschen (Jubiläums-)Kaltblutschau“ in Stralsund. Hatte man bisher in Vorpommern den Nachwuchs an Kaltblut aus dem Rheinland eingeführt und auf Rügen nur weiter gezüchtet, so konnte Erich Stuth eigen gezogene Saugfüllen vorführen.

Hier hatte Erich Stuth große Erfolge, wie er auch bei der Zucht 4jähriger und älterer Mutterstuten mit „Fohlen am Fuß“ prämiert wurde. Insgesamt erhielt Erich Stuth auf der 1932 stattgefundenen Kaltblutschau sechs Spitzen-Preise und eine „Gedenkmünze“. Dem folgten noch ein Sonderpreis und eine weitere „Gedenkmünze“ der „Pommerschen Landwirtschaftskammer“. Diese züchterische Leistung wurde von den Veranstaltern hinsichtlich der schwierigen Lage der Landwirtschaft anerkannt und gewürdigt. Der Name Stuth wurde in der Presse besonders hervorgehoben: „Herr Stuth, Gustow, hatte die besten Saugfüllen“!

Abb. 3. Die Zuchterfolge des Gustower Gutsbesitzer Erich Stuth (Rügensche Zeitung Nr. 133 v. 31. Juli 1932).

Abb. 3. Die Zuchterfolge des Gustower Gutsbesitzer Erich Stuth (Rügensche Zeitung Nr. 133 v. 31. Juli 1932). Rgb. – Rittergutsbesitzer; Rgp. – Rittergutspächter; Dp. – Domänenpächter

 

In dieser Zeit gehörte er dem Vorstand der „Rügenschen Kaltblutzucht-Genossenschaft m. b. H.“ an und stellte spätestens seit 1929 seinen Hengst „Gaston de Chateau“ zum Decken zur Verfügung. Der etwas eigenartige französische Name kann eine Erinnerung an den in Frankreich gefallenen Bruder Werner (1899-1919) symbolisieren. Er kann natürlich seinen damals noch gepflegten Gustower Gutshof  mit einem „Chateau“ verglichen haben.

Am 1. Juli 1939 fand in Samtens die „Stutenschau der Kaltblutzüchter Rügens“ statt. Es war das letzte Friedensjahr und damit ein gewisser Abschluss der Stuthschen Pferdezucht. Erich Stuth wurde dabei neben den Gutspächtern Elgeti, Jarkvitz, Kroos, Güttin, und Conrad, Gr. Kubbelkow, mit einer Staatsprämie gewürdigt. Dem folgte außerdem ein „Ehrenpreis“, eine weitere Staatsprämie für zweijährige Stutfohlen, einen ersten Preis sowie einen Freideckschein und Ehrenpreis der Genossenschaft für sechsjährige und ältere Stuten.

Die höchste Prämierung auf Rügen erhielt aber seine Stute „Bertha“ mit ihren sechs Nachkommen – das war der Ehrenpreis und „1a-Preis“ des „Verbandes Pommerscher Kaltblutzüchter“ und der Genossenschaft Rügen. Allein 1939 waren es sieben Preise für die Gustower Pferdezucht.

Abb. 4. Die Zuchterfolge des Gustower Gutsbesitzers Erich Stuth im Jahre 1932 (Rügensche Zeitung 1932 Nr. 132 v. 31. 7. 1932).

Abb. 4. Die Zuchterfolge des Gustower Gutsbesitzers Erich Stuth im Jahre 1932 (Rügensche Zeitung 1932 Nr. 132 v. 31. 7. 1932)

 

Die rügensche Kaltblut-Pferdezucht wurde lange Zeit durch den Gutspächter Ferdinand Utesch (1859-1932), Teschenhagen, geprägt. Er baute mit dem Oberamtmann und Gutspächter Kroos, Güttin, die „Rügensche Kaltblut-Pferdezucht-Genossenschaft“ auf. Bedeutendster Züchter war allerdings der Rittergutsbesitzer von Esbeck-Platen, Capelle, der 1928 „die große Ehrenurkunde des Reichsverbandes der Kaltblutzüchter Deutschlands“ erhielt. Nachfolger dieser großen Züchter wurde auf Rügen zweifellos in der Nazi-Zeit Erich Stuth, der spätestens auch 1940 „Aufsichtsratsvorsitzender“ dieser Genossenschaft wurde.

Mitte März 1944 verfügte Erich Stuth über den Warmbluthengst „Arnsfried“, der zum „Warmblutzuchtverein Rügen“ gehörte. Zu dieser Zeit befand sich die Deckstelle des „Kaltblut-Stutbuches“ u. a. in Jarkvitz und in Poseritz, aber nicht mehr in Gustow. Man gewinnt daher den Eindruck, dass sich Erich Stuth spätestens 1944 aus der Kaltblutzucht zurückgezogen hatte.

Von den 23 Standorten der rügenschen Kaltbluthengste befand sich 1944 keine mehr in Gustow, wohl aber in Poseritz/Pfarrhof („Unkel“), Warksow („Urlauber“), Benz („Querulant“) und in Jarkvitz („Lemgo“ und „Don Tagilus“).

1944 befand sich von den 11 Standorten der Warmbluthengste mit dem Deckhengst „Arnfried“ einer in Gustow.

Der preisgekrönte  Gustower Bulle „Marthell“

Parallel zur Pferdezucht gehörte Erich Stuth auch der „Pommerschen Herdbuchgesellschaft“ an und leitete seit 1926 den pommerschen „Rindviehkontrollverein“, der der Stettiner Landwirtschaftskammer unterstand. In diesem Jahr erhielt er auf einer pommerschen Tierschau den dritten Preis für seinen Bullen „Marthell“. Dieser Name könnte aus uns heute unbekannten Gründen dem englischen Sprachgebrauch entnommen sein, wie er auch eine Anlehnung an den Namen Martha darstellen könnte.

Auch im Jahre 1936 zeichnete sich die „Zucht Stuth/Gustow“ mit bemerkenswerten Prämierungen aus. Bei der 174. Zuchtviehversteigerung der Herdbuchgesellschaft in Stralsund erhielt Stuth den zweiten (1b-Preis) und dritten (1c-Preis) Preis für die Bullen „Tarock“ und „Tizian“. Dazu kam noch ein „3a-Preis“ für den Bullen „Roland“. Damit lag Stuth auf Rügen an erster Stelle in der Bullen-Zucht. Der Name „Tarock“ erinnert an ein Kartenspiel, das man vielleicht in der Familie Stuth gern spielte. Die Trümpfe sind hier im deutschen Spielgebrauch durch Tierdarstellungen markiert.

Den Bullen „Roland“ verkaufte er noch 1936 für 1 250 RM in den Kreis Grimmen, den „Tizian“ „als teuersten Bullen der Auktion“ für 3 300 RM nach Hinterpommern und den „Tarock“ veräußerte er für etwa 2 600 RM an einen unbekannten Interessenten.

1936 fand in der Stettiner „Pommernhalle“ eine weitere Prüfung und Prämiierung von Schweinen und Zuchtbullen statt. Erneut errang Stuth, Gustow, als einziger rügenscher Züchter einen „3c-Preis“. Damals erschien er mit dem Zuchtbullen „Quader“, der anschließend verkauft wurde.

Acht Jahre später bei der 306. Zuchtviehversteigerung der „Pommerschen Herdbuch-Gesellschaft“ in Stralsund – im Jahre 1944 – erhielt Erich Stuth und erneut als einziger Teilnehmer Rügens einen „IIIa – Preis“ für seinen Bullen „Wanderer“. Es nahmen übrigens 105 Bullen an der Versteigerug teil. Nach der Prämierung wurde der Bulle verkauft, d. h. 1945 stand keiner der preisgekrönten Bullen mehr auf dem Hof.

Deutsches Landschwein und die Gustower Zucht

Breiter als die Pferde- und Rinderzucht war die Schweinezucht auf Rügen angelegt. Aber auch hier gehörte Stuth, Gustow, zu den besten Züchtern. So verkaufte er auf der 97. Zuchtschweinversteigerung 1936 einen veredelten Landschweineber für 290 Mark – es war der höchste Preis „bei flottem Gebot“. Seit Ende des Jahres 1936 bot er „aus meiner Stammzucht des veredelten Landschweines sprungfähige Jungeber und Jungsauen“ zum Kauf an, d. h. die Gustower Schweinezucht wurde bis zum Kriegsende fortgesetzt.

Die Nachzucht in Gustow und auf Rügen

An diese züchterischen Erfolge konnte die spätere auf Tierzucht spezialisierte „LPG (T) Gustow“ offenbar nur begrenzt anknüpfen. Sie war auch kein Zuchtbetrieb mehr, da Gustow im Jahre 1980 auf einer Tierschau des Bezirkes Rostock mit rund 200 Rindern, 200 Schweinen, 150 Schafen und 30 Pferden nicht einmal erwähnt wurde. Erst in dem letzten Jahrzehnt der DDR hatte sich in Gustow und Poseritz eine Vorliebe für die Pferdezucht und den Pferdesport entwickelt. So trug die BSG Traktor Poseritz Mitte September 1986 den „Preis von Poseritz“ im Springreiten und Hindernisfahren für Zweispänner aus (Ostsee-Zeitung Nr. 213 v. 9. 9. 1986, 8).

Die Stuthsche Tradition wird in Gustow gegenwärtig fortgesetzt. So erhielt im Jahre 2014 die Gustower Agrargesellschaft auf der 18. Kreisrinderschau in Putbus für ihr Milchrind „Diana“ einen Tierzuchtpreis in Bronze mit einer Schleife. „Diana“ erhielt den Titel „Miss Euter“. Überhaupt errang die Gustower Agrargesellschaft mit der Kuh „Mandy“ den Gesamtsieg auf der Kreisrinderschau.

Rückblick

Über das Leben und Wirken der Menschen aus der Zeit vor 1945 ist wenig bekannt. Es sind nun präzise 70 Jahre vergangen, da der Gustower Tierzüchter Erich Stuth aus dem Leben schied. Er wird wohl in den 15 Jahren zwischen 1929 und 1944 etwa 50 Preise, eine unbekannte Zahl an Ehrenmedaillen und diese und jene Urkunde für seine Tierzucht erhalten haben. Das ist für die Geschichte der rügenschen Landwirtschaft nicht unbedeutend. So konnte für das Gut Gustow und für seine letzte Gutsbesitzerfamilie etwas der Schleier der Vergangenheit gelüftet werden. Man sieht, auch diese kleinen Dörfer und Güter haben mehr und vielseitiges zu bieten. Genauere Nachforschungen zu ihrer Vergangenheit werden vielleicht dieses und jenes Detail vertiefen können. Vielleicht ist dieser kleine Beitrag dazu eine Anregung zur historischen Recherche, denn „das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch“ selbst (Goethe).

Abb. 5. Drammendorf. Rügensche Kaltblüter im Gespann. Aufn. A. Leube 2012

Abb. 5. Drammendorf. Rügensche Kaltblütler im Gespann. Aufn.  A. Leube 2012

Die Gustower Feuerwehr und ihre Geschichte

Zur Geschichte des Feuerlöschwesens gibt es gegenwärtig für den Südwesten Rügens nur begrenzte Auskünfte. In einer fabelhaften Fleißarbeit haben die Gestalter der „Gustower Dorfchronik“ in den 1990-er Jahren viele Fakten zusammengetragen (Es handelt sich um die Frauen Tredup und Obal, die mit Auslaufen der ABM ihre Tätigkeit an andere „Chronistinnen“ abgaben, Auskunft Frau Tredup, Gustow).

Nach dem schwedischen Reglement vom 9. 12. 1776 hatte eigentlich jeder Guts-Hof mit Einschluss der Hofgebäude mit einer beachtlichen Versicherungssumme in Höhe von 7 000 Talern gegen Brand versichert zu sein (v. Platen 1870, S. 66). Die Höfe und jedes Dorf mit sechs und mehr Vollbauern hatten je einen „Feuerkufen“ zu halten, dazu viele Feuereimer nach der Zahl der Einlieger und Feuerhaken nach der Zahl der Knechte, dazu zwei große Feuerleitern. In den Dörfern hatte jeder Bauer zwei Feuereimer, zwei Feuerhaken und eine Feuerleiter zu besitzen. Nicht vorgesehen waren Feuerspritzen, deren Anzahl dann auch „für das platte Land eine äußerst geringe war“ (v. Platen 1870, 66). Weiterlesen

Die Entdeckung Rügens im beginnenden 20. Jahrhundert

Die Passagierschiff- und Eisenbahnverbindungen

Um 1900 setzte ein rasanter Bäder- und Reiseverkehr nach Rügen ein. Es waren nicht nur die einmaligen breiten Sandstrände, die vielgestaltige Landschaft, die gewisse Unberührtheit der dörflichen und städtischen Kultur sowie die relative Fülle der beeindruckenden vorgeschichtlichen „Hünengräber“, sondern das gesunde Klima Rügens, das von Ärzten u. a. „bei Schwäche und Empfindlichkeit der Haut, Rheumatismus, Neurasthenie und Migräne“ empfohlen wurde, das den Besuch besonders der Familien mit Kindern anregte (Albrecht 1906-1907, 7). Weiterlesen

Eine Keramikmanufaktur auf Hiddensee

(OZ v. 17.1.1980)

Der Stralsunder Joachim Ulrich von Giese, ein wohlhabender Armeelieferant der schwedischen Krone, erwarb im Jahre 1754 die Insel Hiddensee. Bei der Untersuchung des Bodens stellte er im nordwestlichen Uferteil des Dornbusches einen guten Ton fest. Giese beschloss, diesen industriell zur Herstellung von Töpfereierzeugnissen zu verwerten. So entstand die einzige Fayencenfabrik im ehemaligen Pommern und zugleich das älteste industrielle Unternehmen im Kreisgebiet Rügen. Weiterlesen

Die Entdeckung Rügens im 19. Jahrhundert

Die Passagierschiff- und Eisenbahnverbindungen

Bis zum Bau und der Eröffnung des Rügendammes im Jahre 1936 war Rügen nur mit einem Schiff erreichbar. Das hatte damals noch viele Reisende wegen der Seekrankheit – allerdings unnötig – abgeschreckt. Manche Reiseführer empfahlen dann: „Man halte sich auf dem Promenadendeck in frischer Luft, nicht in der Kajüte auf, vermeide in die Wogen zu sehen, richte vielmehr den Blick nach einem entfernten Gegenstand, sodass die schwankende Bewegung des Schiffes nicht zum Bewusstsein kommt. Es empfiehlt sich, dem Magen etwas Konstantes anzubieten, auch der Genuss eines Gläschen Portweins oder guten Cognacs ist nicht zu verachten“ (Schuster 1898, 10). Weiterlesen

Lobbe – ein kleiner Ort auf Mönchgut mit 700jähriger Geschichte

von Prof. Dr. Achim Leube, Berlin, Juli 2013

Das kleine einstige Fischerdorf Lobbe ist erst in den letzten 50 Jahren als Bade- und Erholungsort bekannt und bedeutend geworden. Eine traditionelle Gastwirtschaft und „Fremdenbeherbergung“, wie es früher hieß, zeichnet den hier gelegenen „Gasthof zum Walfisch“ aus. Er liegt direkt an der Dorfstraße und unweit des breiten Badestrandes, von dem man einen herrlichen Blick über die Ostsee zu der 15 km entfernten Greifswalder Oie mit ihrem Leuchtturm und auch nach Peenemünde hat mit dem markanten ehemaligen Heizwerk, das heute als Museum genutzt wird. Weiterlesen

Leuchtfeuer und Leuchttürme auf und um Rügen

Vor 150 Jahren erfolgte der Bau des Leuchtturmes auf Arkona

(1976) Während am Tage dem Schiffer mehrere Landmarken zur Orientierung dienen, verlangte die Entwicklung des Seehandels schon früh nächtliche Peilungspunkte. So sind für das Mittelalter mit Kienholz gespeiste Feuerbaken überliefert. Daran erinnert der Ortsname Kinnbackenhagen nördlich von Stralsund, der auf eine Kienbake am Ort Hagen zurück zu führen ist.

Das älteste, seit 1306 überlieferte Leuchtfeuer befand sich auf dem Gellen im Süden Hiddensees und diente dem Schifffahrtsweg nach Stralsund. Mit dessen zunehmender Versandung und dem Aufkommen größerer Schiffe verlor es an Bedeutung und ging schließlich ein.

Vereinzelt half man sich auch mit ausgehängten Laternen auf einem Signalmast, wie es für das Posthaus auf dem Bug seit 1683 bezeugt ist.

Bild-15.-Blick-auf-die-Leuchttürme-im-Jahre-1958

Arkona. Blick auf die beiden Leuchttürme im Jahre 1958

 

Größeres Interesse, verbunden mit starken militärischen Akzenten, zeigte erst die preußische Regierung, nachdem Rügen 1815 von Schweden zu Preußen kam. Ihr schlug die Stralsunder Kaufmannschaft seit 1816 vor, Leuchtfeuer auf Arkona, Stubbenkammer und der Greifswalder Oie zu errichten. Nachdem 1819 ein erster Plan für einen Leuchtturm auf Wittow bestand, erfolgten 1825 die ersten Arbeiten und am 5. Mai 1826 die Grundsteinlegung mit einer beschrifteten Kupferplatte. Am Standort befand sich bereits seit dem Ausgang des 18. Jahrhunderts eine hölzerne Feuerbake. Das Baumaterial schaffte man zu Wasser über Breege und Wiek heran. Die Bauleitung hatte der Stralsunder Maurermeister Teichens inne, der nach Plänen des klassizistischen Baumeisters Th. Schinkel, Berlin, arbeitete. Die zahlreichen Schwierigkeiten beim Bau komplizierte der zu dieser Zeit sehr einflussreiche Fürst von Putbus mit einem nachträglich eingereichten Vorschlag, den Leuchtturm bei Koosdorf auf Jasmund zu errichten.

Das Leuchtfeuer auf dem 19,3 m hohen Turm war ein Festfeuer aus zunächst 17 Rüböl-Lampen mit parabolischen Scheinwerfern hinter silberplattierten Spiegelscheiben. Da wenige Erfahrungen vorlagen, testete der damals einzige preußische Marineoffizier Longé, Stralsund, im Auftrage des Kriegsministers die Sichtweite des Feuers, es betrug etwa 50 km.

Zur gleichen Zeit entstanden auf dem Ruden eine Seeleuchte und auf der Greifswalder Oie 1832 eine eiserne Leuchtbake. Letztere wurde später durch einen Leuchtturm mit Drehfeuer ersetzt, der mit dem von Swinemünde (heute Świnoujście) korrespondierte.

Der 1826 auf Arkona errichtete Leuchtturm wurde nach 75 Jahren Betriebsdauer gleichfalls durch einen Turm mit Gruppenblitzfeuer ersetzt. Dieser neue Turm wurde 1901/1902 unmittelbar daneben auf einem 3 m tiefen Fundament aus Fels und Granit errichtet. Der sich nach oben verjüngende achteckige Unterbau trägt eine Galerie aus Granit und eine Eisenkuppel. Er erreicht eine Höhe von 26 m und steht damit 75 m über Mittelwasser. Für den Leuchtapparat entstand ein Maschinenhaus mit einem Elektrizitäts-Werk, das ein weißes Gruppenblitzfeuer mit Gruppen von drei Blitzen in einer Folge von vier Sekunden erzeugte. Die Wiederkehr beträgt 16 Sekunden, die Blitzdauer 0,1 bis 0,2 Sekunden und die Dunkelpause 7,8 bis 7,9 Sekunden.

Gleichzeitig errichtete man eine Anlage für das Nebelhorn (sog. Sirene), deren Druckluft drei Sauggasmotoren erzeugten. Sie gab bei Nebel und dergleichen alle 70 Sekunden einen Dauerton von fünf Sekunden, den man 20 km weit hörte.

Außerdem entstanden Marinesignal-, Telegraphie-, Eissignal- und Sturmsignalstationen. Für die Funktelegraphie wurden acht Masten von etwa 20 m Höhe auf dem Burgwall errichtet.

1888 baute man den Leuchtturm auf dem „Dornbusch“ Hiddensees, dessen Blinkfeuer 45 km weit sichtbar war, und dem man 1911 eine Dampfsirene hinzu fügte. Ein kleiner Leuchtturm befand sich bei Ranzow, dessen weißes Gruppenblitzfeuer aus Gruppen von je zwei Blitzen bestand.

Als Leuchtturmwärter und später als Besitzer eines Gasthauses auf Arkona machte sich die Familie Schilling einen Namen. Hier kehrten viele Persönlichkeiten ihrer Zeit (z. B. Gerhard Hauptmann) ein und verewigten sich in dem berühmten, heute verschollenen, Gästebuch. Der alte Schilling strotzte dann von Schnurren und Seemannsgeschichten, mit denen er die „Landratten“ hinein legte.

Der eigenartige Reiz dieser Bauwerke und ihre Bedeutung für die heutige Schifffahrt ist schließlich auch durch zwei Briefmarkenemissionen gewürdigt worden.

Zu DDR-Zeiten wurde auf Arkona eine Versuchsstation eingerichtet, um verschiedene Materialien unter Klimaeinwirkung zu testen.

Bild 16. Arkona. Versuchsstation. 1976

Arkona. Versuchsstation, 1976

Sagenumwobenes Ralswiek – Ein historischer Streifzuge durch die Jahrhunderte

(16.6.1976) Zu den historisch bedeutsamsten Orten Rügens gehört der kleine Ort Ralswiek, unweit Bergen gelegen, inmitten einer reizvollen Landschaft. Bereits im 18. Jahrhundert schwärmte ein romantisch veranlagter Reisender „ … und zwischen düsterbraunen Bergen ging das anmutige Ralswyk auf, wie ein goldener Morgentraum vor die schwärmende Seele tritt“.

Es war aber weniger die Schönheit der Natur, als vielmehr die geschützte, günstige Verkehrslage mit einem Hafen, der bereits die slawischen Bewohner Rügens seit dem 9. Jahrhundert veranlasste, einen Handelsplatz anzulegen. Bedeutende wissenschaftliche Ausgrabungen erbrachten nahezu sensationelle Ergebnisse, über die die „Ostseezeitung“ verschiedentlich berichtete.

Bild 13. Reste eines wikingerzeitlichen  Bootes. Aufnahme 1970

Reste eines wikingerzeitlichen Bootes aus dem 10. Jahrhundert. Ausgrabung: Dipl.-Prähist. P. Herfert, Bergen, 1970

Diese Tradition setzten auch die Dänen fort. Nach ihrer Eroberung Rügens im Jahre 1168 wurde Ralswiek das Zentrum der dänischen Verwaltung. Hier ließ sich der bischöfliche Vertreter, auch als Landprobst bezeichnet, nieder, da Rügen zum Bistum Roeskilde (30 km westlich Kopenhagens gelegener Bischofssitz) kam. Die Kirche erhob von allen Ortschaften eine Naturalsteuer, den sogenannten Bischofsroggen. Um 1500 wurden die bischöflichen Güter, dazu gehörten u. a. Gnies, Bischofsdorf, Kontop und Putgarten, und die Roggenabgabe an das Geschlecht derer von Barnekow verpachtet und später zu erblichen Lehen gegeben.

Bild-14.-Ralswiek.-Altes-Propsteigebäude.-Aufnahme-2010

Ralswiek. Altes Propsteigebäude, 2010

 

Erst die bürgerlich-demokratische Revolution von 1848 leitete die Beseitigung dieser Feudallast ein. Jedoch mussten sich die Bauern durch eine Geldrente loskaufen. Da sie nicht über genügend Geld verfügten, zog sich dieser Prozess bis 1894 hin. Ein Zeuge aus dieser Zeit feudalistischer Herrschaft ist noch das renovierte Wohnhaus des ehemaligen Probsteihofes als Magazin der Roggenabgabe. Rundbögen gliedern die Fassade, in die einige Fester neu eingebrochen sind. Das Gebäude gehörte dem Jahrhundert an und es dient heute als Oberschule.

In unmittelbarer Nähe schließt sich ein Gutspark an, der einen bemerkenswerten Baumbestand (Kaukasusfichte, Säulentaxus, Scheinzypresse usw.) aufweist und weite Blicke über den Jasmunder Bodden gestattet. Hier fanden zwischen 1959 und 1961 auf einer Freilichtbühne, so wie auch heute wieder, die „Rügenfestspiele“ statt. Tausende Besucher nehmen dabei Anteil an Leben und Kampf des Klaus Störtebecker.

Das im englischen Stil zwischen 1893 und 1894 errichtete Schloss des Grafen Douglas, der zwischen 1891 und 1893 die Besitzung Ralswiek erwarb, dient heute als Feierabendheim.

Die hügelige Landschaft zwischen Ralswiek und der Fernstraße nach Sassnitz mit ihren tiefen Erosionsrinnen war noch um 1800 mit „schwarzem dichten Heidekraut gepolstert“ und erst in jüngerer Zeit aufgeforstet. Zahlreiche Hügelgräber aus der slawischen Epoche geben ein charakteristisches Gepräge und den Namen „Schwarze Berge“.

So ist dieser Landstrich außerordentlich Sagen umrankt. Da gibt es den Nachtjäger, der als Drache mit feurigem Schweif auftritt, und die Überlieferung, dass hier früher Gericht gehalten wurde.

Am bekanntesten aber sind einige Zwergen-Sagen. Hier lebten die weißen Zwerge. Sie waren Christen und bildeten den „Königsstamm unter den Zwergen Rügens. Als König wählten sie ein Menschenkind. Ein Schäfer aus Patzig raubte ihnen bei einer Hochzeit einen Goldbecher.

Abseits davon, bei Jarnitz und Gnies, liegen drei große Hügelgräber, von denen einige durch den Gutsherren geöffnet und später als Fixpunkte der Gedenkfeuer beim Sedanstag gedient haben. Das Grab bei Gnies trägt nach der Sage von der untergegangenen Ortschaft Liecham (d. h. Leichnam) seinen Namen.

 

Die Stubnitz

(1978) Der Mai gehört zu den traditionellen Ausflugsmonaten. Mit ihm beginnt nun schon seit Jahrzehnten ein reger Urlauber- und Touristenverkehr nach Rügen einzusetzen. Zu den beliebtesten und ältesten Ausflugszielen gehört die Stubnitz mit Stubbenkammer im heutigen Naturschutzgebiet.

Der Name Stubnitz, verwandt dazu „Stubbenkammer“, ist noch nicht befriedigend geklärt. Am leichtesten macht es sich der Volksmund. Danach hatte der Seeräuber Störtebecker seine „Stube und Kammer“ hier. Der Altmeister der rügenschen Volkskunde, Professor Alfred Haas aus Bergen, entschied sich für einen slawischen Ursprung des Wortes und deutete Stubbenkammer als „Stufen zum Meer“ und Stubnitz entsprechend als „Stufenland“ nach seinen zahlreichen Erhebungen und Tälern. Jedoch spricht vieles dafür, dass der Name eines Gewässers übertragen wurde. So gibt es verschiedene Seen und Flüsschen mit dem Namen „Stepenitz“ im slawischen Siedlungsraum.

Bild-10.-Stubnitz-Wissower-Klinken.-1993.-Heute-abgestürzt

Stubnitz. Wissower Klinken im Jahre 1993. Heute bereits abgestürzt

 

Die einzigartige Kreideküstenlandschaft zwischen Sassnitz und dem „Königsstuhl“ trägt allein 20 Flurnamen, die zum Teil zur Orientierung der Schiffer und der Fischer gegeben wurden. Einige dieser Namen dürften 500 bis 700 Jahre alt sein, da sie noch aus der Slawenzeit stammen. Dazu gehört der Uskahn (Gottesstein), das Gakower Ufer (Entenufer) und das Wissower Ufer (Hohes Ufer). Jüngste Prägungen sind z. B. das Fahrnitzer Loch (um 1790 entstanden) oder die Tipper Wacht (französische Uferwache zur Zeit Napoleons).

Die touristische Erschließung Stubbenkammers und der Jasmunder Kreideküste führt uns bis in das 18. Jahrhundert zurück. Damals wurden von Sagard erste Fahrwege angelegt und bald entstand ein Gast- und Rasthaus, das mehrfach abbrannte und schließlich im Stil eines Schweizerhauses nach 1891 unter dem seinerzeit bekannten Gastwirt Berendt bei Stubbenkammer erbaut wurde.

Die älteste urkundliche Erwähnung führt uns allerdings bis in das Jahr 1584 zurück. Die pommerschen Fürsten ließen hier ergebnislos nach Salzquellen und Mineralien suchen. In der Volkssage nimmt die Stubnitz einen besonderen Platz ein. Der „Schwarze See“ oder der „Borg-See“ wurde z. B. irrigerweise mit einem Kult der Göttin „Hertha“ verbunden. Bereits in der Mitte des 19. Jahrhunderts verwarf der Neubrandenburger Naturforscher E. Boll diese Sagen, denn sie dienen nur „zum Nutz und Frommen der Touristen, denen auf ihren Ausflügen des Pikanten nie zu viel dargeboten werden kann“. Ende des 19. Jahrhunderts wurden von Lohme und Sassnitz regelrechte „Opferzüge“ der Badegäste in historisch falscher Maskerade zum Hertha-See organisiert. Leider hat sich der Sagenkomplex um den „Hertha-See“ in ungebührlicher Breite bis heute erhalten.

Bild 11. Uferweg unterhalb des Hengstes 2010

Uferweg unterhalb des „Hengstes“ unmittelbar nördlich der Sassnitzer Promenade, 2011

Die Stubnitz wird sehr oft mit den Seeräubern Klaus Störtebecker und Gödeke Michel verbunden. Sie sollen nach der Volkssage ihre Schlupfwinkel hier gehabt, und ihre Schätze in einer Höhle bei Stubbenkammer, an der Golcha-Quelle, der Hertha-Burg und dem „Schlossberg“ bei Werder versteckt haben.

Bild 12. Herthasee. Vom Burgwallinneren gesehen. 2009

Hertha-See. Der See ist etwa 11 m tief, 2009  

Störtebecker selbst soll aus Ruschvitz stammen und auch in der Stubnitz hingerichtet und vergraben worden sein.

Diese reiche Sagenwelt könnte auf dem Charakter der Stubnitz als letzter Zufluchtsort vieler Menschen in den Drangsalen mittelalterlicher Fehden und Kriege begründet sein. Der polnische Schriftsteller Kaminski hielt derartige Szenen für das 16. Jahrhundert sogar literarisch fest. Historisch gesicherte Belege fehlen jedoch noch.

 

Vor 100 Jahren … Rügens landwirtschaftliche Entwicklung

Als Rügen 1815 nach längerer schwedischer Herrschaft an Preußen gelangte, waren günstige Voraussetzungen zu einer bürgerlich-kapitalistischen Entwicklung erreicht. Besonders nach den Kriegen 1870 und 1871 entwickelten sich die deutsche Industrie und die Landwirtschaft. Es dominierte auf Rügen weiterhin der Großgrundbesitz, der nun jedoch neue Wege beschritt. So entstanden seit 1821 in den verschiedensten größeren Orten Rügens (z. B. in Altenkirchen, Sagard, Rambin) „Landwirtschaftsvereine“, deren Vorsitz sich meist in den Händen der progressiven Landwirte und Züchter befand. Man reduzierte die Brachwirtschaft, setzte sich für eine Einführung von zwei- und dreischarigen Schälpflügen ein, diskutierte u. a. um 1890 die Verwendung von Kunstdünger. Erst jetzt baute man Zuckerrüben an. Durch die Gründung eines Herdbuches und den Import ostfriesischer Rinder wurde die Rinderzucht angehoben. Der Rambiner Verein und besonders einzelne Züchter, wie der Gutsherr Stuth in Gustow machten sich um die Verbesserung der Pferdezucht auf Rügen verdient.

Bild 3. Schubrad-Drillmaschine um 1900. Reproduktion

Schubrad-Drillmaschine um 1900. Reproduktion

Der Bergener Vorschussverein

Von der industriellen Entwicklung dieser „Gründer-Jahre“ wurde Rügen nur begrenzt erfasst. Es blieb das Absatzgebiet von Greifswald, Stralsund und dem damaligen Stettin. Besonders „lebhaft“ war das Geschäft mit Holz- und Baumaterialien für den Ausbau der Badeorte.

Das spiegelt sich auch in der jährlichen Umsatzsteigerung von fünf Millionen Mark der Stralsunder Reichsbank wider. 1858 bildete sich in Bergen ein sogenannter Vorschussverein, aus dem später die Rügensche Bank in der Billrothstraße hervorging. Er vergab Darlehen und verfügte um 1890 über eine halbe Million Mark mit über 600 Mitgliedern.

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Einstiger Sitz der Rügenschen Bank. Billrothstraße 16, 2005

150.- Mark Jahresverdienst

An dieser Entwicklung hatten die Kleinbauern, Büdner, Kossäten und Landarbeitern nur begrenzt Anteil. Das schlug sich u. a. in ihrer geringeren Entlohnung nieder. So zahlte man zur Erntezeit dem Landarbeiter 2,50 Mark und der Landarbeiterin 1,00 bis 1,50 Mark täglich. Der Jahreslohn eines Knechtes lag bei 150 Mark, der einer Magd bei 100 bis 120 Mark. Allerdings waren die Preise für Agrar- und Fischereiprodukte recht niedrig und verhinderten wiederum größere Einnahmen der Gutsherrschaften und Gutspachtungen. So kostete eine Stiege Eier 1,20 Mark, ein Huhn 1,00 bis 1,40 Mark, das Pfund Butter 0,90 bis 1,20 Mark. Ein Wall (80 Stück) Heringe verkaufte man unterschiedlich zwischen 0,80 und 4,00 Mark. Der Aal wurde mit 0,60 Mark das Pfund gehandelt. Das sind jedoch Marktpreise, die Aufkaufpreise lagen niedriger.

Bild 5. Suchanzeige im Titelblatt der Zeitung

Das seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in Putbus gedruckte „Rügensche Kreis- und Anzeigenblatt“ leistete durch seine Beiträge, Annoncen, Mitteilungen und seinen Bildungsteil einen großen Beitrag zum Bildungsniveau der Bevölkerung Rügens

Konservative Gesetze

Eine „Gesindeordnung“ gab bis 1918 den „Herrschaften“ eine nahezu unbegrenzte Gewalt über die Landarbeiter. So verhandelte man oft vor dem Bergener „Schöffengericht“ und vor den beiden Strafkammern in Greifswald und Stralsund gegen Rüganer, die den Pächter „bedrohten“. Als z. B. der Landarbeiter Moritz Becker (gen. Mau) die Schläge des Pächters erwiderte, wurde er in Bergen zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Zu 8 Mark Strafe oder zwei Tagen Haft verurteilte man in Stralsund das Dienstmädchen Minna Uerkvitz aus Reischvitz, weil sie zwei Nächte „ohne Vorwissen und Genehmigung der Herrschaft“ das Haus verlassen hatte Das war ein Verstoß gegen die „Gesindeordnung“.

Bild-4.-Rügensches-Kreisblatt-1890

Suchanzeige im „Kreis- und Anzeige Blatt für den Kreis Rügen“

 

Bild 2. Innere des Amtsgerichts 2010

Das 1905 errichtete Amtsgericht Bergen. Treppenaufgang 2010

Gesangvereine, Kriegervereine, Schützengilden etc.

Das geistige Leben wurde auch von Kriegervereinen, Schützengilden, Gesangsvereinen mit vorwiegend „patriotischem“ Repertoire (etwa mit dem „Füselier Schmidt“ oder „Rommel mit der Trommel“), Bade- und Verschönerungsvereinen mitbestimmt. Eigentliche Bildungsarbeit leisteten die Lehrervereine und mit Einschränkungen der Gewerbe-Verein Bergen. 1905 konnte sich in Bergen eine Ortsgruppe der SPD gründen, deren weitere Entwicklung Walter Börst in seinem Buch „Bilder aus der Vergangenheit“ skizziert.

 

 

Überall wehten monarchistische Fahnen

Kriegervereine auf Rügen – ein trauriges Kapitel Heimatgeschichte

(OZ v. 17.2. und 24.2.1977) Die Propagierung militärischen Gedankengutes vollzog sich zu einem beträchtlichen Teil den Kriegervereinen. Sie schossen nach den Kriegen Preußens in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wie Pilze aus der Erde. In geschickter Weise verband man das Kriegserlebnis der Teilnehmer als einen nachhaltigen psychologischen Faktor mit einem natürlichen Wunsch nach Geselligkeit.

Kriegervereine prägten die öffentliche Meinung und besaßen gerade auf dem Lande eine gefährliche politische Ausstrahlung. So sind sie in ihrer Bedeutung keinesfalls zu unterschätzen. Ausgang des 19. Jahrhunderts existierten fast 10 000 Kriegervereine mit einer Million Mitgliedern in Deutschland. Der Bezirksverband „Neuvorpommern“ umfasste zu dieser Zeit etwa 30 Vereine mit über 3000 Mitgliedern. Trotz des Zusammenbruches des kaiserlichen Reiches und der Niederlage im 1. Weltkrieg blühte dieses „Kriegertum“ auch in der Weimarer Republik. Auf Rügen erreichte es mit 33 Vereinen und etwa 3000 mitgliedern im Jahre 1928 einen traurigen Höhepunkt!

Und es wuchs auf einem fruchtbaren, reaktionären Boden. Anlässlich einer zeitgleichen Propagandafahrt der Presse berichtete der fortschrittliche Journalist und Schriftsteller Joseph Roth, ein Freund Egon Erwin Kischs, über diese anachronistischen Zustände auf Rügen: „Man empfing uns also mit monarchistischen Fahnen und mit schmetternden Militärmärschen. Wir speisten in Sälen der Kulturhäuser, an deren Wänden Kaiserbilder hingen. In Binz wehten zwei große Hakenkreuzfahnen von den Giebeln eines großen Strandhotels“ (Roth, J., Das Hakenkreuz auf Rügen. In: „Damals in den zwanziger Jahren“. Berlin, Leipzig, 1963, S. 136 ff.). Ironisch fragte er, ob „man auf Rügen noch nichts von der inzwischen geänderten deutschen Staatsverfassung gehört habe“. Wir wissen, dass die Arbeiterparteien SPD und KPD auch auf Rügen gegen diese Verhältnisse einen schweren und unerbittlichen Kampf geführt haben.

Die stärksten Kriegervereine bestanden in Sassnitz und auf Mönchgut mit fast 200 Mitgliedern, dann folgten Bergen und Garz. Den Kreisvorstand hatte längere Zeit mit Dr. med. Biel, ein bekannter Bergener Bürger, inne. Als Beisitzer fungierten dann aktive und ehemalige Offiziere, wie der Rittmeister v. Schultz, der Gutsbesitzer in Granskevitz war und auch beim Kapp-Putsch 1920 in Erscheinung getreten war.

Poseritz. Der „Krieger- und Militärverein“ aus Poseritz und Umgebung lud in der „Rügenschen Zeitung“ zum 18. 1. 1931 zu einer „Reichsgründungsfeier“ ein. Man bezog sich dabei auf das Jahr 1871

Poseritz. Der „Krieger- und Militärverein“ aus Poseritz und Umgebung lud in der „Rügenschen Zeitung“ zum 18. 1. 1931 zu einer „Reichsgründungsfeier“ ein. Man bezog sich dabei auf das Jahr 1871

Die angeblich „unpolitische“ Haltung der Kriegervereine wird durch ihre Zielsetzung ad absurdum geführt. So umreißt die „Stralsundische Zeitung“ vom 2. Februar 1892 die Aufgabe „in Einigkeit treu zu Kaiser und Reich zu stehen, … und Gut und Blut für den König einzusetzen. – wenn es einmal gelten sollte, …“.

22 Jahre später galt es, und 1100 Rügener zogen ins „Feld“. Die Kriegervereine galten auch als Bollwerk gegen den „verderblichen Einfluss der Sozialdemokratie“. Im Mai 1907 forderte der damalige pommersche Oberpräsident v. Maltzahn-Gültz von den Vereinen, alle „Bestrebungen gegen die Grundlagen unseres Staatslebens und unserer Gesinnung abzuwehren, wie sie die Sozialdemokratie vertritt“.

Die Kriegervereine kamen regelmäßig (in Garz zum Beispiel im damaligen „Hotel du Nord“) zu sogenannten Apellabenden zusammen, an denen nationalistische Vorträge gehalten wurden, wie „Die Schöpfung des deutschen Kriegsheeres“ oder „Wie Deutschland den Elsass verlor und wieder zurückeroberte“. Anschließend wurde ein „Umtrunk“ gereicht. Ihr öffentliches Auftreten erfolgte dann an Staatsfeiertagen, wie Kaisers Geburtstag oder dem Sedanstag, und bei der Einweihung zahlreicher Kriegerdenkmäler.

Der sowjetische Schriftsteller Kasakewitsch schilderte uns seine persönlichen Eindrücke im Jahre 1945 folgendermaßen: „Fast in jedem Städtchen standen Kriegerdenkmäler von 1813, 1866, 1870-71 oder 1914-18, errichtet vom „dankbaren Vaterland“ und den „dankbaren Mitbürgern“. Es gab kaum ein Denkmal für einen Dichter oder Komponisten. Für die Welt war Deutschland einst das Land Goethes, Beethovens und Dürers, aber hier regierten Friedrich, Bismarck und Moltke“ (Kasakewitsch, E., Frühling an der Oder. Berlin, 1953, S. 218 f.).

Dabei waren diese Denkmäler oft geschmacklos errichtet und zerstörten wieder ältere Kulturdenkmäler, wie historisch wertvolle Grabstätten (z. B. auf dem Friedhof von Lancken-Granitz) oder Hünengräber, deren Findlinge entfernt wurden. Proteste der Denkmalpflege verhallten ergebnislos.

Kriegerdenkmal 1914-1918 in Gustow 2010

Kriegerdenkmal 1914-1918 in Gustow 2010

Nach dem ersten Weltkrieg entstanden daneben neue militärische Wehrverbände, die die gleiche Zielsetzung verfolgten. Auch sie propagierten demagogisch einen „Frontsozialismus“ und dienten der Militärkaste.

Aufmarsch des rügenschen „Stahlhelm“ in Sellin im Jahre 1932 (Rügensche Zeitung)

Aufmarsch des rügenschen „Stahlhelm“ in Sellin im Jahre 1932 (Rügensche Zeitung)

Am bedeutendsten war der „Stahlhelm – Bund der Soldaten“. Er wurde im Dezember 1918 vom Hauptmann d. R. und Fabrikanten Franz Seldte in Magdeburg gegen die Revolution gegründet. 1929 umfasste der „Stahlhelm“ 500 000 Mitglieder. Da in ihm das Junkertum, Kleinbürgertum und gewisse Schichten der Landarbeiter vertreten waren, fand er auch auf Rügens beträchtlichen Widerhall. Am 16. September 1928 überfielen „Stahlhelmer“ bei einem Aufmarsch Garzer Arbeiter und verletzten sieben Rot-Front-Kämpfer schwer.

Alle diese Verbände bildeten eine Bürgerkriegsreserve und übernahmen auch die wehrsportliche Ausbildung der Jugend (zum Beispiel im Jungstahlhelm).

Von ihnen führte eine direkte Linie zur faschistischen Machtergreifung. Das zeigt sich auch darin, dass der Gründer des „Stahlhelms“, Franz Seldte, in der ersten gleich zu Beginn der Hitlerregierung ein Ministeramt erhielt.

Es braucht nicht weiter betont zu werden, dass in der damaligen sowjetisch besetzten Zone diese Vereine verboten wurden. Ihr revanchistisches und militärisches Gedankengut ist einer humanistischen und friedliebenden Weltanschauung fremd.

Zu einer genaueren Darstellung der Funktion und Bedeutung der militärischen Wehrverbände auf Rügen können die Heimatforscher und Ortschronisten sicher noch manches Wichtige beitragen.

 

Wetterprognosen vor 100 Jahren

(OZ v. 30.1.1976) Kürzlich berichtete die OZ über die verantwortungsvolle Arbeit der 1954 gegründeten Wetterbeobachtungsstation in Putbus. Es dürfte interessant sein, den Anfang der Wetterbeobachtung auf Rügen zu verfolgen. Bereits 1833 errichtete eine „Kaiserlich-russische Chronometer-Expedition“ eine Beobachtungsstation auf Arkona, die sich aber besonders mit dem Verlauf des Meeresspiegels beschäftigte. Eine Wetterwarte mit den der damaligen Zeit entsprechenden Geräten wurde dann 1853 in Putbus gegründet. Später kamen dann einige Beobachtungsstützpunkte in Arkona, Thiessow und dem Wittower Posthaus auf dem Bug hinzu.

Die Putbusser Messungen wurden im 19. Jahrhundert von Lehrern des ehemaligen Pädagogiums sowie vom Uhrmacher Freiberg durchgeführt. Obwohl genaue Direktiven vorlagen, scheinen diese Mitarbeiter ihre Sache nicht immer so genau genommen zu haben. Es wird berichtet, dass sie die letzte Messung (22:00 Uhr) oft vorzogen und das Regenwasser mitunter erst einige Tage im Gerät sammelten, ehe sie es maßen.

Dennoch lassen sich über den Verlauf von 50 Jahren (1855 bis 1902) Grundzüge des Putbusser und damit des rügenschen Wetters feststellen. So besitzt Putbus im Frühjahr und Sommer eine wesentlich geringere Bewölkung als auf dem benachbarten Festland. Dafür gelten der Spätherbst und der Winter als recht feucht. Die Temperatur ist entsprechend dem Seeklima im Sommer abends kälter als am Morgen.

Im Jahresdurchschnitt wies Putbus im 19. Jahrhundert nur 44 sehr heitere, gegenüber 126 sehr trübe Tage auf. Im Vergleich zu anderen rügenschen Orten gilt Putbus als regenreich. So waren im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts im Jahresdurchschnitt 143 Tage verregnet. Die Regenzeit konzentrierte sich allerdings auf den Herbst und Winter, während das Frühjahr niederschlagsfrei blieb.

Eingeschneite Bahnstrecke im Dezember 1978 zwischen Bergen und Saßnitz.

Eingeschneite Bahnstrecke im Dezember 1978 zwischen Bergen und Saßnitz.

Auch der geringe Schneefall hängt mit dem Seeklima zusammen. Im Jahresdurchschnitt sind es nur 32 Tage (vorwiegend Januar bis März) mit Schneefall. Der erste Schnee fällt selten vor dem 15. November, der letzte noch am Ausgang des Aprils.

Auch die Gewittertage wurden damals registriert. Danach gehört Putbus zu den „gewitterarmen“ Orten Mecklenburgs (nur 17 Tage!). Gewitter traten vorwiegend im Juli auf, während Wintergewitter nur in jedem fünften Jahr vorkamen.

Soweit ein Einblick in das Wetter des 19. Jahrhunderts. hat es sich verbessert? Vielleicht können die heutigen Putbusser „Wetterfrösche“ darüber berichten?

 

Zwei Münzfunde, die Aufsehen erregten

(OZ v. 31.12.1977/1.1.1978) Die Entdeckung eines Münzfundes von 103 Silber- und Kupferprägungen am 9. März 1978 in der Bergener Vieschstraße gaben viele Zeitungen bekannt. Nach dem 1973 in Ralswiek ausgegrabenen Münzfund ist es nun bereits der zweite größere Münzschatz, der in kürzerer Zeit auf Rügen gefunden wurde.

Der Ralswieker Münzfund wog etwa drei Kilogramm und bestand aus arabischen Münzen, die in der Mitte des 9. Jahrhunderts vergraben worden waren. Sein Besitzer lebte an einem bedeutenden slawischen Seehandelsplatz, der sich in jener Zeit über den heutigen Ortskern von Ralswiek erstreckte. Da die Slawen zunächst noch keine Münzen prägten, verwandten sie als Zahlungsmittel bis zum 10. Jahrhundert arabische Münzen. Diese belegen zugleich einen ausgeprägten Fernhandel, bei dem man an einen Sklavenhandel denken könnte. So erhielt man für den Schatz etwa zehn bis zwölf Sklaven. Er besaß aber auch den Wert von zehn guten Pferden, 30 Kühen oder 100 Schweinen.

Daneben hatten die auf Rügen ansässigen Ranen eine Leinentuchwährung als Äquivalent. Noch im 12. Jahrhundert heißt es: „Nun haben die Ranen kein gemünztes Geld … Was man auf dem Markt kaufen will, erhält man gegen Leinentücher“. Bei den Silbermünzen wurde übrigens nach Gewicht gezahlt. So befanden sich im Ralswieker Münzfund auch zerhackte Prägungen.

Erst der Ranenfürst Jaromar I., der von 1168 bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts regierte, ließ eigene Münzen prägen. Sie trugen sein Konterfei und die stolze Inschrift „Rex Rugionorum“ (König der Rügener).

Der Bergener Münzfund dürfte größere Übereinstimmung mit einem ähnlichen aus Altefähr besitzen. Dieser wurde bereits 1935 entdeckt und enthielt nach seiner Bestimmung durch Professor Suhle, Berlin, 119 Schillinge und Taler in einem Gefäß. Es überwogen sogenannte Doppelschillinge (16 Stück entsprechen einem Taler) mit einem Gegenstempel. Dieser Stempel war erforderlich, um die Gültigkeit und die Umlauffähigkeit der Münzen zu bezeugen. Diese Münzen hat man vermutlich 1638 (jüngste Münze war von 1637) vergraben. Schließlich sei noch ein kleiner Talerfund aus dem Jahre 1957 in Garz erwähnt. Er muss nach 1611 / 1612 vergraben worden sein.

Warum wurden nun diese Münzen im 17. Jahrhundert vergraben, oder, wie in Bergen eingemauert?

Blick in die Vieschstraße in Bergen. Ganz links ist das Haus mit dem Schatzfund. 2005

Blick in die Vieschstraße in Bergen. Ganz links ist das Haus mit dem Schatzfund. 2005

Als der Ort Bergen 1613 sein Stadtrecht für 8 000 Mark – die Mark entsprach acht bis neun Talern – vom pommerschen Herzog erwarb, galt er als verhältnismäßig wohlhabend. Jedoch wenige Jahre später hatten Katastrophen und die Wirren des Dreißigjährigen Krieges (1618 bis 1648) dieser Entwicklung ein schnelles Ende bereitet. Stadtbrände äscherten 1621 und 1631 große Teile der Stadt ein, auch wurde Bergen 1629 und 1639 von der Pest heimgesucht.

Die größten Drangsale in der Geschichte Rügens brachten die Kriegszüge der Habsburger unter Wallenstein und der Schweden nach 1627. Zeitweise standen 10 000 Soldaten mit einem umfangreichen Tross auf Rügen. Plünderungen und Brandschatzungen waren an der Tagesordnung. 1630 wird über fehlendes Saatgut geklagt und berichtet, dass die Bevölkerung von Eicheln, Samen und von in Salzwasser gekochtem Gras lebt. Erst 1646 soll es möglich gewesen sein, in Bergen wieder „wohlfeil zu leben“. In diesen unruhigen Jahren wurden die Münzen verborgen. Vermutlich hat man die Besitzer getötet, oder sie verstarben durch die Pest.  1629 gab es allein 800 Pesttote in Bergen.

Münzfunde sind als wichtige Geschichtsquellen auch ein Teil unseres kulturellen Erbes. Sie gelten bei ihrem Auffinden oder bei ihrer Bergung als Volkseigentum (auch der Einzelfund) und sind den zuständigen Museen zu übergeben. Das sei mit allem Nachdruck betont.

Rügen vor fast 200 Jahren

Zwei Drittel der Bevölkerung waren leibeigen und litten unter extremer Ausbeutung

(OZ v. 20.2. und 27.2.1986) Ende des 18. Jahrhunderts, also vor fast 200 Jahren, erschienen die ersten ausführlichen Beschreibungen der Insel Rügen. Die Autoren Karl Nernst (1800) und Johann Jacob Grümbke (1805 unter dem Pseudonym Indigena) zeichneten besonders ausführlich und von großer Bedeutung ein Bild der Entwicklung Rügens. Beide lebten auf Rügen, Nernst vermutlich einige Jahre in Schwarbe. Grümbke war Bergener Bürger und darf als der „Vater der rügenschen Geschichtsschreibung“ bezeichnet werden. Beide besaßen eine universale Bildung, die es gestattete, fast alle Bereiche des damaligen gesellschaftlichen Lebens zu betrachten, womit sie sich auch übrigens wohltuend von mancher späteren Rügenbeschreibung abheben.

Ausführliche Beschreibung der Insel Rügen durch J. J. Grümbke 1819

Ausführliche Beschreibung der Insel Rügen durch J. J. Grümbke 1819 

Auf Rügen, das bis 1815 zum Schwedischen Reich gehörte, waren zu Beginn des 19. Jahrhunderts noch ausgeprägte feudale Verhältnisse vorhanden. Von den über 27 000 Einwohnern Rügens galten fast 18 000 Leibeigene als völliges Eigentum der Grundherrschaft. Der Erbherr konnte nach gültigen Gesetzen, die bis 1616 zurückreichten, den Leibeigenen „verpfänden, gegen Vieh tauschen, ihm Hof und Acker nehmen und über ihn Recht sprechen“. Harte Strafen standen auf alle „Vergehen“. Besonders verbreitet war die Züchtigung mit der Peitsche oder der „Ganten“. Bei heimlicher Flucht „soll ihm (dem Leibeigenen) ein Brandmal auf die Stirn gebrannt werden“. Leibeigen und einer strengen Fron unterworfen waren fast alle Landbewohner, so z. B. fast 99 Prozent der Bevölkerung Jasmunds. Lediglich in den Städten Garz und Bergen sowie in den sogenannten Flecken Gingst und Sagard und einigen größeren Dörfern (Altenkirchen, Middelhagen) gab es Freie.

Nernst und Grümbke führten eine Vielzahl von Hand- und Spanndiensten sowie Naturalabgaben und Geldsteuern auf, die die Bevölkerung bedrückten und ihre große Armut und Unwissenheit belegten. Nernst fiel die besondere Armut der Hiddenseer auf: „Die Armuth wohnt hier und das Elend. Nicht selten begegneten uns zerlumpte Kinder, welche mit wahrem Heißhunger in ein Stücklein gedörrten Fisches bissen, wovon sie immer eine Portion mit sich führen“. Auch Grümbke empörte sich über diese Zustände: „Denn der Druck der Knechtschaft macht das Gemüth feige und schlecht, … weil er nichts hat, was ihm die Mühen des Lebens erleichtern, was ihn trösten und über sein Schicksal erheben kann“. Diese Situation extremer Ausbeutung und Verdummung der arbeitenden Schichten füllte noch viele der folgenden Jahrzehnte.

Titelblatt des Buches „Das alte Pommern“ von Schleinert und Wartenberg 1995.

Titelblatt des Buches „Das alte Pommern“ von Schleinert und Wartenberg 1995.

Der Adel stellte den größten Teil der Großgrundbesitzer. Ihm gehörten auf Rügen 380 Ortschaften, Dörfer, Vorwerke usw. Den übrigen Besitz teilten sich das königliche Domanium und die Stadt Stralsund (mit ihren Kirchen und Klosterstiftungen). Die größten Besitzer waren die Grafen von Putbus (damals noch nicht im Fürstenstande) und die schwedischen Grafen von Brahe auf Spyker, denen die Hälfte von Jasmund gehörte mit einem Jahresgewinn von etwa 10000 Reichstalern.

So konnte Grümbke dann sagen: „ Im Ganzen herrscht unter dem Adel viel Wohlstand…“ Dieser Adel besaß die Zollfreiheit, war von sämtlichen Erhebungen finanzieller Art befreit und hatte eine eigene Gerichtsbarkeit über seine Untertanen. Er bildete die „Rügianische Ritterschaft“ mit einer besonderen Uniform (gelbe Hosen, dunkelblauer Rock) zu besonderen Anlässen.

Einen besonderen Stand verkörperte die Geistlichkeit, die gleichfalls bestimmte Abgaben von der Landbevölkerung erhob, aber auch über ein meist beträchtliches Ackerwerk verfügte, wonach „die Pfarrstellen größtenteils sehr einträglich“ waren (Grümbke). Um 1800 gab es auf Rügen einige sehr bedeutende Prediger, von denen Picht in Gingst, Kosegarten in Altenkirchen und Schwarz in Wiek eine bleibende Bedeutung erlangt haben.

Der Hauptwirtschaftszweig wurde durch die Landwirtschaft gebildet. Besonders hohe Getreideerträge, die nach Stralsund verschifft wurden, erzielte man auf Wittow. Hier begann man um 1800 auch mit dem Anbau von Klee und Wicken. Die Fruchtfolge war die sogenannte Schlagwirtschaft: Winterkorn (Weizen oder Roggen) – Gerste – Erbsen – Gerste – Hafer – Brache (Klee).

Ackerfeld bei Bergen 1960

Ackerfeld bei Bergen 1960

Die Rinderzucht wurde durch die Anlegung sogenannter Holländereien sehr vergrößert und durch den Ankauf fremder Zuchttiere auf den großen Gütern verbessert. Noch im argen lag die Schafzucht trotz weiter Heideflächen, die es auf Rügen noch gab, und die heute entweder aufgeforstet oder Ackerland sind. Erinnert sei an die Boldevitzer, die Patziger und die Ralswieker Heide. Auch die Schaabe, die Schmale Heide und die Landschaft um Sehlen waren damals noch Heideland.

 

Fast zwei Jahrhunderte „Schwedenzeit“

König Gustav IV Adolf hob Pommersche Verfassung und die Leibeigenschaft auf

(OZ v- 5.11.1976) Rügens militärisch-strategische und wirtschaftliche Bedeutung führte seit dem 12. Jahrhundert  zu verschiedenen Kriegen um seinen Besitz. Weniger bekannt ist eine längere schwedische Verwaltung zwischen 1630 und 1815. Diese Epoche verbindet gleichzeitig unsere beiden Ostseeländer und wird daher auch gemeinsam von den Historikern erforscht.

Schweden hatte sich im 17. Jahrhundert zu einer europäischen Großmacht entwickelt und innerhalb des Dreißigjährigen Krieges (1618-1648) u. a. das damalige Vorpommern bis zur Peene besetzt. Schweden behielt es bis zur preußischen Übernahme am 19. September 1815.

Ehemaliges Herrenhaus Spyker 1980, errichtet Ende des 16. Jahrhunderts, umgebaut durch den schwedischen General v. Wrangel (1613-1676) um 1650. Zu DDR-Zeiten war es ein Ferienheim des FDGB, heute Restaurant und Hotel.

Ehemaliges Herrenhaus Spyker 1980, errichtet Ende des 16. Jahrhunderts, umgebaut durch den schwedischen General v. Wrangel (1613-1676) um 1650. Zu DDR-Zeiten war es ein Ferienheim des FDGB, heute Restaurant und Hotel.

In diesem Zeitraum vollzogen sich die Entwicklung finsterster feudaler Ausbeutung der Bauernschaft und die Bildung des adligen Großgrundbesitzes. Durch das sogenannte Bauernlegen, bei dem der Grund und Boden des Bauern entschädigungslos dem Herrenhof zugeschlagen wurde, verringerte man den Bauernstand beträchtlich. Hinzu kamen ungeheure Frondienste (Hand- und Spanndienste), die bis zu fünf Tage wöchentlicher Arbeit auf dem Herrenhof umfassten, sowie unzählige Abgaben. Auf Rügen war es Zehnt und Gült, Grundzinsen, Herdgeld, Pfingstlamm, Martinsgans, Fastnachtshühner, die besten Stücke aus dem Nachlass des Bauern (sog. Besthaupt oder Buttteil) usw.

Altes Bauernhaus in der „Rugard-Heide“ am Wege von Bergen nach Buschvitz 1958. Alte Fischernetze dienten als Zaunbegrenzungen. Das Haus wurde wenige Jahre später aufgegeben und existiert nicht mehr.

Altes Bauernhaus in der „Rugard-Heide“ am Wege von Bergen nach Buschvitz 1958. Alte Fischernetze dienten als Zaunbegrenzungen. Das Haus wurde wenige Jahre später aufgegeben und existiert nicht mehr.

Nach 1780 wurde diese Ausbeutung besonders verschärft, und man legte ganze Bauerndörfer. Ernst Moritz Arndt, ein mutiger Kämpfer gegen die Leibeigenschaft, gibt uns eine Schilderung: „Auf Rügen wütete dies Unheil (des Bauernlegens) viel schlimmer als in Pommern, weil dort der kleinste und ärmste Adel war, auch wurden im ganzen die Leute auf Rügen viel strenger gehalten als in Pommern …“ 1797 erhoben sich die Tagelöhner und „gelegten“ Bauern in Boldevitz gegen die Gutsherrschaft. Ihr Aufstand wurde durch Militär niedergeworfen. Zu dieser Zeit waren zwei Drittel der Landbevölkerung leibeigen. Etwa 1000 Menschen flohen (nach Arndt) zwischen 1780 und 1800 von der Insel.

Groß Schoritz. Herrenhaus 2005.  Hier wurde Ernst Moritz Arndt am 26. Dezember 1769 geboren.

Groß Schoritz. Herrenhaus 2005.
Hier wurde Ernst Moritz Arndt am 26. Dezember 1769 geboren. 

Diese unmenschliche Politik wurde vom pommerschen Adel sowie vom oft feudal verketteten Bürgertum getragen, die sich auf reaktionäre Gesetzgebungen von 1616 und 1646 stützten. Die schwedische Regierung versuchte seit dem Ausgang des 17. Jahrhunderts durch eine progressive Agrarpolitik, einen wirtschaftlich und militärisch leistungsfähigen Bauernstand zu schaffen. Um eine gerechtere Steuerregelung zu erreichen, wurde auf Rügen eine neue Landvermessung vorgenommen. Gleichzeitig bemühten sich die Schweden um eine Lockerung der Leibeigenschaft durch das System des Pachtbauern. Seit 1780 parzellierte die Regierung daher einige Domänen und schaffte verschiedene Frondienste ab.

Stralsund, Badenstr. 17. Der 1726 bis 1730 erbaute Sitz des schwedischen Generalgouverneurs. Hier erfolgte 1815 die Übergabe Schwedisch Vorpommerns an Preußen.

Stralsund, Badenstr. 17. Der 1726 bis 1730 erbaute Sitz des schwedischen Generalgouverneurs. Hier erfolgte 1815 die Übergabe Schwedisch Vorpommerns an Preußen.

Leider blieben diese Maßnahmen meist erfolglos, da entsprechend der Pommerschen Verfassung die Landstände für die Innenpolitik maßgebend waren. Diese Landstände, seit 1650 standen ihnen die Grafen und später die Fürsten von Putbus vor, umfassten jedoch nur Vertreter der Ritterschaft, der Geistlichkeit und der Städte (auf Rügen waren es Bergen und Garz). Um 1800 versteifte sich der Widerstand des Adels gegen weitere positive schwedische Reformen. So hob der schwedische König Gustav IV Adolf die Pommersche Verfassung und die Leibeigenschaft auf. Objektiv führte das zu einer Entfaltung der nationalen Kräfte und zur Entlarvung der antinationalen Haltung des pommerschen und rügenschen Adels. Da die Bauern sich aus der Leibeigenschaft  freikaufen mussten, waren viele gezwungen, ihren Besitz dem Gutsbesitzer anzubieten oder noch einige Jahrzehnte ihre Schulden abzuarbeiten.

Stralsund, Badenstraße 39. Das um 1700 erbaute Landständehaus. Hier tagte der Neuvorpommersche Kommunallandtag bis 1881.

Stralsund, Badenstraße 39. Das um 1700 erbaute Landständehaus. Hier tagte der Neuvorpommersche Kommunallandtag bis 1881.

 Der Anschluss an die preußische Monarchie 1815 erfolgte keineswegs mit der Begeisterung, wie sie uns die ältere Heimatliteratur vorgaukelt. Adel und Bürgertum fürchteten um ihre Privilegien, wie den Getreidehandel mit Schweden. Noch einige Tage vor der Übergabe drückten die Landstände ihr Bedauern darüber aus. Die ausgebeuteten Klassen sahen in der schwedischen Regierung einen Beschützer und konnten nach den Maßnahmen von 1806 kaum eine Besserstellung erwarten.

Blick vom „Tempelberg“ bei Bobbin auf Schloss Spyker 1970. Im Hintergrund der Spykersche See und die Tromper Wiek. Bildautor unbekannt

Blick vom „Tempelberg“ bei Bobbin auf Schloss Spyker 1970. Im Hintergrund der Spykersche See und die Tromper Wiek. Bildautor unbekannt

Aus dieser Schwedenzeit haben sich auf Rügen nur wenige Spuren erhalten, so etwa das Schloss Spyker, das der schwedische Feldmarschall und Generalgouverneur Carl Gustav von Wrangel 1649 als Lehen erhielt und umbaute. Hier starb er auch 1676. In der plattdeutschen Mundart erhielten sich einige Begriffe (wie „Linjons“ für Preiselbeere) und in der Volkskultur einige Bräuche (wie Julklapp und das Tonnenreiten).

Zur Geschichte von Rügen und Vorpommern

(OZ v. 28. und 29.3.1990)

Nach dem Zusammenbruch des dritten Reiches 1945 entstand das Land Mecklenburg-Vorpommern. Bereits zwei Jahre später erfolgte eine Umbenennung in „Land Mecklenburg“. Schließlich wurde im Jahre 1952 eine Neugliederung in die drei Bezirke Rostock, Neubrandenburg und Schwerin vorgenommen.

Damit wurde auf eine undemokratische Weise eine mehr als 800jährige Tradition in der Länderbezeichnung beendet und dem Heimatgefühl und der Heimatverbundenheit vieler Menschen ein schwerer Schlag versetzt.

Der Name „Pommern“ lässt sich bis in das 12. Jahrhundert verfolgen. In jener Zeit entstand im Gebiet um Stettin (heute Szczecin) das Herzogtum Pommern, dessen Bewohner der slawische Stamm der Pomoranen, d. h. der „am Meer wohnenden“, war. Ihnen benachbart lebten im Peene-Gebiet die slawischen Zirzipanen, in der Uckermark die Ukranen und auf Rügen und dem benachbarten Festland die Ranen .Zunächst waren diese Stämme noch unabhängig und besaßen eigene Stammesherzöge. Seit dem späten 12. Jahrhundert bildeten sie das Ziel dänischer, polnischer und deutscher Kriegszüge. So gelangten sie zunächst unter polnische, später unter dänische Vorherrschaft.

Rügen war bis 1325 eine selbständige Insel

Rügen behielt unter einem eigenen Fürstenhaus seine von Pommern abgetrennte selbständige Bedeutung, die erst mit dem Tode des letzten Fürsten Witzlaw III. (1286 – 1325) endete.

Nun gelangte es durch einen Erbvertrag an das Fürstentum Pommern-Wolgast. Pommern-Wolgast entstand 1295 und umfasste das nördliche Vorpommern bis zur Peene, während das Gebiet südlich der Peene und Hinterpommern zu Pommern-Stettin gehörte. Die Grenze zwischen Vor- und Hinterpommern bildete im Wesentlichen die Oder. Die Westgrenze Vorpommerns war die Recknitz.

Das Jahr 1325 ist also für die Rügensche Geschichte von entscheidender Bedeutung, da nun die politische Selbständigkeit beendet war und die Bindung an die Geschicke Pommerns begann. Diese Ehe“ war nicht unumstritten, da auch Mecklenburg Rügen einverleiben wollte. Erst 1328 verzichtete der Herzog von Mecklenburg nach kriegerischen Kämpfen und einer finanziellen Entschädigung auf Rügen. Weitere Ansprüche auf Rügen stellte die dänische Kirche. Erst 1648 hat Dänemark endgültig auf die kirchliche Zugehörigkeit Rügens zum Bistum Roeskilde verzichtet.

Beinahe an Dänen verkauft

Eine gewisse Bedeutung hatte die Regierungszeit des Herzogs Philipp Julius von Pommern-Wolgast. Er ließ in Bergen (im Gebiet des heutigen Landratsamtes an der Billrothstraße) zwischen 1612 und 1614 ein Jagdschloss errichten. Unter ihm erlangte Bergen für 8000 Mark schließlich das Stadtrecht, allerdings ohne Stadtmauern und Stadttürme. Er versuchte aber auch – und glücklicherweise ergebnislos – Rügen für 150 000 Reichstaler an Dänemark zu verkaufen.

Sitz des Rat des Kreises Bergen, Billrothstrasse 1987

Sitz des Rat des Kreises Bergen, Billrothstrasse 1987

1627 musste der Pommernherzog Bogislav XIV. den Wallensteinschen Truppen die Landesgrenzen öffnen, die 1630 Rügen und Pommern in einem entsetzlichen Zustand hinterließen. Der Oberst von Götz soll geäußert haben, er würde jeder Kuh, die auf Rügen noch zu finden sei, die Hörner vergolden lassen. Den kaiserlichen Truppen folgten unmittelbar die Schweden, und als 1637 mit dem Herzog Bogislav XIV. das pommersche Herzoghaus ausstarb, behielten sie die pommerschen Gebiete als „Schwedisch-Pommern“. So wurden ihnen Vorpommern mit den Inseln Usedom und Wollin, der Stadt Stettin und ein schmaler Oderstreifen im Frieden von Münster 1648 zugesprochen. Der Schwedische König war somit Fürst von Rügen und Herzog von Pommern, Hinterpommern gelangte an Brandenburg.

Noch im 17. Jahrhundert erfolgten viele kriegerische Versuche der Dänen und Brandenburger, um Vorpommern mit Rügen zu erobern. So landete der Kurfürst Friedrich Wilhelm von Brandenburg 1678 bei Neukamp. Eine Gedenksäule und alte Festungswälle erinnern noch heute an jene Tage. Erst im Nordischen Krieg (1700 – 1720) konnte Brandenburg Vorpommern südlich der Peene und die Inseln Usedom und Wollin erobern. Das übrige Gebiet blieb als „Schwedisch-Vorpommern“ bei Schweden. Über eine brandenburgische Truppenlandung auf Rügen informiert uns dazu eine Gedenksäule Bei Groß Stresow.

Umfangreiche Gebietsneuregelungen erfolgten erst nach der Niederlage Napoleons im Jahre 1814. Zunächst wurde Schwedisch-Vorpommern den Dänen übereignet und schließlich 1815 mit Preußen vereinigt als Provinz Pommern. Damit endeten 180 Jahre Schwedenzeit, die kaum sichtbare Spuren hinterließen.

1818 bildete man den Regierungsbezirk Stralsund, der dann 1932 mit dem Regierungsbezirk Stettin vereinigt wurde. Parallel dazu gab es zwischen 1826 und 1881 zwei Kommunallandtage für Neuvorpommern in Stralsund und für Altvorpommern in Stettin. Ihnen folgte bis 1834 ein Provinziallandtag in Stettin.

800 Jahre wechselnde Geschichte gestrafft darzustellen, wirft Probleme auf. Es sollte hier nur das Wechselverhältnis zwischen Pommern und Rügen angedeutet werden. Neben den politischen und historischen Gemeinsamkeiten sind es aber auch viele Übereinstimmungen in der Volkskultur und in der Sprache und im menschlichen Miteinander. Rügen hatte dabei immer seine Besonderheiten – erinnert sei nur an den Begriff „Muttland“ den der Einheimische für seine Insel gebrauchte. „Mutt“ ist eine spezifische Bezeichnung für das Mutterschwein. Viele dieser Bezeichnungen gehen auf die deutschen Einwanderer des 13. und 14. Jahrhunderts aus Westfalen zurück, die die Wirtschaftsweise, das Recht und die Sprache Pommerns entscheidend mitprägten.

In dem Neubeginn, der vor uns liegt, sollte ein Besinnen auf diese kulturellen Traditionen uns mit Stolz und Kraft erfüllen. Dabei kann man auf das Fritz-Reuter-Wort zurückgreifen: „Wir Niederdeutschen sind ein hartes Volk, das langsam Feuer fängt – aber dann gut Glut gibt!“