Franziska Tiburtius – eine Rügener Ärztin

(OZ v. 29.4.1977)

Eine der ersten deutschen Ärztinnen war die auf Rügen geborene Franziska Tiburtius, deren Todestag sich am 5. Mai 1977 zum 50. Male jährt. Am 24. Januar 1843 hat sie in Bisdamitz (plattdeutsch Bißmitz) das Licht der Welt erblickt. Mit 84 Jahren war sie 1927 in Berlin verstorben. Franziska Tiburtius entstammte einer alten Pastorenfamilie, die im 18. Jahrhundert auf Rügen ansässig geworden war. Ihre Kindheit verlebte sie unbeschwert als Kind eines Pächters und bewies bereits hier eine enge Bindung zum einfachen Volk, die ihr ganzes Leben charakterisierte.

Bisdamitz, Geburtshaus von Franziska Tiburtius 1920

Bisdamitz, Geburtshaus von Franziska Tiburtius 1920

In einer Fülle von Mitteilungen gibt sie uns in ihren „Erinnerungen“ einen Einblick in die gesellschaftlichen Verhältnisse der Zeit zwischen 1850 und 1870 auf Rügen. Darunter befinden sich bemerkenswerte Aussagen zur Volkskunde Mönchguts und den damaligen sozialen Zuständen.

1851 zog die Familie nach Stralsund. Gute Schulergebnisse veranlassten ihre Ausbildung als Hauslehrerin. Darüber schrieb sie: „Es gab damals eigentlich nur einen Beruf, der für gebildete Frauen aus „guter Familie“ wählbar war, den der Lehrerin“.

Angeregt durch ihren Bruder Carl – einen Arzt – und dessen spätere Frau, die sich 1869 als erste deutsche Zahnärztin (Studium in den USA) in Berlin niederließ, nahm Franziska Tiburtius 1871 das Studium der Medizin in Zürich auf. Im damaligen Deutschland war ein Frauenstudium unmöglich: „darüber ließen private Anfragen an maßgebenden Stellen nicht den geringsten Zweifel, eine offizielle Anfrage würde als sehr unzeitgemäßer Scherz betrachtet. So blieb nur das Ausland übrig.“ In Zürich kam Franziska Tiburtius mit russischen Revolutionären und Anarchisten, besonders jungen Frauen, zusammen und nahm Partei für ein „gebildetes Proletariat“. Ihr politischer Blick weitete sich und sie begann, Anteil an der internationalen Frauenbewegung zu nehmen.

Am 16. Februar 1876 bestand sie in Zürich ihre Promotion zum Dr. med. mit dem Prädikat „sehr gut. Zwischendurch gab es immer Szenen und Provokationen etwa derart: „Ach so, Sie studieren Medizin, na ja, wir wollen nicht davon sprechen!“

Humorig schilderte Franziska Tiburtius einen Zwischenaufenthalt in Rambin, wo sie z. B. einer alten Frau einen Bruch des Unterschenkelknochens schiente. Im Lazarett in Bergen – dem Vorläufer des heutigen Krankenhauses – war man sehr zufrieden und es hieß: „De Öbberste hett seggt, dat wier wunderschön makt, dat kunn keen Perfesser bäter maken.“ Die Rambiner boten ihr sogar eine Gemeindepraxis an. Das schätzte sie wertvoller als jedes Ehrendiplom ein.

Ende 1876 ging sie mit ihrer Freundin, Dr. med. Emilie Lehmus, auch diese hatte in Zürich studiert, nach Berlin, um eine Praxis in einer Arbeitergegend zu eröffnen. Das bedeutete zahllose Schwierigkeiten, in die sich auch eine „Leuchte der Wissenschaft“, der Geheimrat Prof. Dr. R. V. (Rudolf Virchow – der Verf.) einschaltete. Beide Ärztinnen praktizierten dann in „einer kleinen, halbdunklen, im Erdgeschoss liegenden Hofwohnung“ unweit des heutigen Alexanderplatzes. „Mehrere tausend Patientinnen gingen uns im laufe eines Jahres durch die Hände, und wir hatten das erhebende Gefühl, wirklich Nutzen zu schaffen“, schrieb Franziska Tiburtius. Zeitweise mussten sie ihren medizinischen Titel gegen die männlichen Ärztekollegen verteidigen und ein Türschild „Dr. med. der Universität Zürich“ führen, was den Zuspruch sogar erhöhte.

Erst 1894 nahmen die deutschen Universitäten Frauen als Gasthörerinnen auf und ließen sie sogar erst 1898 zur Staatsexamensprüfung zu. So liegt die Bedeutung Franziska Tiburtius´ in ihrem beispielgebenden Leben und in ihrem Einsatz für die Rechte der Frau in Beruf und Studium. Heute ist den Frauen auch auf diesem Gebiet zur vollen Gleichberechtigung verholfen.

 

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert